Ein Glaukom geht in aller Regel erst im fortgeschrittenen Stadium mit Symptomen wie merkbaren Gesichtsfeldausfällen einher, wenn die Schäden an den Sehnerven bereits irreversibel sind. Frühzeitig erkannt und behandelt lässt sich das Fortschreiten aber meistens aufhalten oder zumindest verzögern.
In einer neuen Leitlinie bewerten die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) und der Berufsverband der Augenärzte Deutschlands (BVA) die Risikofaktoren für das Offenwinkelglaukom und geben Empfehlungen, welchen Patienten die Früherkennungsuntersuchung (als individuelle Gesundheitsleistung/IGeL-Leistung) angeboten und in welchen Abständen sie wiederholt werden sollte.

Prof. Dr. Alexander Schuster
Details erläuterte Prof. Dr. Alexander Schuster vom Zentrum für ophthalmologische Epidemiologie und Versorgungsforschung an der Augenklinik der Universitätsmedizin Mainz auf einer virtuellen Pressekonferenz zum DOG-Online-Kongress 2020 [1] .
Viele Betroffene ahnen nichts von ihrer Erkrankung
Knapp 3% der europäischen Bevölkerung im Alter zwischen 40 und 80 Jahren erkranken an einem Glaukom, dabei nimmt das Risiko mit steigendem Alter zu. Daten zur Inzidenz an einem Offenwinkelglaukom – der häufigsten Glaukom-Form (>90%) zeigen, dass etwa 0,5 bis 1,5% der Personen im Alter von 40 bis 80 Jahren, also etwa einer von hundert, innerhalb der nächsten 5 Jahre erkrankt.
„Aus bevölkerungsbasierten Studien wissen wir allerdings, dass nur zwischen 20 und 50 Prozent der Patienten überhaupt wissen, dass sie an einem Glaukom leiden“, berichtete Schuster. „Früh erkannt kann die Erkrankung meist noch mit Hilfe von Augentropfen, Laserbehandlung oder chirurgischer Therapie aufgehalten werden“, so der Mainzer Ophthalmologe.
Risikofaktoren: Alter, Augeninnendruck, Familienanamnese, Myopie
Grundlage der neuen S2e-Leitlinie (nach dem AWMF-System) ist eine systematische Recherche zu den Risikofaktoren des Offenwinkelglaukoms, die bewertet und als Rationale für Screening-Empfehlungen von Risikopatienten genutzt wurden.
Die wichtigsten Risiken sind neben dem Alter eine positive Familienanamnese, ein erhöhter Augeninnendruck, Myopie, längere Applikation von Steroiden systemisch oder am Auge sowie Ablagerungen auf der Linse (Pseudoexfoliato lentis) und im Kammerwinkel. Einige Erkenntnisse dazu:
Im Vergleich zu 40- bis 49-Jährigen erkranken 50- bis 59-Jährige etwa 2-fach häufiger neu an einem Offenwinkelglaukom, 60- bis 69-Jährige 3-fach häufiger und über 70-Jährige 4-fach häufiger (in kaukasischen Bevölkerungen). Menschen mit dunkler Hautfarbe erkranken öfter und in jüngerem Alter daran.
Personen mit einer positiven Familienanamnese ersten Grades in Bezug auf ein Glaukom haben ein 2-fach erhöhtes Risiko, selbst an einem solchen zu erkranken.
Bei einer okulären Hypertonie (≥24 mmHg) beträgt das Risiko 9%, in den nächsten 5 Jahren an einem Glaukom zu erkranken.
Bei einer Myopie ab -4 Dioptrien besteht ein 2- bis 3-faches Glaukomrisiko in den nächsten 10 Jahren.
Bei Pseudoexfoliatio lentis besteht ein 4- bis 6-fach erhöhtes Risiko für ein Offenwinkelglaukom.
Empfehlung zum Früherkennungs-Screening für alle ab 40
„Die Autoren der Leitlinie kamen zu dem Schluss, dass allen Personen ab dem 40. Lebensjahr eine Glaukom-Früherkennung angeboten werden solle“, so Schuster (er hatte die Federführung im Leitlinien-Redaktionskomitee).
Die Glaukom-Früherkennung sollte zumindest sowohl die beidseitige Fundoskopie mit Untersuchung der Papille als auch eine Intraokular-Druckmessung (Tonometrie) umfassen. Dabei wird angenommen, dass sich mit der Kombination dieser beiden Untersuchungen eine Sensitivität von etwa 80% und eine Spezifität von etwa 90% erzielen lässt.
Wiederholungsintervalle variieren mit Risikoprofil und Alter
Der Abstand zur nächsten Screening-Untersuchung sollte dem Mainzer Ophthalmologen zufolge je nach Risikoprofil und Alter gewählt werden: „In der Altersgruppe zwischen 40 und 59 Jahren sollte die Untersuchung alle 5 Jahre wiederholt werden, ab 60 Jahren alle 2 bis 3 Jahre – vorausgesetzt, dass kein Risikofaktor außer dem Alter vorliegt, sonst deutlich häufiger.“
Bei Glaukom-Verdacht kommen weiterführende Untersuchungen (wie Perimetrie oder morphometrische Verfahren wie die optische Kohärenztomografie/OCT) in Frage.
Nach wie vor keine Erstattung des Glaukom-Screenings durch die GKV
Während die Datenlage beim Thema Risikofaktoren für ein Glaukom gut sei, gibt es Schuster zufolge zu einigen Aussagen der Leitlinie noch keine Studien, aus denen sich die Empfehlungen zuverlässig ableiten lassen. Nach wie vor sind reine Screening-Untersuchungen zur Glaukom-Früherkennung auch nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) enthalten und sind eine vom Patienten zu zahlende individuelle Gesundheitsleistung, die ihn zwischen 20 und 40 Euro kostet.
Hierbei kritisiert die GKV eine ihrer Meinung nach nicht ausreichende Evidenz für das Screening. Sie zahlt Fundoskopie, Tonometrie und weitergehende Untersuchungen nur bei begründetem Glaukom-Verdacht oder zur Verlaufskontrolle.
„Die Empfehlungen der Leitlinie berücksichtigen jedoch auch die Folgen, die zu erwarten wären, wenn Untersuchungen unterbleiben“, so die Entgegnung Schusters. So seien aus ethischer Sicht die Folgen eines nicht oder zu spät entdeckten Glaukoms weit schwerwiegender als der Aufwand bei einem Glaukomverdacht, der sich bei weitergehenden Untersuchungen als unbegründet erweist.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Ophthalmologen empfehlen: Jeder ab 40 sollte zur Glaukom-Früherkennung - Medscape - 19. Okt 2020.
Kommentar