Gut gemeint ist oft schlecht gemacht – sagt ein Sprichwort. Das trifft womöglich auch auf die Miniserie „Ehrenpflegas“ zu, mit der das Familienministerium junge Menschen für die Pflege begeistern will. Seit wenigen Tagen ist die Serie auf Youtube zu sehen. Doch die 5 kurzen, rund 6-minütigen Folgen im Stil der Kino-Komödie „Fack Ju Göthe“ rufen alles andere als Begeisterung hervor.
Kritik von vielen Seiten
„Tatsächlich repräsentieren diese Videos weder den Arbeitsalltag eines Pflegenden, noch die Professionalität oder die Werte, für die die professionelle Pflege steht. Für ausgebildete und professionell arbeitende Pflegekräfte ist diese Miniserie eine Zumutung“, sagt Thomas van den Hooven, Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sowie Pflegedirektor des Universitätsklinikums Münster in einer Stellungnahme.
DIVI-Präsident Prof. Dr. Uwe Janssens sagt: „Ich war wirklich sehr betroffen und sprachlos, als ich die Serie zum ersten Mal gesehen habe. Hier werden zukünftige Pfleger teilweise absurd dargestellt. Was glaubt Familienministerin Franziska Giffey eigentlich, wie in Deutschland die Arbeit der Pflegenden und die Pflegeausbildung aussehen? Die Kampagne ist gut gemeint, verfehlt aber das Ziel.“
„Die Darstellung der Anforderungen an Pflegefachpersonen in der Miniserie ‚Ehrenpflegas‘ verletzt Selbstverständnis, Ethos und Pflegefachlichkeit der Berufsgruppe“, macht auch der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) in seiner Stellungnahme deutlich.
„Wir distanzieren uns ausdrücklich von der Darstellung der bereits in den ersten Sekunden erzeugten Aussage, bei den Pflegefachberufen handele es sich um ein Auffangbecken für alle Personen, denen an anderer Stelle keine Perspektive eröffnet wird. Pflege ist ein anspruchsvolles Handlungsfeld, für das es Kompetenzen und Fähigkeiten braucht. Niemand stolpert zufällig in eine Pflegeausbildung.“
Junge Menschen auf unkonventionelle Weise ansprechen
„Die Serie ist Teil unserer großen Ausbildungsoffensive für die Pflege und es geht darum, dass wir unter dem Motto ‚Mach Karriere als Mensch‘ mehr junge Menschen dazu bewegen wollen, sich für den Pflegeberuf zu entscheiden. Der Film ist zusätzlich eine Möglichkeit auch junge Menschen auf unkonventionelle Weise anzusprechen“, erklärt Familienministerin Franziska Giffey im Werbespot auf pflegeausbildung.net. Dort kommen auch Auszubildende und Pflegekräfte zu Wort, die das Unkonventionelle der Kurz-Episoden gelungen finden.
Doch in den sozialen Netzwerken häufen sich negative Postings. Betroffene in der Pflege fühlen sich „verarscht“, die Clips seien „Schwachsinn“ und „ein Schlag ins Gesicht aller beruflich Pflegenden“.
„Die Azubis und Weiterbildungsteilnehmer sind erbost und erschüttert über die Youtube-Serie ‚Ehrenpflegas‘, die sie weder als witzig noch als identitätsstiftend erleben“, berichtet Tilmann Müller-Wolff, Akademieleiter der Kliniken im Verbund der Regionale-Kliniken-Holding mit Sitz in Ludwigsburg, der rund 700 Pflege-Auszubildende begleitet. Müller-Wolff ist zudem Sprecher der DIVI-Sektion „Pflegeforschung und Pflegequalität“. Er sagt: „Als Beitrag zur Förderung der Pflegeberufe oder deren Ausbildung ist diese Veröffentlichung überhaupt nicht geeignet.“
Laut Medienberichten soll die Kampagne des Familienministeriums rund 700.000 Euro gekostet haben. „So viel Geld hätte wesentlich besser in eine zielgerichtete Kampagne investiert werden sollen, die des Pflegeberufes würdig ist. Kliniken brauchen dringend klugen und empathischen Pflegenachwuchs, der Patienten und Angehörige optimal in ihrer jeweiligen Lebenssituation unterstützen kann“, betont Janssens, der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler ist.
Die DIVI hat dazu schon im vergangenen Jahr die Kampagne „Intensiv.Pflege.Leben!“ gestartet. In ehrenamtlich produzierten Videoclips erklären Pflegekräfte, was sie an ihrem Beruf lieben. Zudem sind beim letztjährigen Jahreskongress der DIVI in einer Videobox zahlreiche Clips entstanden, in denen Pflegerinnen und Pfleger über die Herausforderungen und abwechslungsreichen Seiten ihres Berufs sprechen. „Hier erfährt die Politik, was den Pflegekräften wirklich wichtig ist“, erklärt Janssens.
Sofortiges Ende der Kampagne gefordert
Die klischeehafte Überzeichnung in „Ehrenpflegas“ spiegele allenfalls die Vorurteile der Macher wider, schreibt die DBfK. Das habe auch damit zu tun, dass keine der die Pflegeberufe vertretenden Organisationen in die Pläne der Miniserie, deren Vorbereitung oder Realisierung einbezogen gewesen seien. Der von den Machern nachgeschobene Realitätscheck könne die Defizite in der Gestaltung der Serie nicht nachträglich ausgleichen.
Auch der Bundesverband Pflegemanagement hält „Ehrenpflegas“ für nicht tragbar. Die Miniserie verfehle ihr erklärtes Ziel, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und für die neuen Ausbildungsformen zu werben. „Die Serie spiegelt nicht im Ansatz das Berufsbild von Pflegefachpersonen wider. Vielmehr werden durch die dargestellten Berufsanforderungen Selbstverständnis, Berufsethos sowie Fachlichkeit der Profession verletzt“, sagt Sarah Lukuc, Vorstandsmitglied vom Bundesverband Pflegemanagement.
Das Satire-Format Browser Ballet bringt auf Twitter die Kritik auf den Punkt: „Immer wieder fordern Mitarbeiter im Pflegedienst mehr Personal, mehr Geld und bessere Ausbildungsbedingungen. Zurück kommt mit ‚Ehrenpflegas‘ eine Serie auf Youtube.“ Für viele, die täglich Schwerstarbeit leisten sei das ein Schlag ins Gesicht. Die Kritik an der Serie in den sozialen Medien ebbt jedenfalls nicht ab: 2 Petitionen mit bereits knapp 22.000 Unterzeichnern fordern ein sofortiges Ende der Kampagne.
Bessere Bezahlung und mehr gesellschaftliche Wertschätzung
Müller-Wolf betont: „Pflegefachkräfte kennen die gesellschaftlichen Erwartungen und können diesen mit Pflegekompetenz begegnen. Sie wünschen sich aber auch von der Gesellschaft die fachliche Anerkennung ihrer umfassenden Kompetenzen.“
Er weist darauf hin, dass viele Pflegende den Pflegeberuf studieren, universitäre und praktische Pflegeforschung etabliert sich zunehmend. Die Pflegenden seien heutzutage international vernetzt und lösen fachliche Herausforderungen in nationalen oder globalen Treffen.
Mit dieser oberflächlichen Darstellung der Pflegeausbildung werde niemand erreicht, der eine Tätigkeit suche, in der Intellekt und Empathie gefordert sind meint Van den Hooven und fordert: „Die Politik muss die Pflegeausbildung ernst nehmen und realistisch abbilden. Die große Fachlichkeit und Expertise der Pflegekräfte sollte dabei im Mittelpunkt stehen. Dazu erwarten wir auch von Seiten des Bundesfamilienministeriums konstruktive Vorschläge!“
„Die Gesundheitspolitik muss den Pflegerinnen und Pflegern dringend mehr Entscheidungskompetenzen am Patientenbett zusprechen. Zudem müssen die Lohnverhältnisse dringend verbessert werden. Und statt mit einer Webserie den Pflegern vor den Kopf zu stoßen, wäre eine Kampagne für mehr gesellschaftliche Wertschätzung sicherlich sinnvoller“, sagt Janssens. „Eines muss klar sein: Ohne sehr gut ausgebildete und verantwortungsvoll arbeitende Pflegekräfte sind wir Ärzte nichts!“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Das ging nach hinten los – Unkonventionelle YouTube-Produktion „Ehrenpflegas“ wird heftig kritisiert - Medscape - 28. Okt 2020.
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