Mütter, die mit COVID-19 infiziert sind, übertragen das Virus nur sehr selten an ihren Nachwuchs. Das ist das Ergebnis einer retrospektiven Kohortenstudie, die jetzt im JAMA publiziert worden ist [1].
Die Studienautoren um Dr. Cynthia Gyamfi-Bannerman von der Abteilung für Geburtshilfe und Gynäkologie von der Columbia University in New York, USA, hatten in ihre Analyse 101 Neugeborene von 100 Müttern eingeschlossen. Die Mütter waren zwischen dem 13. März und dem 24. April 2020 positiv auf auf SARS-CoV-2 getestet oder mit Verdacht auf eine COVID-19-Infektion stationär aufgenommen worden.
„Wir fanden keinen klinischen Nachweis für eine vertikale Virusübertragung von der Mutter auf das Neugeborene. Und das obwohl die meisten Säuglinge im selben Zimmer wie ihre Mütter untergebracht waren und auch direkt gestillt wurden“, schreiben Gyamfi-Bannerman und Kollegen.
„Die Studie zeigt, dass eine Übertragung von SARS-CoV-2 von der Mutter auf den Säugling sehr selten vorkommt und vor allem, dass ein normaler Umgang mit dem Kind (Hautkontakt und Stillen) nach der Geburt nicht zu einem erhöhten Übertragungsrisiko führt“, kommentiert PD Dr. Dietmar Schlembach von der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG) gegenüber Medscape die Studienergebnisse. Die Zahl von 101 in die Analyse eingeschlossenen Säuglingen und 100 Müttern sei jedoch zu gering, um dies komplett auszuschließen, fügt er hinzu.
„Es gibt gut dokumentierte Fallberichte, die eine Übertragung auf den Säugling in der Schwangerschaft bzw. um die Geburt berichten. Allerdings ist ein derartiges Ereignis sehr selten. Das Risiko einer Übertragung durch die Muttermilch ist weiterhin unklar, aber unwahrscheinlich“, erklärt Schlembach, der die Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln leitet.
Die Arbeit im JAMA bringe keine wesentlichen neuen Erkenntnisse und werde die aktuellen Empfehlungen der DGGG nicht verändern. Um zuverlässige Aussagen über das Übertragungsrisiko machen zu können, wären Studien an weitaus größeren Patientinnenzahlen nötig, betont Schlembach.
Trennung von Mutter und Kind nicht nötig
An den 101 Neugeborenen (54 Mädchen, 53,5%) waren insgesamt 141 Tests in den Lebenstagen 0 bis 25 durchgeführt worden. 2 der Neugeborenen wiesen unklare Ergebnisse auf, die auf eine niedrige Viruslast hindeuteten (2,0%; 95%-Konfidenzintervall: 0,2%-7,0%). Ein Neugeborenes wurde keinem weiteren Test unterzogen, blieb aber bei der Nachuntersuchung unauffällig. Das andere war beim erneuten Test negativ.
Der COVID-19-Status der Mütter wurde als asymptomatisch/mild symptomatisch versus schwer/kritisch klassifiziert. Die klinischen Verläufe der Neugeborenen wurden mit dem mütterlichen COVID-19-Schweregrad verglichen. Ein schwerer Verlauf bei den Müttern war mit Neugeborenen assoziiert, die etwa 1 Woche früher geboren wurden (mittleres Gestationsalter 37,9 vs 39,1 Wochen; p = 0,02) und die ein erhöhtes Risiko hatten, phototherapeutisch behandelt werden zu müssen (3 von 10; 30,0% vs 6 von 91; 7,0%; p = 0,04), im Vergleich zu Neugeborenen von Müttern mit mildem COVID-19.
Von den 101 Neugeborenen wurden 55 Säuglinge 10 Tage lang nachbeobachtet und blieben gesund. 23 dieser Neugeborenen wurden im Zeitraum 3. bis 25. Lebenstag 32 mal untersucht und bei keinem gab es Hinweise auf eine SARS-CoV-2-Infektion. 82 Säuglinge kamen nach der Entbindung in eine Krippe, 19 auf die Intensivstation.
Die Neugeborenen in der Krippe verbrachten viel Zeit mit ihren Müttern (Rooming in). Die Säuglinge, die bei ihren Müttern untergebracht waren, hatten mindestens 1,80 m Abstand zu diesen. Die Mütter mussten während der Wehen, während der Geburt und während der Säuglingspflege Masken tragen, auch während des Stillens war ein Mund-Nasen-Schutz Pflicht.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass die Trennung von betroffenen Müttern und Neugeborenen während der COVID-19 Pandemie nicht gerechtfertigt ist und dass das direkte Stillen sicher zu sein scheint“, schreiben die Studienautoren.
Wie infektiös waren die Mütter zum Zeitpunkt der Entbindung?
In ihrem Kommentar würdigen Dr. Karen M. Puopolo und Dr. David W. Kimberlin die kleine Studie als „wichtige Arbeit, die ein gutes Beispiel dafür liefert, wie sorgfältige Beobachtungen unser Verständnis für bislang Unbekanntes zu verbessern“ [2]. Einige Aspekte, so die Kommentatoren, sollten aber dennoch bedacht werden.
Puopolo und Kimberlin geben zu bedenken, dass der Zeitpunkt der Infektion der Mütter für viele Frauen nicht vollständig bekannt war, denn die meisten (67 von 100) waren asymptomatisch und wurden nur aufgrund von Routinetests vor der Geburt identifiziert. Berücksichtige man die Besonderheiten der RT-PCR auf SARS-CoV-2, dann „ist es möglich, dass viele der Mütter zum Zeitpunkt der Entbindung gar nicht mehr infektiös waren“.
Sie erinnern auch daran, dass nur 76 der Säuglinge (75,2%) am Rooming-in teilnahmen, 6 Säuglinge von schwer erkrankten Müttern wurden intensiv behandelt und separiert. Und 19 Säuglinge wurden von vorneherein auf die Intensivstation gebracht, auf der infizierte Eltern nicht anwesend sein durften. Auch wurden nur 55 von 101 Neugeborenen nachverfolgt und nach der Entlassung aus der Geburtsklinik wurden nur 6 Säuglinge erneut auf SARS-CoV-2 getestet.
„Das geringe Risiko einer perinatalen Übertragung muss deshalb auch im Kontext des unklaren Zeitpunkts vieler mütterlichen Infektionen gesehen werden“, schreiben sie. Noch wichtiger sei, das geringe Risiko eben auch im Kontext der körperlichen Trennung von Mutter und Kind in 25 Fällen (24,8%) und auch der sorgfältigen Infektionskontrolle in den anderen 75,2% der Fälle zu betrachten. „Das Gleichgewicht zwischen diesen Risiken ist jetzt klarer und wird in Betracht gezogen, wenn die Empfehlungen zum Management von Neugeborenen überarbeitet werden“, schließen sie.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Trennung nicht nötig: SARS-CoV-2-positive Mütter infizieren ihre Neugeborenen wohl nur sehr selten - Medscape - 26. Okt 2020.
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