Frauen leiden anders an Diabetes als Männer. Was dies für die Therapie bedeutet, erklärt Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer im Video (Teil 2). In Teil 1 berichtete sie über Studien dazu vom EASD-Kongress.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Wien
Mein Name ist Alexandra Kautzky-Willer. Ich leite die klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der Medizinischen Universitätsklinik in Wien und bin Professorin für Gendermedizin.
Ich war Mitglied des Programmkomitees für den EASD-Kongress 2020 und habe mich sehr gefreut, dass es gelungen ist eine Sitzung zur Gendermedizin in den Kongress zu integrieren: „A gender-sensitive approach pays off in diabetes.“ (Anm. der Red.: Sehen Sie dazu auch den 1. Teil des Videos zur Bedeutung von Schwangerschaft und Sexualhormonen sowie den Vorträgen auf dem EASD)
Tatsächlich ist Diabetes ein schönes Beispiel für die Bedeutung der geschlechtsspezifischen Medizin. Die Unterschiede beginnen intrauterin und setzen sich bis in das hohe Alter fort. Sie sind teilweise biologisch durch die Sexualhormone bedingt, teilweise aber auch durch den Lebensstil, die gesellschaftlichen und soziokulturellen Faktoren.
Männer sind generell häufiger von Diabetes betroffen. Sie erkranken auch früher, also in jüngerem Alter und schon bei einem niedrigeren Body Mass Index. Sie sind also schon bei weniger Risikofaktoren betroffen. Frauen sind bei Beginn eines Diabetes meist stark übergewichtig und älter.
Man vermutet, dass bei Frauen mehr Zeit vergeht, vielleicht auch in dieser Prädiabetes-Phase, bis sich tatsächlich der Diabetes manifestiert, weil sie generell durch die Sexualhormone, vor allem das Östrogen, mehr geschützt sind. Östrogen wirkt günstig auf die Insulin-Sensitivität und die Insulin-Sekretion. Es wirkt günstiger auf die Körperfettverteilung mit weniger Inflammation im viszeralen Fettgewebe und weniger Atherosklerose-Risiko – zumindest in jüngeren Jahren.
Bei Frauen müssen mehr Risikofaktoren über einen längeren Zeitraum zusammenkommen, bis sich der Diabetes manifestiert und er diagnostiziert wird. Vielleicht wird er bei Frauen auch später diagnostiziert.
Wenn man nur den Nüchtern-Blutzucker misst, kann man den Diabetes eher übersehen, weil Frauen einen etwas niedrigeren Blutzucker und niedrigere HbA1c-Werte haben.
Deswegen empfiehlt sich, bei Frauen mit erhöhtem Risiko immer einen Blutzucker-Belastungstest zu machen. Über den 2-Stunden-Wert kann die gestörte Glukosetoleranz besser erfasst werden.
Diese Prädiabetes-Formen sind bei Frauen wesentlich häufiger. Man kann dann die Risikopersonen erkennen und gleich etwas dagegen tun, z. B. mit Lebensstil-Interventionen und sobald der Diabetes manifest ist kommen Medikamente ins Spiel.
Lebensstil-Interventionen rechtzeitig einsetzen
Gerade bei Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes-Anamnese wirkt Metformin besonders gut. Dieses kann dann schon im Prädiabetes-Stadium eingesetzt werden. Ideal ist natürlich immer die Lebensstil-Intervention, die ist sehr effektiv.
Bei Männern und bei Frauen kann man 40 bis 50% des Diabetesrisikos senken, wenn das Körpergewicht normalisiert wird bzw. mindestens 5% des Körpergewichts abgenommen wird. Hinzu kommen viel Bewegung und gesunde Ernährung.
Auch Nichtrauchen ist in der Prävention wichtig. Rauchen schadet der Gefäßgesundheit von Frauen noch mehr als der von Männern.
Es gibt vielleicht eine längere Latenzzeit bei Frauen. Aber man muss schon in jungen Jahren, gerade wenn Risikofaktoren, wie erhöhter Blutdruck, Fettstoffwechselstörungen oder viszerale Adipositas vorliegen, Blutzucker-Werte bestimmen, einen Blutzucker-Belastungstest machen. Und möglichst bald mit Lebensstil-Interventionen, vor allem Gewichtsreduktion, beginnen.
Diese vielen Risikofaktoren, wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen, tragen sicher auch dazu bei, dass Frauen mit Diabetes ein so hohes kardiovaskuläres Risiko haben. Frauen haben dadurch einen deutlicheren Risikoanstieg für Schlaganfall, für Herzschwäche, aber auch z. B. für Nierenfunktionsstörungen als Männer.
Auch eine aktuelle Metaanalyse kardiovaskulärer Endpunkt-Studien zeigt, dass Frauen mit Diabetes öfter einen Schlaganfall haben oder an Herzschwäche und chronischer Nierenerkrankung (CKD) leiden als Männer mit Diabetes.
Dabei werden sie gleichzeitig, aber seltener Leitlinien-konform behandelt. Sie erreichen die Zielwerte für LDL-Cholesterin, Blutdruck oder Gewicht seltener. Das trägt sicher alles mit dazu bei, dass ihr Risiko höher ist.
Frauen haben oft auch mehr Nebenwirkungen unter der Medikation. Weil sie z. B. vermehrt Muskelschmerzen haben, nehmen sie Medikamente, wie ihre Statine, dann nicht mehr. Das trägt sicher auch dazu bei, dass die Zielwerte nicht erreicht werden.
Ganz klar ist das aber noch nicht. Es ist sicher multifaktoriell. Ganz wichtig ist für alle im Gesundheitssystem Tätige, dass diese Risikofaktoren vor allem bei jüngeren Frauen öfter übersehen werden und dann das Risiko noch stärker steigt. Man muss Frauen screenen, untersuchen und dann entsprechend leitliniengerecht behandeln, genauso wie Männer.
Diabetesbehandlung bei Frauen
Gibt man SGLT-2-Hemmer, muss man vermehrt mit Harnweginfekten und Genitalmykosen rechnen. Dies kann auch dazu führen, dass Frauen die Therapie abbrechen. Auch Ketoazidosen unter diesen Wirkstoffen sind bei Frauen häufiger beschrieben.
GLP-1-Analoga wirken bei Frauen etwas besser. Es gibt Daten, dass das kardiovaskuläre Risiko bei Frauen unter dieser Therapie noch etwas stärker sinkt als bei Männern. Allerdings haben sie auch mehr Nebenwirkungen, weil offenbar eine höhere Konzentration des Wirkstoffes im Körper erreicht wird.
Die Glitazone lösen mehr Frakturen bei Frauen aus, das ist gut bekannt. Pioglitazon einer postmenopausalen Frau zu verabreichen, die vielleicht eine Osteoporose hat oder sturzgefährdet ist, wäre sicher keine gute Idee.
Ganz generell gilt, dass man bei kardiovaskulärem Risiko genauso wie bei Männern SGLT-2-Hemmer oder GLP-1-Analoga geben soll, je nachdem ob die Herzschwäche oder Nierenfunktionsstörungen oder auch atherosklerotische Probleme im Vordergrund stehen.
Metformin ist die Basis-Therapie. Dann soll man die weitere Therapie steigern, immer mit dem Ziel, den Zielbereich zu erreichen.
Aber man darf nicht nur glukozentrisch denken, sondern muss immer auch an die anderen Risikofaktoren denken wie LDL-Cholesterinspiegel, Blutdruck, aber auch das soziale Leben.
Ich hoffe, ich konnte Sie motivieren, sich noch mehr mit der Gendermedizin auseinander zu setzen. Es ist wichtig, in Richtung einer Precision Medicine oder personalisierten Medizin zu denken.
Gerade die COVID-19-Krise zeigt uns ja, dass tatsächlich in der Gesundheit ganz wesentliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen. Wenn wir im Genderbereich weiter forschen, können wir beiden helfen.
Medscape © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Therapie anpassen: Frauen mit Diabetes schlechter behandelt als Männer – Prof. Kautzky-Willer erklärt, was sich ändern muss - Medscape - 15. Okt 2020.
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