Zu wenig Therapeuten und Beschränkungen durch Corona – Online-Tools wie FightDepression® könnten solche Lücken schließen

Anke Brodmerkel

Interessenkonflikte

18. September 2020

Das Online-Programm iFightDepression® hilft Menschen mit leichten und mittleren Depressionen, ihre Lebensqualität zu verbessern und Symptome ihrer Erkrankung zu lindern. Das zeigt eine randomisierte kontrollierte Studie mit 347 Probanden. Alle Ergebnisse wurden von Caroline Oehler, Forschungszentrum Depression der Stiftung Deutsche Depressionshilfe am Universitätsklinikum Leipzig, und Kollegen jetzt im Journal of Medical Internet Research vorgestellt [1].

Im Rahmen des kostenlosen 6-wöchigen Programms lernen Erwachsene und Jugendliche ab 15 Jahren ähnlich wie bei einer Psychotherapie, wie sie beispielsweise Selbstüberforderung vermeiden, mit negativen Gedankenschleifen umgehen oder inwieweit Schlaf und Stimmung zusammenhängen.

Etablierte Methoden und iFightDepression im Vergleich

„Das ist eine wirklich gut gemachte Studie, in der das Online-Programm iFightDepression® mit einer bewährten Maßnahme gegen leichte und mittlere Depressionen, nämlich der progressiven Muskelrelaxation, kurz PMR, verglichen wurde“, kommentiert  Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier, Inhaberin des Lehrstuhls für Klinische Psychologie und Psychotherapie sowie Direktorin des Zentrums für Psychologische Psychotherapie der Universität Greifswald, im Gespräch mit Medscape.

 
Das ist eine wirklich gut gemachte Studie, in der … iFightDepression® mit einer bewährten Maßnahme gegen leichte und mittlere Depressionen … verglichen wurde. Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
 

In früheren Studien, in denen ähnliche Maßnahmen wie iFightDepression® getestet worden seien, habe man die Probanden der Kontrollgruppe meist lediglich auf eine Warteliste gesetzt, sagt Brakemeier. Allein das Gefühl, warten zu müssen und nichts tun zu können, verstärke depressive Symptome allerdings oft. „Die neue Maßnahme schnitt dann vielleicht allein aus diesem Grund in der Studie besser ab, als sie es in der Realität getan hätte“, sagt Brakemeier.

Insofern habe iFightDepression® sein Potential in der aktuellen Untersuchung tatsächlich unter Beweis gestellt. Wünschenswert wäre nun, dass auch Forscherinnen und Forscher, die an der Entwicklung und Verbreitung des Tools nicht beteiligt gewesen seien, die Ergebnisse von Oehler und ihren Kollegen reproduzieren könnten, sagt Brakemeier.

Begleitung durch Psychologen

Oehler und ihr Team rekrutierten für ihre Studie 347 Probanden mit mittelschweren Depressionen, die nach dem Zufallsprinzip entweder Zugang zu dem iFightDepression®-Tool oder einem ebenfalls online angebotenen PMR-Training erhielten. Sämtlichen Teilnehmern wurde während der 6-wöchigen Interventionsphase unterstützende Begleitung durch Psychologen des Studienzentrums in Leipzig angeboten.

In wöchentlichen Abständen sollten die Probanden während der 6 Wochen Fragebögen zu ihrem Befinden ausfüllen. Um Langzeiteffekte der angebotenen Maßnahmen zu prüfen, wurden die Teilnehmer zudem nach 3, 6 und 12 Monaten erneut befragt. Zum Einsatz kamen dabei der allgemeine Gesundheitsfragebogen SF-12 sowie der Symptomfragebogen IDS-SR, der speziell für die Beurteilung von Depressionen geeignet ist.

Die Lebensqualität besserte sich bereits nach wenigen Wochen

Wie Oehler und ihre Kollegen berichten, war nach 6 Wochen die gesundheitsbezogene Lebensqualität bei den Patienten, die iFightDepression® genutzt hatten, deutlicher gestiegen als bei den Probanden der Kontrollgruppe, die online die PMR erlernt hatten – und zwar um 5,3 im Vergleich zu 2,8 Punkten auf der Skala SF-12.

Nach 3 Monaten hatte sich in der iFightDepression®-Gruppe zudem die depressive Symptomatik signifikant gebessert, mit einer Reduktion um 8,2 gegenüber 5,9 Punkten bei der Vergleichsgruppe auf der IDS-SR-Skala. Auch gaben die Probanden der iFightDepression-Gruppe häufiger als die Teilnehmer der Kontrollgruppe an, dass sie das Programm gerne nutzen und auch weiterempfehlen würden.

Eignet sich das Programm zur Prävention?

Die erzielten Verbesserungen blieben über 1 Jahr hinweg stabil und verstärkten sich den Forschern um Oehler zufolge sogar noch. Am Ende der Nacherhebungszeit hätten Teilnehmer beider Gruppen im Durchschnitt nur noch von leichten und nicht mehr von mittelschweren depressiven Symptomen wie zu Beginn der Studie berichtet, schreiben die Wissenschaftler.

 
Insgesamt zeigt die Untersuchung …, dass es sich bei iFightDepression um ein sinnvolles – und darüber hinaus kostengünstiges – Tool handelt, um gegen leichte und mittelschwere Depressionen vorzugehen. Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
 

„Insgesamt zeigt die Untersuchung von Caroline Oehler und ihrem Team, dass es sich bei iFightDepression um ein sinnvolles – und darüber hinaus kostengünstiges – Tool handelt, um gegen leichte und mittelschwere Depressionen vorzugehen“, kommentiert Brakemeier. Darüber hinaus sei das Programm vermutlich auch präventiv einsetzbar bei Menschen, die Risikofaktoren für eine Depression mitbrächten.

Versorgungslücken schließen

Die große Mehrheit aller bundesweit rund 5,3 Millionen depressiv Erkrankten werde von Haus- und Fachärzten überwiegend mit Antidepressiva behandelt, heißt es in einer Mitteilung der Stiftung Deutsche Depressionshilfe [2]. Nur ein kleinerer Teil der Patienten erhalte primär Psychotherapie und dies oft erst nach langen Wartezeiten. Beschleunigt durch das Inkrafttreten des digitalen Versorgungsgesetzes und durch mehr Offenheit für Digitalisierung als Reaktion auf COVID-19 finde jedoch ein Wandel im Gesundheitssystem hin zu Online-Angeboten statt.

 
In der Behandlung der Depression können internetbasierte Programme von Hausärzten, Fachärzten oder Psychologischen Psychotherapeuten unterstützend zu einer Behandlung mit Antidepressiva oder face-to-face-Psychotherapie eingesetzt werden.  Prof. Dr. Ulrich Hegerl
 

„In der Behandlung der Depression können internetbasierte Programme von Hausärzten, Fachärzten oder Psychologischen Psychotherapeuten unterstützend zu einer Behandlung mit Antidepressiva oder face-to-face-Psychotherapie eingesetzt werden“, wird der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe,  Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Goethe-Universität Frankfurt, zitiert. Daher sei es besonders wichtig, solide wissenschaftliche Wirksamkeitsnachweise zu haben.

Die methodisch stringente Studie unterstreiche den Stellenwert von professionell begleiteten Online-Programmen in der Versorgung der Menschen mit Depressionen, sagt Hegerl, der Letztautor der Publikation ist. Angebote wie iFightDepression® könnten nachweislich einen Beitrag leisten, Versorgungsdefizite zu reduzieren und die Patienten im Umgang mit ihrer Erkrankung zu unterstützen, so der Frankfurter Psychiater.

Online-Programm in 12 Sprachen verfügbar

Auch Brakemeier zeigt sich von iFightDepression® insgesamt überzeugt. „Es ist ein sehr gutes, klar strukturiertes und übersichtliches Programm“, sagt sie. Das Tool basiere auf der kognitiven Verhaltenstherapie, einer evidenzbasierten Methode mit robustem Wirksamkeitsnachweis bei Depressionen. Zudem sei es in 12 Sprachen übersetzt worden und sei somit auch international nutzbar.

„Aus meiner Sicht ist das Programm, das gemeinsam mit Patienten und deren Angehörigen und ohne wirtschaftliche Interessen entwickelt wurde, sehr gut geeignet für Patienten mit leichten Depressionen und solchen mit mittleren oder schweren Formen der Erkrankung, die noch auf einen Therapieplatz warten“, resümiert Brakemeier.

Mehr Bedarf an Online-Tools durch die Corona-Pandemie?

Auch die Greifswalder Forscherin geht davon aus, dass es bedingt durch die Corona-Pandemie künftig eine verstärkte Nachfrage nach entsprechenden Online-Angeboten geben wird – zum einen, weil es womöglich mehr Menschen gibt, die aufgrund der Krise mit depressiven Symptomen zu kämpfen haben, zum anderen, weil in Folge des Lockdowns bei Ärzten und Patienten eine größere Offenheit für digitale Versorgungsstrukturen entstanden sein könnte.

 
Aus meiner Sicht ist das Programm … sehr gut geeignet für Patienten mit leichten Depressionen und solchen mit mittleren oder schweren Formen der Erkrankung, die noch auf einen Therapieplatz warten. Prof. Dr. Eva-Lotta Brakemeier
 

Ein Nachteil des Tools sei vielleicht, dass es zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch keine App-Version gebe – es also noch nicht per Smartphone, sondern nur mit Tablet oder Computer nutzbar sei, ergänzt Brakemeier. Dadurch sei das Programm für manche Patienten womöglich weniger leicht in den Alltag zu integrieren. Zudem sei es für Ärzte und Therapeuten relativ zeitaufwändig, die Patienten während des Online-Trainings regelmäßig zu betreuen.

Online-Schulung für Ärzte und Therapeuten

Ärzte und Psychotherapeuten, die iFightDepression® für die Arbeit mit ihren Patienten nutzen möchten, können kostenfrei an einem speziellen Online-Training teilnehmen [3]. Dabei erfahren sie, wie sich das Tool in die tägliche Arbeit einbinden lässt und wie sie es ihren Patienten zur Verfügung stellen.

Insgesamt dauert das Online-Training etwa 70 Minuten. Es besteht aus 4 Videomodulen:

  • Einleitung zum Tool und Basiswissen Depression

  • Einführung in das Tool

  • Geführte Online-Tour durch das Tool

  • Einsatz und Begleitung des Tools im Rahmen der täglichen Arbeit

Die einzelnen Module können am Stück oder auch in Teilen absolviert werden. Der Abschluss des Online-Trainings erfolgt über einen Test. Wird dieser bestanden und ein Nachweis über den beruflichen Hintergrund erbracht, werden ein Zertifikat sowie ein persönlicher Programmzugang erstellt. Anschließend können Patienten zur kostenfreien Nutzung des Programms eingeladen und während der Bearbeitung begleitet werden. Die Teilnahme am Online-Training wird von der Sächsischen Landesärztekammer mit 2 Fortbildungspunkten zertifiziert.

Ärzte und Therapeuten zeigten sich interessiert

Brakemeier hat kürzlich gemeinsam mit ihrer Doktorandin Anna-Lena Netter und weiteren Kolleginnen und Kollegen insgesamt 78 klinische Psychologen und Hausärzte zu iFightDepression® befragt. „In der noch unveröffentlichten Studie gaben 82% der Befragten an, dass sie sich vorstellen könnten, das Tool künftig für ihre Arbeit mit den Patienten zu nutzen“, berichtet die Forscherin.

Bislang habe man allerdings aufgrund der geringen Rückmelderate leider nicht ermitteln können, wie viele der Befragten dies inzwischen tatsächlich täten. „Mein Rat an alle Ärzte und Therapeuten, die mit depressiven Patienten zu tun haben, lautet daher: Schauen Sie sich das Tool einmal an und probieren es einfach aus!“, sagt Brakemeier. Sie sei überzeugt, dass es nicht nur den Patienten helfe, sondern auch die Arbeit der Therapierenden erheblich erleichtere – insbesondere im Kontext der COVID-19-Pandemie.
 

Kommentar

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