MEINUNG

Neuro-Talk: „Aufregend, produktiv und viele spektakuläre Daten“ – eine Liste guter Nachrichten aus 2020 – Corona zum Trotz 

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

14. Dezember 2020

Viele aufregenden Neuigkeiten aus 2020 in 7 Minuten – Prof. Dr. Hans-Christoph Diener hat gute Nachrichten aus der Neurologie für Sie mitgebracht – haben Sie alles mitbekommen? 

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich bin Hans-Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und ich möchte Ihnen heute einen kurzen Überblick geben, welche spektakulären neuen Daten es im Jahr 2020 in der Neurologie gab.

3. Platz beim Burden of Disease

Lassen sie mich mit Epidemiologie beginnen. Im Lancet ist die Burden of Disease Studie publiziert worden und sie zeigt, dass die wichtigsten und häufigsten Krankheiten in Europa die kardiovaskulären Erkrankungen sind. An 2. Stelle stehen Krebserkrankungen und an 3. Stelle die neurologischen Krankheiten. Innerhalb der Neurologie sind bezogen auf die angerichteten Schäden Schlaganfall mit 35%, Demenz mit 25% und die Migräne mit 20% die wichtigsten Krankheiten [1].

COVID-19 als beherrschendes Thema

COVID-19 war natürlich das beherrschende Thema in diesem Jahr. Es gibt eine Vielzahl von Publikationen, die zeigen, dass sowohl das Gehirn als auch das periphere Nervensystem mitbetroffen sein können. De große Schwierigkeit dabei ist herauszufinden, ob dies ein zufälliges Zusammentreffen oder ein kausaler Zusammenhang ist. Nach initialer Euphorie folgte die große Frustration: 3 der Therapieansätze, nämlich Hydroxychloroquin, Remdesivir und Tocilizumab waren alle in großen randomisierten Studien nicht wirksam.

Demenz: Neuer Biomarker Phospho-tau217

Am spektakulärsten im Bereich der Demenz war 2020 die Publikation der Lancet Commission zur Demenzprävention und -intervention [2]. Diese Publikation zeigt, dass viele potentiell behandelbare Risikofaktoren zur Demenz beitragen.

Ganz wichtig ist, dass es einen neuen Biomarker im Serum gibt, der mit hoher Sicherheit M. Alzheimer entdeckt und von anderen neurodegenerativen Erkrankungen differenziert [3]. Es handelt sich um Phospho-tau217. Dies hat eine immense Bedeutung für die Rekrutierung von Patienten in zukünftige randomisierte Studien.

Antisense-Therapie bei ALS

Was sich in Zukunft sicher durchsetzen wird, ist die Antisense-Therapie. Hier gibt es erste Hinweise bei der amyotrophen Lateralsklerose, dass dieser Ansatz zumindest bei einer genetisch determinierten Form der ALS, der SOD1-Form, möglicherweise wirksam ist [4]. Eine große Phase-3-Studie dazu läuft.

Therapie bei Status epilepticus

In der Epilepsie war m.E. eine Studie am wichtigsten, in der bei Patienten mit Status epilepticus, die nicht auf Benzodiazepine ansprachen, intravenöses Levetiracetam, mit Fosphenytoin und mit Valproinsäure verglichen wurde [5]. Alle 3 Substanzen waren wirksam. Sie waren sogar alle 3 gleich wirksam und das galt sowohl für Kinder, Jugendliche, Erwachsene und auch alte Menschen.

Tranexamsäure bei intrakraniellen Blutungen

In der Intensivmedizin haben wir 2 neue große Studien zur Tranexamsäure bei intrakraniellen Blutungen [6,7]. Die eine Studie und Metaanalyse zeigt, dass Tranexamsäure bei traumatischer intrazerebraler Blutung wirkt, wenn sie innerhalb von 3 Stunden gegeben wird. Dies gilt aber leider nicht bei spontanen intrazerebralen Blutungen.

Therapieansätze bei Neuromyelitis optica

Es gibt eine Vielzahl von neuen Therapieansätzen für die Neuromyelitis optica mit ganz verschiedenen Wirkungsmechanismen. Hierzu gehören beispielsweise Substanzen, die gegen Interleukin-6, Komplement C5 oder gegen CD 19 und 20 gerichtet sind.

Nusinersen bei spinaler Muskelatrophie

Bei den neuromuskulären Erkrankungen war mit Sicherheit die spektakulärste Erkenntnis, dass Nusinersen auch bei erwachsenen Patienten mit spinaler Muskelatrophie wirksam ist [8]. Ich bin sicher, dass die Antisense-Therapie noch bei vielen anderen Krankheiten eine Rolle spielen wird. Dazu laufen im Moment auch Studien bei der Huntington-Erkrankung.

Impfung gegen Parkinson?

Bei den Bewegungsstörungen gibt es etwas Neues. Sie wissen, dass Alpha-Synuclein das wesentliche Target bei der Parkinson-Erkrankung ist. Es gibt es nun zum ersten Mal eine Impfung gegen Alpha-Synuclein und diese wird jetzt in randomisierten Studien eingesetzt [9].

Vitamin D und Calcium bei Schwindel

Beim paroxysmalen Lagerungsschwindel zeigte eine große Studie aus Korea, dass wahrscheinlich Patienten von Vitamin D (400 IE) und Calcium 500 mg profitieren [10].

Neues zum Schlaganfall

Beim Schlaganfall haben wir in der Primärprävention gelernt, dass die SGLT2-Hemmer eben nicht nur beim Diabetes mellitus wirken, sondern auch vaskuläre Endpunkte wie beispielsweise Schlaganfälle reduzieren [11].

Beim akuten Schlaganfall ist m. E. die wesentliche Neuigkeit, dass das Zeitfenster für die systemische Thrombolyse mit neuen Bildgebungsverfahren auf bis zu 6 Stunden verlängert werden kann.

Eine Metaanalyse zeigt, dass die dekompressive Hemikraniektomie bei malignem Mediainfarkt auch bei über 70-jährigen Patienten wirksam ist [12].

In der Sekundärprävention haben wir neue Ziele für die Senkung des LDL-Cholesterin-Spiegels. Dieser sollte auf unter 70 mg/dl reduziert werden [13].

Wir haben eine 2. Studie zur Kombinationstherapie von 2 Thrombozyten-Funktionshemmern für die frühe Rezidivprophylaxe (10-15 Tage) nach TIA und leichtem Schlaganfall [14]. Letztes Jahr bekamen wir den Beleg, dass Clopidogrel plus ASS wirksamer ist als ASS. Und dieses Jahr gibt es nun Daten dazu, dass Ticagrelor plus ASS wirksamer ist als ASS. Beide Kombinationen haben aber natürlich ein erhöhtes Blutungsrisiko.

Bei der zerebralen Blutung hat eine weitere Studie gezeigt, das selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer das Risiko intrazerebraler Blutungen und auch von Rezidivblutungen erhöhen [15]. Patienten mit Depressionen und einer Vorgeschichte mit einer intrazerebralen Blutung sollten also mit trizyklischen Antidepressiva behandelt werden.

Ganz frustran sind die Studien zur Regeneration des Kortex nach Schlaganfall. Hier war zunächst vermutet worden, dass Fluoxetin wirkt. 2 große Studien mit über 1500 Patienten haben aber gezeigt, dass leider Fluoxetin die Prognose nach einem Schlaganfall nicht verbessert und zu Nebenwirkungen führt [16,17].

CGRP-Antagonisten beim Dauer-Kopfschmerz

Die wichtigste Erkenntnis beim Kopfschmerz war, dass monoklonale Antikörper gegen CGRP und den CGRP-Rezeptor nicht nur bei chronischer Migräne wirksam sind, sondern eindeutig auch bei Patienten mit einem Dauerkopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln.

Meine Damen und Herren, 2020 war ein sehr produktives und aufregendes Jahr und in 7 Minuten kann man natürlich nicht alles erzählen was in diesem Jahr passiert ist. Deswegen freue ich mich, Sie auch im neuen Jahr jeden Monat über Neues in der Neurologie informieren zu können.

Ich bin Hans Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
 

Kommentar

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