Remdesivir wurde und wird in der SARS-CoV-2-Pandemie immer wieder als großer Hoffnungsträger gehandelt – ob zu Recht, daran lassen neue Daten Zweifel aufkommen: Der Arzneistoff senkt nämlich nicht die Mortalität von schwer erkrankten COVID-19-Patienten. Das geht aus einem jetzt auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlichten Artikel hervor. Dieser wurde vom WHO Solidarity Trial Consortium publiziert [1].
Prof. Dr. Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie am Universitätsklinikum Regensburg, kommentiert die Ergebnisse: „Die SOLIDARITY-Studie gibt damit einen deutlichen Hinweis, dass ein Effekt von Remdesivir auf die Mortalität von COVID-19 gering ist.“ Zwar müsse auch noch die Auswertung anderer Endpunkte abgewartet werden, erklärt er gegenüber dem Science Media Center Germany. Doch: „Die bisher veröffentlichten Studien zu Remdesivir zeigen eine klinische Wirksamkeit (raschere klinische Besserung, vor allem bei schwer Erkrankten), aber keinen signifikanten Unterschied in der Mortalität zwischen einer Remdesivir-Therapie und einer Behandlung mit Placebo.“
Der Experte gibt zu bedenken: „In der ACTT-1 Studie (die Studie, die Basis der Zulassung von Remdesivir bei COVID-19 ist), bei der mehr als 25 Prozent invasiv beatmet wurden im Vergleich zu etwa 10 Prozent im SOLIDARITY Trial, zeigte sich ein Trend zu einer niedrigeren Sterblichkeit.“
Was bedeuten die enttäuschenden SOLIDARITY-Ergebnisse nun für die klinische Praxis? „Ich vermute, dass die Anwendung von Remdesivir sich durch die SOLIDARITY-Studie nicht rasch ändern wird – eine klinische Wirksamkeit ist vorhanden, hier zeigen alle bisherigen Studien immerhin in die gleiche Richtung: eine raschere Verbesserung des klinischen Zustands auf der Ordinalskala der WHO“, so Salzberger.
Details zur SOLIDARITY-Studie
In der SOLIDARITY-Studie der WHO sind die Pharmaka Remdesivir, Hydroxychloroquin, Lopinavir (Festdosis-Kombination mit Ritonavir) und Interferon-β1a (hauptsächlich subkutan; zunächst mit Lopinavir, später nicht mehr) bei COVID-19 untersucht worden.
11.266 Erwachsene aus 30 Ländern wurden in die Studie aufgenommen und randomisiert einem Arm zugeteilt, wobei 2.750 Remdesivir, 954 Hydroxychloroquin, 1.411 Lopinavir, 651 Interferon plus Lopinavir, 1.412 nur Interferon und 4.088 kein Studienmedikament bekamen.
Die Compliance lag bei 94 bis 96%, mit 2 bis 6% Crossover. Es wurden 1.253 Todesfälle gemeldet, und zwar im median am 8. Tag der Therapie. Die 28-Tage-Mortalität lag insgesamt bei 12%, betrug aber 39%, wenn die Patienten bereits beatmet wurden; ohne Beatmung waren es 10%. Als relatives Risiko der Mortalität im Vergleich zu keiner Therapie (95% Konfidenzintervall) geben die Forscher an:
Für Remdesivir RR=0,95 (0,81-1,11, p=0,50; 301/2.743 Todesfälle versus 303/2708 bei Kontrollen)
Für Hydroxychloroquin RR=1,19 (0,89-1,59, p=0. 23; 104/947 Todesfälle versus 84/906 bei Kontrollen)
Für Lopinavir RR=1,00 (0,79-1,25, p=0,97; 148/1399 Todesfälle versus 146/1.372 bei Kontrollen)
Für Interferon RR=1,16 (0,96-1,39, p=0,11; 243/2.050 Todesfälle versus 216/2.050 bei Kontrollen).
Keines der Studienmedikamente reduzierte definitiv die Mortalität bei nicht beatmeten Patienten oder bei einer anderen Subgruppe. Auf die Einleitung einer künstlichen Beatmung oder auf die Hospitalisierungsdauer hatte ebenfalls keine der Therapien Effekte gezeigt.
Auch Prof. Dr. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Tropenmedizin sowie Leiter der dortigen Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen, München Klinik Schwabing, äußert sich gegenüber SMC ernüchtert: „Die Ergebnisse der groß angelegten SOLIDARITY Studie der WHO mit immerhin 11.266 weltweit eingeschlossenen Patienten sind nicht ganz unerwartet, aber daher nicht weniger enttäuschend.“
Es lasse sich festhalten, dass keines der 4 getesteten Medikamente die Sterblichkeit an COVID-19 bei symptomatischen Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, verringere. „Dass hier auch Remdesivir bei größerer Fallzahl und im ‚real word setting` versagt hat, ist die eigentliche Enttäuschung. Denn für die anderen Medikamente war die Nicht-Wirksamkeit weitgehend schon vorher durch kleinere Studien belegt worden“, sagt er weiter.
Als „ernüchternd“ bezeichnet er zudem, dass „zusätzlich auch für alle vier Substanzen kein Vorteil bezüglich der Initiierung einer invasiven Beatmungstherapie auf Intensivstation und der Krankenhaus-Verweildauer gezeigt wurde“.
„Es ist nicht überraschend, dass für Hydroxychloroquin und Lopinavir keine Wirkung gezeigt werden konnte“, kommentiert auch Salzberger. „Dass Interferon aber sogar eher einen negativen Effekt auf den Krankheitsverlauf hat, das ist wiederum überraschend.“
Sein Wunsch: „Was uns leider noch fehlt, ist eine Antwort auf die Frage, wie wir sinnvoll die beiden Therapiestrategien Dexamethason und Remdesivir kombinieren.“
Wendtners Fazit lautet: „Vorerst ist Remdesivir das einzige Medikament, neben Dexamethason, dass uns an der klinischen COVID-19-Front zur Verfügung steht. Aber ein großer klinischer Durchbruch sieht anders aus und mahnt uns, dass der Kampf gegen COVID-19 noch lange nicht gewonnen ist.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Enttäuschende Daten aus der WHO SOLIDARITY-Studie: Remdesivir hat keinen Effekt auf die Sterblichkeit bei COVID-19 - Medscape - 16. Okt 2020.
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