Der Einsatz von Immuntherapien bei Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts und bei Nierenkrebs, zielgerichtete Therapien beim nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) mit ALK und EGFR als Targets sowie Fortschritte bei der personalisierten Therapie von Prostatakarzinomen – diese Highlights präsentieren Forscher beim ESMO Virtual Congress 2020 [1], der an diesem Wochenende vom 19. bis zum 21. September, stattfindet. Die Konferenz wird, wie viele andere medizinische Kongresse, dieses Jahr aufgrund der COVID-19-Pandemie online stattfinden.
Prof. Dr. John B. Haanen, wissenschaftlicher Vorsitzender der ESMO 2020 und Forscher am niederländischen Krebsinstitut in Amsterdam, sagte gegenüber Medscape, dass aufgrund des Online-Formats in diesem Jahr weniger Abstracts eingereicht worden seien. Trotzdem: „Wir waren auch sehr froh, zu sehen, ... dass die Qualität sehr gut war.“
Die geringere Zahl an Einreichungen war nicht das einzige Problem, mit dem sich die Mitglieder des Organisationskomitees konfrontiert sahen, als sie beschlossen, den ESMO-Kongress als virtuelles Treffen zu konzipieren. Sie konnten das wissenschaftliche Programm und das Fortbildungsprogramm nicht zusammenfügen und mussten deshalb deren Inhalte auf 2 Wochenenden verteilen. Das „Education Weekend“ findet vom 16. bis 18. Oktober 2020 statt. Darüber hinaus waren viele Sitzungen in der Vergangenheit interaktiv und mussten entweder angepasst oder gestrichen werden.
„Das Programm ist also etwas anders“, fasst Haanen zusammen. Er merkt an, dass „Präsentationen auch kürzer gemacht wurden, insbesondere während der Fortbildungen, weil ... wir nicht erwarten können, dass Menschen stundenlang hinter Bildschirmen sitzen und lange Präsentationen hören.“ Haanen hofft dennoch auf einen „sehr spannenden“ virtuellen Kongress.
Die Reichweite durch virtuelle Formate erhöhen
Prof. Dr. Solange Peters, ESMO-Präsidentin, sie arbeitet am Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne, sagte in einer Pressekonferenz, dass man „Opfer“ gebracht habe bei der Entscheidung, den ESMO 2020 online durchzuführen, und dass es bei inhaltlichen Fragen „sehr traurige Momente“ gegeben habe.
Dennoch: Das neue Format bringe auch Vorteile mit sich. Peters zufolge hat die Zahl an Teilnehmern in 2020 enorm zugenommen, und sie kommen aus mehr unterschiedlichen Ländern, verglichen mit den Vorjahren. Insofern habe die Reichweite zugelegt.
„Plötzlich merkt man auch, dass eine der Aufgaben des ESMO darin besteht, Wissen weltweit zu vermitteln ... was mit unserem virtuellen Format wahrscheinlich besser gelingt“, kommentiert sie.
Highlights der Präsidentensymposien
Haanen verweist im Programm vor allem auf das 3. Präsidentensymposium am Montag, den 21. September. Es wird sich auf Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts sowohl im adjuvanten als auch im metastasierten Bereich fokussieren.
Er sagt, dass in den letzten Jahren in diesem Bereich „nur sehr geringe Fortschritte“ erzielt worden seien, die Behandlung besteht derzeit hauptsächlich aus Chemotherapie und Radiochemotherapie. Nun erobert aber die Immuntherapie auch diese Indikationen: In den diesjährigen Präsentationen geht es um Immuntherapien entweder ergänzend zur Chemo oder als adjuvante Behandlung nach Abschluss der Standardbehandlung für lokalisierte Tumoren. Haanen zufolge könnten die Ergebnisse „sehr interessant sein ... und die derzeitige Praxis verändern“, was „sowohl für Ärzte als auch für ihre Patienten sehr wichtig ist“.
Am Samstag, den 19. September, gibt es im Rahmen des 1. Präsidentensymposiums 2 Präsentationen zum Thema Lungenkrebs, die laut Haanen einige aufregende neue Ergebnisse bieten. Er ist sich sicher, dass auch diese „die klinische Praxis verändern“ werden. Dabei geht es etwa um die CROWN-Phase-3-Studie, in der Lorlatinib und Crizotinib bei der Erstbehandlung von Patienten mit fortgeschrittenem ALK-positivem NSCLC verglichen werden. Und bei der ADAURA-Phase-3-Studie geht es um Effekte der adjuvanten Therapie mit Osimertinib (ein EGFR-TKI) bei Patienten mit reseziertem EGFR-mutiertem NSCLC.
In derselben Sitzung werden auch neue Daten zum fortgeschrittenen Nierenzellkarzinom aus CheckMate 9ER vorgelegt. Onkologen kombinieren den c-Met- und VEGFR2-Inhibitor Cabozantinib (Cabometyx®) mit Nivolumab (Opdivo®) bei unbehandelten Patienten, verglichen mit Sunitinib (Sutent®).
„Letztes Jahr gab es bereits einige aufregende Ergebnisse bei der Kombination von Axitinib [Inlyta®], entweder mit Pembrolizumab [Keytruda®] oder mit Avelumab [Bavencio®] ... in der Erstlinientherapie beim klarzelligen Nierenzellkarzinom mit Lungenmetastasen“, so Hannen. „Es gab hier eindeutig einen Überlebensvorteil gegenüber dem Standard Sunitinib.“ Ähnliches erhofft man sich auch von der neuen getesteten Kombination.
In diesem Jahr werden zudem nicht nur Wirksamkeitsdaten aus CheckMate 9ER vorgestellt, sondern auch Ergebnisse zur Lebensqualität. „Das ist sehr wichtig, denn jeder hat Angst, dass man durch zusätzliche Medikamente immer mehr negative Effekte auf die Lebensqualität hat“, sagt er.
Das 2. Präsidentensymposium wird sich u.a. Studien zu Prostatakrebs widmen, insbesondere geht es um die Phase-3-IPATential150-Studie mit Abirateron (Zytiga®) plus Ipatasertib oder Placebo beim metastasierten, kastrationsresistenten Prostatakrebs.
Ipatasertib zielt auf den Akt-Signalweg ab, und Haanen sagt: „Indem es hier zur Standardbehandlung hinzufügt wird, stellt sich natürlich die Frage: Haben wir ein besseres Ergebnis?“ Er glaubt, dass die Resultate ein „sehr schönes Beispiel“ seien, um Prostatakrebs-Behandlungen in Richtung personalisierter Therapien zu lenken.
Neben den Präsidentensymposien wird es eine Reihe von Vorträgen zu den neuesten Ergebnissen aus allen Bereichen der Onkologie geben, darunter Ergebnisse der ASCENT-Studie bei dreifach negativem Brustkrebs sowie einen speziellen COVID-19-Track.
COVID-19 – auch in der Onkologie ein Thema
Haanen erklärte, dass der ESMO Virtual Congress 2020, der nach den jährlichen Treffen von AACR und ASCO stattfindet, den Vorteil habe, neueste Ergebnisse von Patienten, die mit Chemotherapie und Immuntherapie behandelt werden, vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie zu präsentieren.
Dies beinhaltet eine Studie der ESMO Resilience Task Force zu Auswirkungen von COVID-19 auf Onkologen sowohl hinsichtlich ihrer persönlichen Belastung und ihres Burnouts als auch hinsichtlich ihrer Arbeitsleistung.
„Ich denke, das ist sehr wichtig“, so Haanen, „vor allem, weil COVID-19 noch nicht vorbei ist und sich alle auf eine zweite Welle im Herbst und Winter vorbereiten.“ Der Onkologe hofft, Hinweise zu finden, „wie wir uns oder andere schützen können, um Burnout oder andere Probleme zu verhindern, mit denen wir als Pflegekräfte in dieser schwierigen Zeit konfrontiert sind“.
ESMO 2021: Wie geht es weiter?
Ein Blick in die Zukunft. Für das nächste Jahr bleibt Peters zuversichtlich, dass das ESMO 2021-Treffen wie geplant in Paris stattfinden wird, und zwar im Frühjahr.
Dies hänge davon ab, ob ein Impfstoff gegen COVID-19 allgemein verfügbar sei, sagt sie, obwohl Onkologen aus einigen Ländern möglicherweise immer noch nicht reisen könnten. Deshalb, so Peters, überlege man, mit hybriden Formaten zu arbeiten, wobei einige Vortragende, Vorsitzende und Teilnehmer vor Ort seien und andere nicht.
Sie kalkuliert, für einen ESMO-Kongresses 2021 als Präsenzveranstaltung sei mindestens die Hälfte oder 2 Drittel der ursprünglichen Teilnehmerzahl erforderlich.
„Ich hoffe, dass Paris nächstes Jahr stattfinden wird“, sagt Peters und fügt hinzu, dass es „wahrscheinlich weniger Teilnehmer sein werden“. Das sei aber in Ordnung; Peters erwartet immer noch viele Onkologen – ob als Referenten oder als Teilnehmer.
Dieser Artikel wurde von Michael van den Heuvel aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
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Diesen Artikel so zitieren: ESMO 2020 goes online – Gastronintestinale Tumoren, NSCLC und personalisierte Therapien beim Prostata-Ca ein Schwerpunkt - Medscape - 18. Sep 2020.
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