MEINUNG

“Toxische Männlichkeit“ – Politikpsychologe analysiert, wie Politiker mit Krankheiten umgehen und was sie ändern sollten

Christian Beneker

Interessenkonflikte

14. Oktober 2020

Prof. Dr. Thomas Kliche

Der Politikpsychologe Prof. Dr. Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal, beobachtet seit langem, wie Politiker sich verhalten, wenn sie krank werden. Im Interview mit Medscape schildert er, wie Volksvertreter mit ihren Krankheiten in der Regel umgehen und was sie in Zukunft besser machen sollten.

Medscape: Herr Prof. Kliche, Donald Trump zeigt sich als strahlender Sieger über seine Corona-Infektion. Seine Rückkehr ins Oval Office hat er per Video wie eine Epiphanie des Heilands inszeniert. Warum ist es für Politiker so schwer, auch mal Schwäche zuzugeben?

Prof. Kliche: Mein Eindruck aus vielen Jahren der Beobachtung ist, dass wir die meisten Krankheiten der Politiker gar nicht mitbekommen. Vor ein paar Jahren wurden zum Beispiel im Bundestag Drogenspuren gefunden. Aber das verschwand schnell wieder aus den Nachrichten.

Alle Krankheiten, die die Urteils- und Handlungsfähigkeit beeinträchtigen können, also die mit Abhängigkeiten oder psychischen Symptomen behaftet sind, zum Beispiel die Volkskrankheit Depression, werden im Politbetrieb verschwiegen.

Viele Wähler würden sie nämlich als massiven Einbruch an Vertrauenswürdigkeit erleben. Politiker sollen ja rasch und erfolgreich unsere Interessen durchsetzen. Körperliche Krankheiten dagegen, wie etwa Krebs, werden als Schicksalsschläge auch bei Politikern akzeptiert. Entsprechend offener ist der Umgang der Gesellschaft mit der Krankheit. Dies zeigen zum Beispiel die Fernsehrauftritte von Mike Mohring oder Manuela Schwesig, die beide Krebs hatten.

Medscape: Aber es ist doch auch etwas dran, dass Politiker mit Depressionen wahrscheinlich weniger leistungsstark sind, oder?

Prof. Kliche: Das ist völlig richtig. Zwar haben gewiss auch Politiker ein Recht auf Privatsphäre – wie alle Menschen. Aber Respekt vor der Privatsphäre ist gegenüber Politikern immer brüchig, weil sie öffentliche Personen sind. Also ihre Person ist Teil der unausgesprochenen Vereinbarung zwischen Wähler und Gewähltem.

Politiker gelten als eine Art Gesamtpaket des Gelingens, auch dank Gesundheit und Kraft. Dafür werden sie gewählt und sollen dann liefern. Deshalb schwamm schon Mao durch den Jangtse. Da wirken toxische Männlichkeit, Ideale von Macht, Zupacken, Durchsetzungsvermögen, Erfolg um fast jeden Preis zusammen.

Auch Trump und Biden machen sich ironischer Weise gegenseitig den Vorwurf, psychisch oder körperlich nicht auf der Höhe zu sein. Große Teile der Dominanzkultur, in der wir leben, glauben immer noch an den starken Mann, gerade in Krisen sehnen sich viele Menschen nach kraftvoller Führung und öffnen sich für kollektive Illusionen von Kontrolle.

Medscape: Werden Politiker unter diesem Stress öfter krank?

Prof. Kliche: Nach allem, was wir wissen, nicht. Zwar müssen sie andauernd erhebliche Anforderungen erfüllen – ständig mit vielen Parteien gleichzeitig kommunizieren, Bündnisse aufbauen, Streitigkeiten austragen. Aber sie haben auch große Spielräume, ihre Tätigkeit selbstständig zu gestalten. Aus arbeitspsychologischer Sicht ist Autonomie eine Schlüsselressource für ihre Gesundheit. Auch infolge höherer Bildung und höheren Einkommens sind Politiker im Mittel gesünder als der Durchschnittsbürger. Beides erhöht wesentlich die Selbstregulationsfähigkeit.

Medscape: Sind sie nicht einfach Pferdenaturen, schon deshalb, weil andere Typen es gar nicht in die Spitzenpolitik schaffen würden? Von Bundeskanzlerin Angela Merkel heißt es, sie könne länger und zäher als andere verhandeln, weil sie ihren Schlaf aufsparen könne.

Prof. Kliche: Politiker müssen lange Arbeitstage und rasche Aufgabenwechsel bewältigen, ein brillantes Gedächtnis haben, sich lange konzentrieren und komplexe Sachverhalte mit Riesenmengen dröger Details ständig neu aufnehmen. Das sind auch gewissermaßen Trainingsgeräte für Resilienz, die Widerstandsfähigkeit gegen Belastungen.

Medscape: Manuela Schwesig, Mike Mohring oder Wolfgang Bosbach haben mit ihren offenen Worten über ihre Krebserkrankungen auch Sympathiepunkte gewonnen. Nach dem Motto: In meiner Schwäche bin ich stark.

Prof. Kliche: Ja, und nicht nur aus Mitgefühl. Die Schwäche oder die Krankheit, die jemand zeigt, macht ihn mir als Bürger ähnlicher. Das gleiche Schicksal kann mich treffen, ich habe keinen Supermenschen vor mir. Zugleich kann uns die Tapferkeit imponieren, die Last zu schultern, durchzuhalten, in die Zukunft zu blicken.

Medscape: Entfacht da der offene Umgang mit körperlicher Schwäche und Krankheit nicht auch eine Art von Kraft? Eine andere Form von Stärke, die sich Politiker indirekt zu Nutzen machen können: Zum Beispiel die Ohnmacht der Krankheit gegenüber eingestehen, um dann darüber wieder mehr Macht zu erhalten?

Prof. Kliche: Prinzipiell ja. In einer Familie würde man an Strategien emotionaler Erpressung denken. Aber für Politiker ist das keine rollengerechte Haltung, sie sollen ja mit starker Hand und klarem Kopf die Welt gestalten. Mit Schwäche zu punkten, würde bei mehrfachem Gebrauch rasch peinlich.

Medscape: Welchen Umgang mit Krankheit zwischen falscher Stärke und falscher Schwäche könnten Politiker wählen, um im Falle von Krankheiten zu gesunden?

Prof. Kliche: Diese Frage berührt eine neue Aushandlung des unausgesprochenen Vertrages zwischen Politikern und Wahlvolk. Welche Rolle werden Politik und Parteien zukünftig spielen? Was können unsere Repräsentanten real noch bewirken, was dürfen wir verlangen?

Klimakrise, Migration und Pandemie zeigen, dass rohe Politik, die mit lautem Ton und harter Hand, uns langfristig nicht weiterführt. Wir brauchen weltweit neue innergesellschaftliche Entwürfe und Bündnisse, um solche Krisen zu meistern.

Die einzelnen kerngesunden Super-Politiker werden das nicht zustande bringen. Weitsicht und Teamwork sind gefragt, und Offenheit. Also der Abschied von fertigen Lösungen. Vielleicht wird der einzelne Politiker unter dem Druck der Krisen aus dem Fokus rücken und wieder stärker Argumenten und weitblickenden Konzepten Platz machen, wie wir Sicherheit und Wohlstand erhalten können. Dieser neue psychologische Vertrag mit der Politik entsteht gerade erst. Weit sind wir damit noch nicht gekommen.

Für die anstehende Bundestagswahl werden als erstes wieder vor Durchsetzungsvermögen strotzende Kandidaten diskutiert. Ich meine, das ist der falsche Weg. Er ist angesichts der globalen Herausforderungen fast lächerlich.

 

Kommentar

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