Durchschnittlich 3 Lebensjahren gewannen bariatrisch operierte Adipositas-Patienten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe Übergewichtigen, die nicht operiert worden waren. Das ergab die schwedische SOS (Swedish Obese Subjects)-Studie, die seit 1987 läuft. Das Schicksal der insgesamt 2.007 operierten Patienten haben Prof. Dr. Lena Carlsson und ihre Kollegen sowohl mit einer Gruppe von nicht operierten Übergewichtigen als auch mit einer Referenzgruppe aus der Normalbevölkerung verglichen. Ihre Ergebnisse haben sie im New England Journal of Medicine veröffentlicht an [1].

Prof. Dr. Arne Dietrich
Hauptautorin Carlsson betont allerdings, dass sowohl die vergleichsweise längere Lebenserwartung als auch der Gewichtsverlust nach der bariatrischen Operation durchschnittliche Werte seien: „Alle Patienten sind unterschiedlich, deshalb kann man daraus nicht schließen, dass jeder, der operiert wird, auch drei Jahre länger lebt.“
Der Vergleich zu einer Referenzgruppe aus der Normalbevölkerung fiel weniger positiv aus, denn trotz Operation starben die schwedischen Patienten immer noch 5,5 Jahre früher. Der Leipziger Adipositas-Chirurg Prof. Dr. Arne Dietrich weist allerdings darauf hin, dass sich die Operationsmethoden seit dem Beginn der SOS-Studie stark verändert haben.
Die in der Studie hauptsächlich verwendete Methode der vertikalen bandverstärkten Gastroplastik werde heute gar nicht mehr eingesetzt, und auch ein Magenband nur noch selten verwendet. „In der Studie gab es drei Operationsarme, zwei der Operationsmethoden setzt man heute fast gar nicht mehr ein. Mit heutigen Operationsmethoden würden sicher noch bessere Ergebnisse herauskommen“, ist Dietrich überzeugt.
Weniger Gewicht, längeres Leben
Die anfangs im Mittel rund 11 verlorenen BMI-Punkte bei den bariatrisch operierten Patienten waren zwar im Laufe über 20 Jahren auf etwa 7 BMI-Punkte Gewichtsverlust zusammengeschrumpft. Damit standen die OP-Patienten aber trotzdem deutlich besser da als die konservativ behandelten Übergewichtigen der Kontrollgruppe. An deren Gewicht hatte sich im Schnitt nämlich wenig verändert, der BMI bewegte sich im Laufe der Jahre sogar etwas nach oben.
Die Operation sei offenbar auf lange Sicht bei schwer Übergewichtigen erfolgreicher als die konservative Therapie, sagt auch der Vizepräsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, der Diabetologe Prof. Dr. Jens Aberle vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf: „Die Patienten nehmen mehr Gewicht ab, und die Nachhaltigkeit ist auch größer.“
Allerdings sei der Gewichtsverlust bei der Operation nicht das eigentliche Ziel, sagt Chirurg Dietrich. „Wir haben mit der neuen Leitlinie das Therapieziel geändert, da geht es ja in erster Linie darum, Begleiterkrankungen zurückzudrängen, damit man auch wieder länger lebt. Es geht nicht per se um Kilos oder BMI-Punkte, das ist nur das Mittel zum Zweck.“
Die operierten Patienten der SOS-Studie starben denn auch seltener als die nicht operierten an kardiovaskulären Erkrankungen oder an Krebs. Allerdings hatten sie ein gewisses Operationsrisiko – wobei auch das vor 20 oder 30 Jahren höher gewesen sei als heute, sagt Dietrich. „Die Mortalität bei der Operation ist in Deutschland sehr gering, aber eine Langzeitstudie wie in Schweden gibt es hier nicht.“ Auch Aberle weist darauf hin, dass für Deutschland keine wirklich vergleichbaren Daten existieren.
Situation in Deutschland
Wie stark sich bariatrische Operationen in Deutschland auf die Lebenserwartung auswirken, lasse sich daher gar nicht so leicht beurteilen. Denn anders als in Schweden werden Patienten in Deutschland im internationalen Vergleich eher spät operiert, zeigen Daten des globalen IFSO-Registers. „Der weltweite Durchschnitt liegt bei einem BMI von 42, wir operieren bei einem BMI von 50. Wir operieren auch ein paar Lebensjahre später. Wenn man eher operieren würde, dann würde man auch ein paar mehr irreparable Endorganschäden vermeiden“, sagt Dietrich.
Denn bei der Operation hätten Patienten bereits jahre- oder jahrzehntelang Übergewicht gehabt, „so dass diese Patienten schon extrem viele Vorschäden mitbringen, im Sinne von Spätschäden durch Diabetes und Adipositas, wie Atherosklerose, eine Nierenschädigung oder eine Leberschädigung“. Auch Aberle sieht Argumente für einen früheren Operationszeitpunkt: „Wenn es darum geht, eine maximale Zunahme der Lebenserwartung zu erreichen, dann müsste man möglichst früh operieren.“
Risiken nach Operation
Auch nach der Operation erreichten, zumindest die Patienten der schwedischen SOS-Studie, in der Regel nicht das Normalgewicht. Sie waren im Schnitt mit einem BMI von über 30 weiterhin adipös, wenn auch deutlich weniger als vor der Operation. Das ist einer der Faktoren, den die schwedischen Wissenschaftler neben dem Operationsrisiko dafür verantwortlich machen, dass der Mortalitätsunterschied zur Normalbevölkerung immer noch groß war. Dazu kamen für die operierten Patienten erhöhte Risiken des Alkoholismus und eine verstärkte Suizidalität in der Operationsgruppe.
Nicht alle diese Risiken sieht Dietrich auch für Deutschland: „Zum Alkoholismus gibt es nur Daten aus Schweden und den USA, in Deutschland haben wir keine Hinweise, dass das ein Problem darstellt.“
Das erhöhte Suizidrisiko sei bekannt und würde entsprechend beachtet. „Man weiß, dass es da eine Risikogruppe gibt, nämlich Patienten, die vor der Operation schon Depressionen oder selbstschädigendes Verhalten gezeigt haben. Dem wird Rechnung getragen, indem diese Patienten nachbefragt werden sollen, damit man rechtzeitig reagieren kann.“
Besseren Evidenz durch Langzeitstudie
Insgesamt sei die schwedische Studie eine weitere, die dafür spreche, dass die Mortalität nach einer bariatrischen Operation im Vergleich zur üblichen Übergewichtsbehandlung reduziert sei, erklärt Dietrich. „Das ist nicht wirklich neu, aber jetzt nochmal mit einer besseren Evidenz über den Langzeitverlauf.“
In einer bereits vor 5 Jahren publizierten US-Studie, die retrospektiv adipöse Veteranen der amerikanischen Armee betrachtet, kamen die Autoren ebenfalls zu dem Schluss, dass sich für die bariatrisch operierten Patienten nach einigen Jahren Nachverfolgung ein klarer Überlebensvorteil im Vergleich zu Nichtoperierten ergibt.
Aberle findet die Erkenntnisse der Langzeitstudie wichtig: „Es war immer noch unklar, ob man mit einer Gewichtsreduktion tatsächlich auch Lebensjahre gewinnt. Aber das scheint nach den Erkenntnissen der SOS-Studie tatsächlich so zu sein. Wie man Gewicht reduziert, ist wahrscheinlich zweitrangig, wobei für die konservative Therapie der Beweis noch aussteht.“
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Diesen Artikel so zitieren: Leichter länger Leben: Bariatrische Operation schenkt Patienten durchschnittlich 3 zusätzliche Jahre - Medscape - 22. Okt 2020.
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