Nach Insolvenz des Abrechnungsdienstleisters AvP: Krankenkassen springen den mehr als 3.000 betroffenen Apotheken bei

Christian Beneker

Interessenkonflikte

14. Oktober 2020

Diese Pleite erschüttert die Branche. „AvP Deutschland GmbH“, der größte private Dienstleister zur Abrechnung von Rezepten hat am 15. September 2020 Insolvenz angemeldet und schuldet den Apotheken nun eine Menge Geld. Mehr als 3.000 Apotheken in Deutschland sind betroffen, und manche könnten in Existenznot geraten.

Damit die Geschäftsleute vor Ort nicht auf Grund laufen, haben nun 5 Ersatzkassen und der Deutsche Apothekerverband den betroffenen Apotheken Unterstützungen zugesagt. Die Barmer, die DAK-Gesundheit und die Kaufmännische Krankenkasse (KKH), die Handelskrankenkasse (hkk) und die Hanseatische Krankenkasse (HEK) haben mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV) eine Vereinbarung abgeschlossen. Man wolle schnell und unbürokratisch helfen, hieß es. Die 5 Ersatzkassen versichern insgesamt rund 17,4 Millionen Menschen in Deutschland.

Die Liquidität erhalten

Die Hilfe umfasst Abschlagszahlungen an die neuen Abrechnungsdienstleister der Apotheken für den Monat September. Außerdem können vormalige Kunden der AvP Leistungen aus den Monaten August und September noch bis zum 31. Dezember abrechnen, ohne Rechnungskürzungen befürchten zu müssen, teilen die Unterstützer mit.

Die Barmer zum Beispiel hat an die neuen Abrechnungszentren der betroffenen Apotheken für den Monat September bereits eine Abschlagszahlung von rund 32 Millionen Euro geleistet, berichtet Pressesprecher Thorsten Jacob auf Anfrage. „Die Abschlagszahlungen werden anhand der von der AvP für den Abrechnungsmonat August 2020 übermittelten Rechnungsdaten für jede Apotheke individuell errechnet.“

Die Unterstützung soll die Liquidität der Apotheken und damit die Arzneimittelversorgung sicherstellen. Darüber hinaus werden Retaxationen, also beanstandete Rechnungen, bei den betroffenen Apotheken von den Kassen erst Anfang 2021 verrechnet, hieß es. „Denn die Krankenkassen sollen ja den Apotheken das Geld, das sie ihnen als Abschlag vorab auszahlen, durch Retaxationen nicht gleich wieder abnehmen“, sagt Christian Splett, stellvertretender Pressesprecher der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zu Medscape

 
Die Krankenkassen sollen ja den Apotheken das Geld, das sie ihnen als Abschlag vorab auszahlen, durch Retaxationen nicht gleich wieder abnehmen. Christian Splett
 

Außerdem spricht sich die ABDA für die Beteiligung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus. „Unser Präsident Friedemann Schmidt hat gegenüber dem Gesundheitsausschuss des Bundestages dafür geworben, die Apotheken nicht nur mit Standardprodukten der KfW-Bank zu unterstützen, sondern bei Bedarf auch Einzelfallprüfungen vorzunehmen. Schließlich liegt eine funktionierende Arzneimittelversorgung im öffentlichen Interesse!“

Auch die AOK Rheinland stellt Retaxationen bis Januar 2021 zurück. Mit diesem Schritt wolle man einen Beitrag dazu leisten, dass sich die betroffenen Apotheken konsolidieren könnten, erklärte Matthias Mohrmann, Vorstandsmitglied der AOK Rheinland/Hamburg.

Ebenso die Techniker Krankenkasse (TK): Sie will eine reguläre Abschlagzahlung auf Mitte Oktober vorziehen. Zudem verlängert die Kasse die Abrechnungsfrist. Apotheken, die noch kein neues Rechenzentrum gefunden haben, haben jetzt 3 Monate Zeit, um ein Rezept in die Abrechnung zu geben. Die übliche normale Spanne beträgt einen Monat.

Anfangsverdacht „Bankrott“

Abrechnungsdienstleister wie die AvP sammeln die Rezepte der einzelnen Apotheken, regeln die Erstattung durch die einzelnen Kassen und zahlen das Geld an die Apotheken aus. So muss nicht jede Apotheke mit mehr als 100 Krankenkassen einzeln abrechnen und nicht jede Kasse an die rund 19.000 Apotheken in Deutschland einzeln auszahlen. Für die Apotheken ist ein zügiger Zahlungsverkehr wesentlich, weil sie den Löwenanteil ihrer Erlöse durch Rezepte machen. Die AvP rechnet etwa jede 6. Apotheke in Deutschland mit den Krankenkassen ab. 

Wie die AvP in die Bredouille geraten konnte, ist derzeit unklar. „Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat auf Basis einer Anzeige der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfes des Bankrotts gegen 2 Beschuldigte eingeleitet“, sagt Staatsanwalt Lukas Kockmann zu Medscape. Es gibt einen Anfangsverdacht. 

 
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat … ein Ermittlungsverfahren wegen des Tatvorwurfes des Bankrotts gegen 2 Beschuldigte eingeleitet. Lukas Kockmann
 

Genaueres wollte Kockmann nicht sagen. Ein Bankrott liege zum Beispiel dann vor, wenn versucht wird, aus der Insolvenzmasse Geld beiseite zu schaffen, indem Geld auf andere Konten verschoben wird oder indem Gläubiger ausgezahlt werden, obwohl sie gar kein Geld mehr erhalten dürften, sagt Kockmann. Möglicherweise seien in Hinblick auf die AvP auch noch andere Straftaten in Betracht zu ziehen, so der Staatsanwalt.

Verlässliche Zahlen sind kaum zu bekommen. Wie viel Geld aussteht, weiß keiner. „Hierzu kann ich leider derzeit noch keine belastbaren Angaben machen“, teilt Insolvenzverwalter Jan Philipp Hoos auf Anfrage mit. „Die Gesamtsumme steht erst fest, wenn die Apotheken nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf meine Aufforderung hin ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet haben.“ 

 
Die Gesamtsumme steht erst fest, wenn die Apotheken … ihre Forderungen zur Insolvenztabelle angemeldet haben. Jan Philipp Hoos
 

Wie viel Geld am Ende für die Apotheken aus der Insolvenzsumme fließen wird, „lässt sich erst am Ende des Insolvenzverfahrens mit Bestimmtheit sagen“, so Hoos. So müsse unter anderem geklärt werden, ob das Geld der Insolvenzmasse allen Gläubigern, also allen Apothekern, zusteht oder ob einzelne Apotheken aufgrund ihrer Vereinbarung mit AvP „bevorrechtigt“ sind, erklärt Hoos.

 

Kommentar

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