Die Prognose bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) hat sich durch Biologika und moderne Operationsmethoden erheblich verbessert. Damit eine optimale Behandlung gelingt, sollte man allerdings einige wichtige Voraussetzungen erfüllen.
Wichtig kann zum Beispiel sein, dass die entzündlich-rheumatische Erkrankung in einem möglichst frühen Stadium erkannt und behandelt wird. Denn das therapeutische Fenster kann sich bereits wenige Monate nach dem Auftreten erster Symptome wieder schließen.
Strategien zum Erhalt selbst stark betroffener Gelenke sowie zur Wiederherstellung der Mobilität durch Prothesen gehörten zu den Schwerpunktthemen des virtuellen Rheumatologie-Kongresses 2020, der gemeinsam von der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) und der Deutschen Gesellschaft für Orthopädische Rheumatologie (DGORh) veranstaltet wurde [1].
Medscape stellte DGORh-Kongresspräsident Dr. Martin Arbogast, Chefarzt im Zentrum für Rheumatologie, Orthopädie und Schmerztherapie der Waldburg-Zeil-Kliniken Oberammergau, 10 Fragen zu wichtigen Themenbereichen, auf die es bei der Behandlung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen ankommt. Lesen Sie hier seine Antworten und aktuellen Empfehlungen:
1: „Hit hard and early“
Medscape: Warum plädieren Sie dafür, bei der Rheumatoiden Arthritis so früh wie möglich mit einer medikamentösen und bei Bedarf auch frühzeitig mit einer operativen Behandlung zu beginnen?
Dr. Arbogast: Kennzeichen der rheumatoiden Arthritis (RA) ist, dass eine Entzündung die Gelenkstrukturen schädigt. In deren Folge gehen diese Strukturen schließlich irreversibel verloren. Je früher interveniert wird, desto effektiver können bleibende Schäden verhindert werden. Wir sprechen hier von einer Strategie des „Hit hard and early". Diese Möglichkeit ist jedoch nur dann gegeben, wenn die Erkrankung rechtzeitig erkannt wird.
2: Früherkennung
Medscape: Welche Früherkennung kann bereits in der hausärztlichen Praxis erfolgen?
Dr. Arbogast: Alle anamnestisch berichteten Gelenkschmerzen und -schwellungen, die länger als 4 bis 6 Wochen dauern, sollten als möglicher Hinweis auf eine rheumatische bzw. entzündlich-rheumatische Erkrankung angesehen werden.
Zur Frühdiagnostik in der hausärztlichen Praxis eignet sich dann zunächst das kleine Labor. Ein erhöhter CRP-Wert passt in eine entzündliche Genese und sollte dazu veranlassen, den Patienten für eine weiterführende Diagnostik an einen internistischen oder orthopädischen Rheumatologen zu überweisen.
3. Immunologische Tests
Medscape: Was umfasst die weitergehende immunologische Diagnostik?
Dr. Arbogast: Von den Laboruntersuchungen spielt insbesondere die Bestimmung von Antikörpern gegen citrullinierte Peptide (ACPA) wie z.B. von CCP-Antikörpern eine wichtige Rolle. Sie zeigen eine rheumatoide Arthritis sehr spezifisch an und sind bereits sehr früh im Blut von Betroffenen nachweisbar.
Hingegen ist der Rheumafaktor allein kaum aussagekräftig: Viele RA-Patienten werden darauf negativ getestet, andererseits kann er durch andere Erkrankungen oder auch altersbedingt erhöht sein.
4. Röntgen, MRT oder Sono?
Medscape: Welche Bildgebung kommt in Frage?
Dr. Arbogast: Die Chance einer Früherkennung rheumatischer Gelenkveränderungen mittels Sonographie oder MRT ist deutlich höher als mit Röntgen. Denn Röntgenaufnahmen hinken der Erkrankung in frühen Stadien deutlich hinterher.
Mit dem Power-Doppler sonographisch lassen sich sogar die Zotten im Innern eines Gelenks erkennen und damit Aussagen zu dessen Zustand treffen. Sofern in der allgemeinmedizinischen Praxis ein entsprechendes Ultraschallgerät und die zugehörige Weiterbildung vorhanden sind, können solche Untersuchungen auch dort stattfinden.
MRT-Untersuchungen dienen anschließend der Beurteilung des Gelenkknorpels und des Knochens, was mit dem Ultraschall nicht möglich ist.
Sicher sollte bei begründetem Verdacht auf eine rheumatische Erkrankung dann aber möglichst immer auch ein Rheumatologe in die weitere Betreuung der Patienten eingebunden werden.
5. Revolution durch Biologika
Medscape: Was hat die Einführung der Biologika bewirkt?
Dr. Arbogast: Biologika haben die Behandlung entzündlich-rheumatischer Krankheiten revolutioniert. Sie kommen – nicht zuletzt auch aufgrund ihres sehr hohen Preises – aber erst dann zum Einsatz, wenn mit konventionellen Basis-Medikamenten wie Methotrexat kein ausreichender Behandlungserfolg zu erzielen ist, was auf schätzungsweise ein Viertel der Patienten zutrifft.
Biologika wirken gezielter und schneller als konventionelle Antirheumatika. Unter ihrem Einfluss haben sich die Verlaufsformen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen u.a. dahingehend verändert, dass entzündlich geschwollener Reihenbefall der Gelenke der Vergangenheit angehören.
Stattdessen findet man allenfalls noch einzelne Gelenke, die aus ungeklärten Gründen nicht auf die medikamentöse Therapie ansprechen. Diese Patienten müssen früh erkannt werden, um sie trotzdem erfolgreich therapieren zu können.
6. Wahl des optimalen Zeitpunkts
Medscape: Wie groß ist das therapeutische Zeitfenster für die medikamentöse Therapie und gelenkerhaltende Operationen?
Dr. Arbogast: Die meisten Basistherapeutika bzw. Biologika wirken heutzutage relativ schnell und erlauben es innerhalb von etwa 8 bis 12 Wochen zu beurteilen, ob Schmerzen, Schwellung und Steifigkeit effektiv gebessert werden konnten. Das lässt sich dann auch durch eine Laboruntersuchung bzw. den Rückgang der Entzündungswerte überprüfen.
War die Initialbehandlung nicht effektiv, muss man das Therapeutikum entweder wechseln, ergänzen oder anders dosieren. Zu diesem Zeitpunkt ist auch der orthopädische Rheumatologe mit „ins Boot“ zu nehmen. Hat sich daraufhin – innerhalb weiterer 8 bis 12 Wochen – immer noch keine oder nur wenig Besserung gezeigt, sollten unbedingt die Möglichkeiten einer gelenkerhaltenden operativen Therapie besprochen werden.
7: Re-Set durch Operation
Medscape: Was kann eine Synovektomie bewirken?
Dr. Arbogast: Die operative Therapie kann nur in den frühen Krankheitsstadien gelenkerhaltend sein, bevor die entzündlichen Schübe und Veränderungsprozesse die Knorpel- und andere Binnenstrukturen des Gelenks degeneriert haben.
Eine frühzeitige Synovektomie – also die Entfernung der entzündlichen Endstrukturen eines Gelenks oder einer Sehne – führt nach etwa 30 Tagen zur Neuformierung einer zunächst normalen gesunden Synovialis und somit zu einer wieder verbesserten medikamentösen Zugänglichkeit.
Das ist wie eine Art Reset-Tasten-Phänomen beim Computer und eröffnet neue Möglichkeiten in Dosierung und Zusammensetzung der medikamentösen Therapie im Anschluss an eine OP.
8. Endoprothesen
Medscape: Welche sind die wichtigsten Fortschritte bei der endoprothetischen Versorgung?
Dr. Arbogast: Früher war der Abrieb der Polyäthylen-Beschichtung der limitierende Faktor beim Gelenkersatz. Er lag bei etwa 1 Millimeter pro Jahr. Nach etwa 10 Jahren Standzeit musste die Endoprothese ausgetauscht werden. Mittlerweile gibt es jedoch hoch verdichtete, nahezu abriebfreie Polyäthylene der 3. Generation.
Ein weiterer Fortschritt ist die Kinematik: Weil sich die Prothesen der natürlichen Gelenkanatomie sehr stark angenähert haben, erlauben sie einen nahezu physiologischen Abrollmechanismus. Beides trägt zu deutlich längeren Standzeiten und damit niedrigeren Wechselraten bei. So halten z.B. die meisten Hüft- und Total-Endoprothesen mittlerweile mindestens 15 bis 20 Jahre oder noch länger.
Auch wenn sich die endoprothetische Versorgung in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat, sollte der Gelenkerhalt die höchste Priorität haben.
9. Kooperation
Medscape: Wie sieht die ideale interdisziplinäre Kooperation bei der Betreuung von Patienten mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen aus?
Dr. Arbogast: Eine zentrale Rolle spielt – wie bereits erwähnt – der Hausarzt, der beim Verdacht auf eine entzündlich-rheumatische Erkrankung schnell reagieren und den Patienten entweder zum internistischen oder orthopädischen Rheumatologen überweisen sollte.
Im Idealfall findet dann auch die langfristige Patientenbetreuung in enger Kooperation zwischen diesen Beteiligten statt, und der Hausarzt bleibt mit Steuerungsfunktion in die Therapie eingebunden. In Rheumazentren sitzen internistische und orthopädische Kollegen meist unter einem Dach, was ihren Austausch untereinander sehr erleichtert.
10. Spezialisierte Zentren
Medscape: Gibt es denn überhaupt genügend Rheumatologen, an die Hausärzte ihre Patienten überweisen können?
Dr. Arbogast: Vor allem im niedergelassenen Bereich besteht in vielen Regionen Deutschlands das Problem, dass Patienten oft monatelang auf einen Termin beim Rheumatologen warten müssen – sowohl bei internistischen als auch orthopädischen Fachkollegen.
Trifft dies zu, sollten Kollegen daran denken, ihre Patienten an ein spezialisiertes Zentrum zu schicken bzw. sich an eine Rheumaklinik zu wenden. Diese Zentren haben oft Frühsprechstunden und dafür kürzere Wartezeiten, Adressen sind auf den Websites der rheumatologischen Fachgesellschaften abrufbar.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Um Gelenke zu retten, „sollte der Hausarzt schnell reagieren“ – der Präsident des Rheuma-Kongresses erklärt 10 Strategien - Medscape - 23. Sep 2020.
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