VERTIS CV: „Etwas enttäuschend“ – kardiologischer Nutzen von Ertugliflozin bleibt hinter dem anderer SGLT-2-Hemmer zurück

Mitchel L. Zoler

Interessenkonflikte

15. Oktober 2020

Weitere Analysen aus der kardiovaskulären Endpunkt-Studie mit dem SGLT-2-Hemmer Ertugliflozin bei Patienten mit Typ-2-Diabetes tragen zu mehr Klarheit bei, was den Nutzen des Medikaments bezüglich des Erhalts der Nierenfunktion angeht. Sie liefern zudem weitere vielversprechende Hinweise darauf, dass die gesamte Wirkstoffklasse der SGLT-2-Hemmer Patienten mit Herzinsuffizienz und einer reduzierten Ejektionsfraktion zugutekommen könnte.

Allerdings gibt es mit Ertugliflozin (Steglatro®) ein Grundproblem, wie sich im Juni 2020 auf der Jahrestagung der American Diabetes Association (ADA) gezeigt hat, wo erstmals die Ergebnisse der VERTIS CV-Studie vorgestellt worden sind: Die Studie erreichte zwar ihren primären Endpunkt, nämlich die Nichtunterlegenheit gegenüber Placebo für den kombinierten Endpunkt aus kardiovaskulär bedingtem Tod oder nicht tödlichem Herzinfarkt oder Schlaganfall. Doch Ertugliflozin zeigte im Vergleich zu Placebo auch keinen Hinweis auf einen Nutzen – so war die kombinierte Rate dieser unerwünschten Ereignisse nur nicht signifikant um relativ 3% niedriger als unter Placebo.

„Etwas enttäuschende“ Ergebnisse der Studie

Insgesamt waren die Ergebnisse von VERTIS CV mit Ertugliflozin „etwas enttäuschend“, kommentierte Prof. Dr. Melanie J. Davies, die nicht an der Studie beteiligt war. Sie leitete eine Sitzung auf der virtuellen Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD), auf der die wichtigsten Ergebnisse nochmals dargestellt und eingeordnet sowie um einige neue explorative Analysen ergänzt worden waren [1].

Obwohl die Ergebnisse der 8.246 Patienten umfassenden VERTIS CV-Studie (Evaluation of Ertugliflozin Efficacy and Safety Cardiovascular Outcomes Trial) Ertugliflozin im Hinblick auf die Sicherheit als ebenbürtig zu den anderen Medikamenten seiner Klasse darstellt, „sehen wir leider nicht die signifikanten Vorteile bezüglich kardiovaskulärer Ereignisse wie in vielen früheren Studien mit anderen SGLT-2-Hemmern, etwa mit Canagliflozin (Invokana®), Dapagliflozin (Forxiga®) und Empagliflozin (Jardiance®)“, sagte Davies in einem Interview.

Das Fazit ist, zumindest vorläufig, dass Ertugliflozin „wahrscheinlich keine Zulassung für weitere neue Indikationen erhalten wird“, prognostizierte sie. Im Gegensatz dazu haben andere SGLT-2-Hemmer bekanntlich inzwischen (z.B. in den USA) eine Indikation zur Senkung kardiovaskulärer Todesfälle (Empagliflozin), zum Einsatz bei schweren kardiovaskulären Erkrankungen (Canagliflozin) oder bei Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes und kardiovaskulären Erkrankungen (Canagliflozin) erhalten – Dapagliflozin ist auch zur Senkung des Risikos für Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz zugelassen.

Nur einen signifikanten Unterschied bei den sekundären Endpunkten

Die Hauptergebnisse von VERTIS CV sind nach der EASD-Sitzung online im New England Journal of Medicine veröffentlicht worden [2]. Unter 10 sekundären Endpunkten gab es nur bei einem einzigen einen signifikanten Unterschied zwischen der Behandlung mit Ertugliflozin und Placebo (dies über eine mediane Nachbeobachtungszeit von 3 Jahren): Die Rate an Klinikeinweisungen aufgrund von Herzinsuffizienz war um relativ 30% niedriger (absolute Reduktion 1,1%). Dies war der einzige Aspekt, in dem Ertugliflozin die gleichen Vorzüge wie andere SGLT2-Hemmer zeigte.

 
Diese Ergebnisse werden zu manch heftigen Diskussionen … darüber führen, welche Effekte dieser Wirkstoffe Klasseneffekte sind. Prof. Dr. Javed Butler
 

Das Design von VERTIS CV erfordert jedoch eine hierarchische Auswertung der sekundären Endpunkte: Im primären Endpunkt war Ertugliflozin Placebo nicht signifikant unterlegen. Der nächste ausgewertete sekundäre Endpunkt war dann die Reduktion der kombinierten kardiovaskulären Sterbe- oder Hospitalisierungsrate bei Herzinsuffizienz. Die Behandlung mit Ertugliflozin senkte diesen Endpunkt im Vergleich zu Placebo um relativ (nicht signifikante) 12%.

Dieser neutrale Befund führte dazu, dass weitere statistische Tests der anderen sekundären Endpunkte, einschließlich etwa die Effekte auf die Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz, gar nicht mehr gemacht wurden. Damit bleibt relativ sicher, dass das Medikament auch auf Weiteres in seiner Indikation auf die Kontrolle des Blutzuckerspiegels beschränkt bleibt.

Auswahl unter den SGLT-2-Hemmern

„Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass es einen Nutzen hinsichtlich der Blutzuckerspiegel und was stationäre Behandlungen wegen Herzinsuffizienz angeht“ für alle 4 SGLT-2-Hemmern gibt. „Darüber hinaus ist das Beste, was wir heute [über die Anwendung dieser Medikamente in der Praxis] sagen können, dass die zugelassenen Indikationen und Leitlinien-Empfehlungen befolgt werden sollten“, kommentierte der Kardiologe Prof. Dr. Javed Butler, Lehrstuhlinhaber an der University of Mississippi in Jackson.

„Diese Ergebnisse werden zu manch heftigen Diskussionen in Forschung, Klinik und Behörden darüber führen, welche Effekte dieser Wirkstoffe Klasseneffekte sind“, sagte er in einem Interview.

„Ich denke, es wird die Verordnung von Ertugliflozin beeinflussen, insbesondere bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bei Patienten, bei denen man Herzinsuffizienz oder chronische Nierenerkrankungen positiv beeinflussen möchte“, fügte Davies, Diabetologin an der Universität Leicester, England, hinzu. „Wir haben ja bereits positive Ergebnisse [in Bezug auf diese Endpunkte] für die anderen Wirkstoffe aus dieser Klasse.“

Ein Punkt, der vielleicht zu Gunsten von Ertugliflozin spreche, sei sein Preis. In den USA wird Ertugliflozin in der Regel etwa 40% unter dem Preis der 3 anderen SGLT-2-Wirkstoffe angeboten – ein Unterschied, der sich zu einer jährlichen Kostenersparnis von etwa 2.500 Dollar summieren kann. Ein wichtiger Gesichtspunkt für Kliniker bei der Entscheidung, welchen SGLT-2-Hemmer sie verschreiben, sollte sein, „was sich der Patient leisten kann“, merkte Dr. Darren K. McGuire während der Diskussion der Studie beim virtuellen EASD-Kongress an. Er ist Ko-Studienautor der VERTIS CV-Studie.

Neue Analysen zeigen mehr Konsistenz bei den Niereneffekten

Eine Überraschung in der ursprünglichen VERTIS CV-Publikation war der renale Endpunkt, eine Kombination von Tod aus renaler Ursache, Notwendigkeit einer Dialyse oder Verdoppelung des Serumkreatinin-Spiegels, was einer Senkung der geschätzten glomerulären Filtrationsrate (GFR) um mindestens 50% entspricht. Dieser zusammengesetzte Endpunkt tendierte in Richtung eines signifikanten Nutzens, erreichte aber bei einer relativen Reduktion um 19% knapp nicht die Signifikanz.

Dieser kombinierte Endpunkt habe wahrscheinlich „die Messlatte etwas zu hoch angesetzt“, sagte Dr. David Z.I. Cherney, ein Nephrologe, der die Nieren-Subanalyse in der Studie leitete. Er präsentierte bei der virtuellen EASD-Sitzung mehrere explorative Analysen, die beruhigende Evidenz dafür liefern, dass Ertugliflozin unter den SGLT2-Hemmern kein Ausreißer ist, wenn es um den Nutzen für die Niere geht.

Die vielleicht überzeugendste Analyse, die er vorstellte, basierte auf einer leicht angepassten Definition des kombinierten Nieren-Endpunkts: Hier hatte er das Ziel einer GFR-Reduktion von 50% durch ein Ziel von einer Reduktion um lediglich mindestens 40% ersetzt.

Mit diesem etwas weniger anspruchsvollen Zielwert ergab sich für die Behandlung mit Ertugliflozin in VERTIS CV eine relative Risikoreduktion im Vergleich zu Placebo um relativ 34%, was einer absoluten Reduktion um etwa 1% entspricht, die statistisch signifikant war. Wichtig ist, dass dies sehr nahe an genau der Wirkung lag, wie sie auch bei den anderen 3 SGLT-2-Hemmern für diesen revidierten Endpunkt in anderen Studien beobachtet worden war.

 
Der Gesamteindruck von VERTIS CV ist, dass es weniger Nutzen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (als andere SGLT-2-Hemmer) gab. Dr. David Z.I. Cherney
 

Konzentriert man sich darauf, eine Reduktion der GFR um nur 40% oder höher zu verhindern, dann „gibt das ein viel robusteres Maß für den Nierenschutz“, betonte Cherney, Kliniker und Forscher an der Universität Toronto, in einem Interview. „Die Kernaussage ist, dass der Nierenschutz (durch Ertugliflozin) mit dem anderer Medikamente dieser Klasse konform geht, wenn man ihn auf diese Weise oder anhand einiger der anderen alternativen Parameter betrachtet“, berichtete er.

An den festgestellten Unterschieden hinsichtlich der Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zwischen den verschiedenen SGLT-2-Hemmern ändern die revidierten Nierenanalysen jedoch nichts. „Der Gesamteindruck von VERTIS CV ist, dass es weniger Nutzen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (als andere SGLT-2-Hemmer) gab“, dies mit Ausnahme der Prävention von Krankenhausaufenthalten aufgrund von Herzinsuffizienz, sagte Cherney.

Schwere Frage für die Behandlung der Herzinsuffizienz

Die Studienautoren konnten auch die Krankenakten der aufgenommenen Patienten durchforsten und fanden darin Informationen zur Vorgeschichte der Herzinsuffizienz und Angaben zur Ejektionsfraktion. Ein Datensatz, der im Vergleich zu anderen kardiovaskulären Endpunktstudien mit SGLT-2-Hemmern „einzigartig“ ist, wie Prof. Dr. Francesco Cosentino anmerkte, ein weiterer Autor der VERTIS CV-Studie und Kardiologe am Karolinska-Institut in Stockholm.

Etwa ein Viertel der eingeschriebenen Patienten wies eine Vorgeschichte von Herzinsuffizienz auf, und etwa die Hälfte dieser Patienten wiederum hatte eine Herzinsuffizienz mit erhalten gebliebener Ejektionsfraktion – insgesamt etwa 1.000 Patienten. In dieser Untergruppe ging die Behandlung mit Ertugliflozin mit einer 30%igen relativen Reduktion der Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz im Vergleich zu Placebo einher, was einer absoluten Reduktion von etwa 0,5% entspricht.

Die Zahlen in dieser Patientengruppe waren klein und nicht aussagekräftig genug, um überzeugende Evidenz zu liefern, aber sie weisen auf einen Nutzen bei Patienten mit diastolischer Herzinsuffizienz (HFpEF) hin. Derzeit werde ein möglicher Nutzen für speziell diese Patienten in Studien weiter getestet, sagte Cosentino.

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

Kommentar

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