Wer nach Kniegelenkersatz zuhause trainiert, hat kaum schlechtere Ergebnisse als beim Physiotherapeuten

Heike Dierbach

Interessenkonflikte

29. Oktober 2020

Selbst durchgeführte Physiotherapien helfen nach einer Knie-OP genauso gut wie Übungen mit Physiotherapeuten – das berichten Dr. David F. Hamilton von der Edinburgh University und Kollegen jetzt im BMJ  [1]. Allerdings gab es Unterschiede bei der Mobilität im Alltag.

 
Patienten ohne zusätzliche Einschränkungen können sicher auch zu Hause viel machen. Prof. Dr. Robert Hube
 

Prof. Dr. Robert Hube von der Orthopädischen Chirurgie München (OCM) überraschen die Ergebnisse nicht: „Patienten ohne zusätzliche Einschränkungen können sicher auch zu Hause viel machen“, sagte der Endoprothetiker gegenüber Medscape.

Jeder 5. Patienten mit dem OP-Resultat unzufrieden

Zum Hintergrund: Der Einsatz einer Knie-Totalendoprothese (TEP) ist ein häufiges Verfahren, auch in Deutschland: Rund 190.000 Operationen werden pro Jahr durchgeführt (2018). Doch durchschnittlich 20% der Patienten seien mit dem Ergebnis unzufrieden, betonen die Autoren der Studie.

Physiotherapie nach der OP soll bekanntlich die Erfolgsrate steigern. Weltweit ist das Vorgehen dabei sehr unterschiedlich. In manchen Ländern finden solche Behandlungen hauptsächlich im Krankenhaus statt, in anderen eher ambulant. In Deutschland ist ein Training mit Physiotherapeuten die Regel.

 
Die Annahme, dass Übungen mit einem Physiotherapeuten die Rehabilitation verbessern, wurde durch aktuelle Forschungsergebnisse in Frage gestellt. Dr. David F. Hamilton und Koautoren
 

„Doch die Annahme, dass Übungen mit einem Physiotherapeuten die Rehabilitation verbessern, wurde durch aktuelle Forschungsergebnisse in Frage gestellt“, schreiben die Autoren. Für Patienten mit einem besonders hohen Risiko, sich nur langsam zu erholen, könne sie aber dennoch sinnvoll sein. Die Studie untersucht daher genau diese Gruppe.

Die Teilnehmer kamen aus 13 Kliniken in Großbritannien. Alle erhielten direkt nach der OP im Krankenhaus Physiotherapie. 6 Wochen postoperativ wurden jene identifiziert, die einen eher problematischen Verlauf zeigten. Die Forscher nutzten dazu den Oxford Knee Score, der Schmerzen und Funktionalität erfasst. Ein Wert gleich oder kleiner 26 galt als Risiko für eine schlechte Rehabilitation. Er bedeutete etwa, dass Patienten schon beim einfachen Aufstehen vom Stuhl Schmerzen hatten.

334 dieser Patienten mit einem Durchschnittsalter von 67,5 Jahren und einem durchschnittlichen BMI von 31,34 wurden in die Studie eingeschlossen; 61,4% waren Frauen.

Alle Personen wurden randomisiert in 2 Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt jede Woche 1 Übungsstunde mit Physiotherapeuten, 2 weitere Stunden sollten die Teilnehmer allein trainieren, insgesamt 18 Einheiten in 6 Wochen. Die andere Gruppe erhielt nur zu Beginn eine Einweisung vom Physiotherapeuten und sollte dann alle 18 Übungseinheiten allein machen.

Die Funktionsfähigkeit des Knies wurde vor Beginn der Intervention und 14, 26 und 52 Wochen nach der OP erfasst. Primäres Outcome war der Oxford Knee Score, wobei 4 Punkte Unterschied eine statistische Signifikanz bedeuteten. Sekundäre Outcomes waren unter anderem die Zufriedenheit des Patienten, ein praktischer Test zur Mobilität und die berichtete Mobilität im Alltag.

Besseres Outcome in beiden Gruppen

Beide Gruppen zeigten nach 1 Jahr signifikante Verbesserungen auf dem Oxford Knee Score. Sie unterschieden sich in ihrer Rehabilitation aber nicht voneinander. Zwar erreichte die Therapeuten-Gruppen einen um 1,91 Punkte höheren Oxford Knee Score. Dieser Unterschied war jedoch zu klein. Zudem schloss das Konfidenzintervall (CI) von -0,18 bis 3,99 die Null ein, die Differenz war also nicht signifikant. Auch beim praktischen Test und der allgemeinen Zufriedenheit gab es keinen Unterschied.

Teilnehmer der Therapeuten-Gruppe berichteten signifikant etwas häufiger, dass sie mit der Schmerzreduktion zufrieden seien (Odds Ratio 1,66, 95% CI 1,10-2,52), und sie alltägliche (OR 1,66, CI 1,09-2,51) und schwere körperliche Aufgaben bewältigen konnten (OR 1,57, CI 1,02-2,42).

Die Turbo-Rehabilitation ist nicht realistisch

Für Hube liegt die ähnliche Entwicklung auch daran, dass eine TEP immer ein schwerer Eingriff ist, der einen starken Reizzustand hervorruft. „Danach geht es vorrangig darum, diesen Zustand zu lindern.“ Ziel sei ja ohnehin nicht, einen Leistungssportler schnell wieder fit zu machen. „Sondern es handelt sich bei der Arthrose des Kniegelenkes um eine degenerative Situation mit langsamem Abbau der Leistungsfähigkeit, anders als beim Sportunfall.“

 
Es ist nach wie vor unklar, warum einige Patienten eine schlechte Rehabilitation haben. Möglicherweise ist der Einfluss von Physiotherapie nur gering. Dr. David F. Hamilton und Koautoren
 

Die Autoren der Studie sind mit ihren Schlussfolgerungen zurückhaltend. „Es ist nach wie vor unklar, warum einige Patienten eine schlechte Rehabilitation haben. Möglicherweise ist der Einfluss von Physiotherapie nur gering.“ Der fehlende Unterschied könne auch damit erklärt werden, dass Teilnehmer allein durch die Studie dafür sensibilisiert wurden, dass bei ihnen ein Risiko vorliegt – und sie sich deshalb auch zu Hause mehr Mühe mit den Übungen gaben.

Auch Hube betont, dass die Ergebnisse nur unter Studienbedingungen zu Stande gekommen seien. „Man müsste sehen, ob man diese Art der Anleitung in die Breite übertragen kann.“ Er hält dies aber durchaus für möglich.

„Die Entscheidung muss natürlich individuell getroffen werden, und es muss immer ein Backup durch einen Physiotherapeuten geben“, so der Experte. „Aber zurzeit wird in Deutschland oft undifferenziert zu viel gemacht, ohne biologische Heilungsprozesse genügend zu berücksichtigen.“
 

Kommentar

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