Berlin – Erschwert der Datenschutz den Kampf gegen COVID-19? Der Direktor der chinesischen Seuchenschutzbehörde Prof. Dr. George F. Gao begründet den Erfolg seines Landes gegen das Virus jedenfalls hauptsächlich mit der dortigen verpflichtenden Corona-App. Datenschutz war eines der Hauptthemen auf dem Panel „Digital Health & AI for Pandemic Preparedness“ beim digitalen World Health Summit [1]. Auch Unternehmen wünschen sich mehr Zugang zu Daten. Ihre Sicht war auf dem Panel sehr stark vertreten, im Gegensatz zur Patientenseite.
Mit der Zwangs-App Infektionen eindämmen?
„Wir wissen immer noch nicht sicher, ob das Virus aus China kommt“, sagt Gao, „denn wir konnten die Quelle, trotz intensiver Suche, gemeinsam mit der WHO, nicht lokalisieren.“ Um den Ausbruch in China zu stoppen, seien aber digitale Lösungen der entscheidende Punkt gewesen.
Jeder Bürger muss auf seinem Smartphone eine App haben, die permanent Informationen über sein Infektionsrisiko und -zustand liefert. Diese wird auch kontrolliert, etwa beim Zutritt zu Geschäften. Zudem zeichnet die App Bewegungsprofile auf.
Nach deutschen Medienberichten unterstützt die Mehrheit der chinesischen Bürger die App. „In Europa gibt es ja immer Bedenken wegen der Privatsphäre“, sagt Gao, „aber wenn Sie mich fragen, warum China das Virus so gut im Griff hat, dann liegt das vor allem am flächendeckenden Einsatz dieser Anwendung.“
Am 8. April 2020 sei China virusfrei gewesen, berichtet Gao. Seitdem habe es 6 weitere Wellen in verschiedenen Landesteilen gegeben, alle habe man in den Griff bekommen. „Europa und viele andere Länder haben dagegen eigentlich keine verschiedenen Wellen, sondern eine kontinuierliche. Denn die Zahlen waren dort ja zwischendurch nie auf null.“
Algorithmen brauchen Daten, um zu lernen
Ein derartige Zwangs-App wurde auf dem Panel nicht diskutiert, doch der Datenschutz als potenzielles Hindernis schon. Dr. Bernd Ohnesorge, Präsident für Europa, den Mittleren Osten und Afrika bei Siemens Healthineers, machte klar, dass Firmen am Zugang zu Daten interessiert sind: „Algorithmen sind nur so gut wie Daten, auf denen sie beruhen.“ Daher sei der Zugang zu Ergebnissen aus tatsächlichen Behandlungen essenziell, um Lösungen zu entwickeln, „für die Pandemie, aber auch darüber hinaus.“
In manchen Ländern sei dieser Zugang gegeben, in anderen sei er schwierig. „Wir können Algorithmen auf der Basis von Daten aus einem Land aber nicht ohne Weiteres auf eine andere Region übertragen.“ Man erhoffe sich da auch Unterstützung von der WHO.
Bei der WHO sei Digital Health ein großes Thema, betont Bernardo Mariano Jr., Direktor der Abteilung für Digitale Gesundheit und Innovation. „Wir haben beispielsweise ein Handbuch für digitale Investitionen entwickelt, das die wesentlichen Punkte aufführt, die nationale Regierungen bedenken müssen.“ Zudem arbeite man an einem digitalen internationalen Impfpass, mit dem Personen nachweisen können, dass sie gegen COVID-19 geimpft sind – wenn die Impfung da ist.
Internationale Leitlinien gefordert
Vor COVID-19 habe „das Misstrauen gegenüber einer Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Stellen leider über die Jahre zugenommen“, sagte Florence Gaudry-Perkins, Gründerin und Chefin von Digital Health Partnerships. Die Krise habe jedoch nun den Blick auf Unternehmen verändert: „Es wird nun stärker auch ihre soziale Bedeutung gesehen.“
Der Zugang von Unternehmen zu Daten könnte durch strikte internationale Leitlinien geregelt werden, schlug Ohnsorge vor. „COVID 19 hat uns gezeigt, dass dies sehr schnell erfolgen kann, wenn es notwendig ist.“
Auf die Frage, wie streng solche Leitlinien sein sollten, betonte er: „Auf dem richtigen Level.“ Der strenge deutsche Datenschutz sei ja immer ein Thema, ergänzte Moderator Dr. Denis Gilhooly, Chef von Global He@lth 2030 Innovation Task Force. Ohnsorge beklagt hier, dass die Gesetzgebung teilweise lokal unterschiedlich ausgelegt werde: „Die Abwägung zwischen dem Datenschutz und dem Nutzen, den man durch Anwendungen erreichen könnte, erscheint da manchmal nicht ausbalanciert.“
Tatsächlich gibt es auch in Deutschland Kritik, dass zu strenge Einstellungen zur Privatsphäre die Wirkung der Corona-App einschränken. Bisher erfahren Nutzer beispielsweise nicht, wann eine Risikobegegnung stattfand, und können so das tatsächliche Risiko nicht nachvollziehen. In einem Update könnte das dadurch behoben werden, dass Nutzer im Vorhinein grundsätzlich zustimmen, dass bei einer Infektion der Zeitpunkt einer Risikobegegnung an die Kontaktpersonen übermittelt wird. Für die geringe Teilnahmerate hingegen gibt es so recht keine Lösung – will man nicht dem chinesischen Beispiel folgen.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Erfolgreiche Kontrolle der SARS-CoV-2-Pandemie: Ist die Lockerung des Datenschutzes das Geheimnis? - Medscape - 3. Nov 2020.
Kommentar