Lugano – Mit den Immuncheckpoint-Inhibitoren Nivolumab (Opdivo®) und Pembrolizumab (Keytruda®) jeweils in Kombination mit Chemotherapie konnte bei Patienten mit fortgeschrittenen oder metastasierten nicht vorbehandelten Magen- und Ösophaguskarzinomen das Gesamtüberleben und das progressionsfreie Überleben jeweils im Vergleich zu alleiniger Chemotherapie verlängert werden.
Prof. Dr. Markus Möhler, Leiter der gastroenterologisch-onkologischen Ambulanz, Universitätsmedizin Mainz, präsentierte beim virtuellen ESMO-Kongress 2020 die Ergebnisse der CheckMate-649-Studie mit Nivolumab [1]. Sein Fazit: „Nivolumab plus Chemotherapie repräsentieren eine neue Erstlinien-Standardtherapie für Patienten mit fortgeschrittenen Tumoren des Magens, der Speiseröhre und des gastroösophagealen Übergang.“
Die Ergebnisse der KEYNOTE-590-Studie präsentierte Prof. Dr. Ken Kato, National Cancer Center Hospital, Tokio, Japan [2]. Hier waren Patienten mit fortgeschrittenem Ösophaguskarzinom mit Pembrolizumab plus Chemotherapie oder Chemotherapie allein behandelt worden. Auch er schlussfolgerte, dass die Kombination nun ein neuer Therapiestandard in der Erstlinientherapie bei den untersuchten Indikationen werden sollte.
Wenig Therapiefortschritte in den letzten Jahrzehnten
An Karzinomen des Magens und der Speiseröhre sterben weltweit mehr als 800.000 Menschen im Jahr. Patienten mit HER2-negativen Tumoren überleben auch hierzulande nach Erstlinientherapie häufig nicht mal 1 Jahr. Die Therapie hat sich in den letzten 30 Jahren praktisch nicht geändert.
Leider hatten sich Immuncheckpoint-Inhibitoren in der Monotherapie bislang in verschiedenen Studien als nur begrenzt wirksam erwiesen. Nun sind sie in den Phase-3-Studien CheckMate 649 und KEYNOTE 590 jeweils in Kombination mit Chemotherapie in der Erstlinienbehandlung untersucht worden.
CheckMate 649: Nivolumab plus Chemotherapie in der Erstlinientherapie
Die CheckMate-649-Studie ist die bislang größte, internationale Phase-3-Studie mit einem PD-1-Hemmer in der Erstlinientherapie bei Patienten mit fortgeschrittenen Adenokarzinomen des Magens, der Speiseröhre und des gastroösophagealen Übergangs.
In der offenen Studie erhielten randomisiert 782 Patienten Nivolumab plus Chemotherapie (XELOX oder FOLFOX) und 767 Patienten Chemotherapie.
Etwa 60% der Patienten waren PD-L1-positiv. In der Verumgruppe wiesen 473 Patienten einen PD-L1 CPS (Combined Positive Score) von mindestens 5 auf, in der Vergleichsgruppe waren es 482. Der CPS umfasst die PD-L1-Expression auf Tumorzellen und auf Tumor-assoziierten Immunzellen.
Sterberisiko signifikant gesenkt
Koprimäre Endpunkte waren das Gesamtüberleben (OS) und das progressionsfreie Überleben (PFS) bei Patienten mit einer PD-L1-CPS von mindestens 5.
Die koprimären Endpunkte wurden erreicht. Die zusätzliche Gabe von Nivolumab reduzierte bei Patienten mit einer PD-L1-CPS von mindestens 5 das Sterberisiko um 29% signifikant. Das mediane OS wurde von 11,1 Monaten unter Chemotherapie auf 14,4 Monate unter zusätzlicher Nivolumab-Gabe verlängert (Hazard Ratio: 0,71; p < 0,0001). Nach einem Jahr lebten in der Nivolumab-Gruppe noch 57% der Patienten, in der Vergleichsgruppe 46%.
Auch bei den Patienten mit einer PD-L1-CP von mindestens 1 (HR: 0,77; p = 0,0001) sowie in der Gesamtgruppe (HR: 0,80; p = 0,0002) verlängerte der Immuncheckpoint-Inhibitor das Gesamtüberleben signifikant.
Nivolumab verringerte zudem das Risiko für Progression oder Tod signifikant um 23%. Der Immuncheckpoint-Inhibitor verlängerte das PFS von 6,0 Monaten im Median auf 7,7 Monate bei Patienten mit PD-L1-CPS von mindestens 5 (HR: 0,68; p < 0,0001). Bei Patienten mit PD-L1-CPS von mindestens 1 (HR: 0,74) und in der Gesamtgruppe (HR: 0,77) war das PFS bei Zugabe von Nivolumab ebenfalls länger.
Signifikant mehr Patienten (60%) sprachen auf die Kombination mit dem Immuncheckpoint-Inhibitor an als auf die Chemotherapie (45%; p < 0,0001). Das Ansprechen hielt im Median mit Nivolumab 9,5 Monate, mit alleiniger Chemotherapie 7,0 Monate an.
Häufigste unerwünschte Wirkungen in beiden Armen waren Übelkeit, Durchfall und periphere Neuropathien. Schwere immunologische Reaktionen vom Grad 3/4 oder höher wurden bei weniger als 5% der Patienten beobachtet.
Nivolumab plus Chemo sollte Therapiestandard werden
Diskutantin Dr. Elizabeth Smyth, Onkologische Abteilung, Cambridge University, Hospitals NHS Foundation Trust, UK, stimmte zu, dass der mit Nivolumab erreichte Überlebensvorteil von 3,3 Monaten bei Patienten mit einer PD-L1-CPS von mindestens 5 klinisch von Bedeutung ist. Deshalb sollte eine Gabe zusätzlich zu Chemotherapie in der Erstlinienbehandlung dieser Patienten ein neuer Therapiestandard werden.
Auch Prof. Dr. Salah-Eddin Al-Batran, Leiter der Abteilung gastrointestinale Onkologie am Krankenhaus Nordwest, Frankfurt, beurteilte bei einer Pressekonferenz der ESMO die Ergebnisse der CheckMate-649-Studie als klinisch sehr relevant. Für ihn wird die zusätzliche Gabe von Nivolumab bei diesen Tumoren bei Patienten mit einer PD-L1 CPS von mindestens 5 künftig Standard sein, kündigte er an.
KEYNOTE-590-Studie bei Ösophaguskarzinomen
In der doppelblinden placebokontrollierten KEYNOTE-590-Studie wurde eine Erstlinien-Chemotherapie ohne oder mit Pembrolizumab bei Patienten mit Plattenepithel- oder Adenokarzinomen der Speiseröhre oder Siewert Typ 1 Adenokarzinom des gastroösophagealen Übergangs untersucht.
Randomisiert wurden 370 Patienten mit Pembrolizumab (200 mg alle 3 Wochen über maximal 2 Jahre) plus Chemotherapie (Cisplatin plus 5-Fluorouracil bis zu 6 Zyklen) und 370 mit Chemotherapie allein behandelt. 52,5% waren Asiaten. Bei über 91% war die Erkrankung metastasiert. Ein Plattenepithelkarzinom lag bei 73%, ein Adenokarzinom bei 27% der Patienten vor. Rund 50% wiesen einen PD-L1 CPS von mindestens 10 auf.
Die Studie hatte 2 primäre Endpunkte, nämlich OS und PFS bei Patienten mit Plattenepithelkarzinom des Ösophagus und PD-L1 CPS von mindestens 10 sowie OS und PFS bei allen Patienten mit PD-L1 CPS von mindestens 10 sowie OS und PFS bei allen Patienten. Sekundärer Endpunkt war das Gesamtansprechen bei allen Patienten.
Kato stellte die Ergebnisse der finalen PFS- und der Interims-OS-Analyse vor (Stichtag: 2. Juli 2020). Nach einem Follow-Up von 10,8 Monaten verbesserte die zusätzliche Gabe von Pembrolizumab
das Gesamtüberleben (OS) bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus und einem PD-L1 CPS ≥10 von im Median 8,8 auf 13,0 Monate (HR: 0,57; p < 0,0001)
bei allen Patienten mit Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus stieg die mediane Überlebenszeit von 9,8 auf 12,6 Monate (HR: 0,72; p = 0,0006)
bei allen Patienten der Studie mit einem PD-L1 CPS ≥ 10 von 9,4 auf 13,5 Monate (HR: 0,62; p < 0,0001).
Wurden alle Patienten der Studie ausgewertet, war die Überlebenszeit von 9,8 auf 12,4 Monate erhöht (HR: 0,73; p < 0,0001).
Das progressionsfreie Überleben (PFS) wurde bei Patienten mit Plattenepithelkarzinomen des Ösophagus von 5,8 auf 6,3 Monate (HR: 0,65; p < 0,0001) verlängert und
bei denjenigen Patienten mit einem PD-L1 CPS ≥10 von 5,5 auf 7,5 Monate (HR: 0,51; p < 0,0001).
Das PFS bei allen Patienten der Studie stieg durch Pembrolizumab von 5,8 auf 6,3 Monate (HR: 0,65; p < 0,0001)
Die Ansprechrate lag in der Gesamtgruppe bei 45% unter Pembrolizumab und bei 29,3% in der Vergleichsgruppe (p < 0,0001). Das Ansprechen war mit 8,3 Monaten unter Pembrolizumab länger als mit 6,0 Monaten in der Chemotherapie-Gruppe.
Die Verträglichkeit der Medikation war in beiden Gruppen ähnlich. Es wurden keine neuen, bislang nicht bekannten Nebenwirkungen gesehen.
Diskutant Prof. Dr. Andrés Cervantes, Universität von Valencia, Italien, merkte noch an, dass die Patienten nicht nach dem PD-L1-CPS stratifiziert waren, was er als Voraussetzung für die Bewertung von Biomarkern in randomisierten Studien ansieht. Außerdem habe die Chemotherapie nicht dem üblichen Standard entsprochen, sie sei aber für dieses Protokoll akzeptabel gewesen. Außerdem vermisste er eine Analyse der Lebensqualität der Patienten.
Interpretation durch heterogene Studiengruppe erschwert
Cervantes kommentierte zudem: „Das Ergebnis für alle Patienten zeigt, dass es eine positive Studie ist. Sie erreichte die primären Endpunkte und die Therapie ist ein neuer Therapiestandard.“
Er wies allerdings darauf hin, dass in der KEYNOTE-590-Studie Patienten mit Plattenepithel- und mit Adenokarzinomen eingeschlossen worden waren, was er als nicht sinnvoll ansieht, dass es sich um 2 unterschiedliche Tumorarten handele. Die Interpretation der Daten werde dadurch erschwert.
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Diesen Artikel so zitieren: Magen- und Speiseröhrenkrebs: Immuntherapie als Add-on zur Chemo in der ersten Linie angekommen - Medscape - 25. Sep 2020.
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