Nach spektakulärer REDUCE-IT-Studie hitzige Diskussion um EVAPORATE: Schadet das Placebo mehr als Icosapent-Ethyl nutzt?

Patrice Wendling

Interessenkonflikte

18. September 2020

Die Abschlussdaten zu EVAPORATE deuten darauf hin, dass Icosapent-Ethyl (Vascepa®) bei Patienten mit hohen Triglyzeridwerten das koronare Plaquewachstums noch stärker verlangsamt, wenn es mit Statinen kombiniert wird. Doch nicht alle Kardiologen teilen diese Interpretation.

Die Studie sollte den möglichen Mechanismus hinter der spektakulären Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse in der REDUCE-IT-Studie aufzeigen. Früher veröffentlichte Zwischenergebnisse zeigten, dass Omega-3-Fettsäuren in pharmazeutischer Qualität nach 9 Monaten das Wachstum verschiedener Plaque-Typen signifikant verlangsamten. Der primäre Endpunkt, die Veränderung des Volumens von LAP (low attenuation plaques, Plaques mit CT-Dichtewerten von -50 bis 50 Hounsfield-Einheiten im Multidetektor-CT) wurde jedoch nicht erreicht.

LAP-Volumen nahm in der Icosapent-Ethyl-Gruppe ab, in der Placebogruppe zu

Von den Ausgangswerten bis zum Ende des Nachbeobachtungszeitraumes nach 18 Monaten war der primäre Endpunkt, nämlich das LAP-Volumen, jedoch in der Icosapent-Ethyl-Gruppe signifikant um 17% reduziert, während das LAP-Volumen in der Placebogruppe um 109% zunahm (p = 0,0061).

Auch bei allen anderen Plaque-Typen wurden, mit Ausnahme der kalzifizierten Plaques, nach der Adjustierung für Alter, Geschlecht, Diabetes, Bluthochdruck und Triglyzeridspiegel signifikante Rückgänge unter Icosapent-Ethyl 4 g/d gegenüber dem paraffinhaltigen Placebo beobachtet:

  • kalzifizierte Plaques: -1% vs. +15% (p = 0,0531)

  • Fibrolipid-Plaques: -34% vs. +32% (p = 0,0002)

  • fibröse Plaques: -20% vs. +1% (p = 0,0028)

  • nicht kalzifizierte Plaques: -19% vs. +9% (p = 0,0005)

  • gesamtes Plaque-Volumen: -9% vs. +11% (p = 0,0019).

Diese Ergebnisse reihten sich nahtlos zu den jüngsten klinischen Daten aus REDUCE-IT REVASC ein, wo Icosapent-Ethyl 4 g/d einen sehr frühen Nutzen bei den frühen Koronarrevaskularisationen zeigte, die nach nur 11 Monaten ein statistisches Signifikanzniveau erreichten (Hazard Ratio: 0,66), sagte Hauptprüfarzt Dr. Matthew Budoff, Leiter des Herz-CT am Harbor-UCLA Medical Center in Torrance, Kalifornien, anlässlich des virtuell abgehaltenen Jahreskongresses 2020 der European Society of Cardiology (ESC) [1].

Diskussion um Studienergebnisse

Die Ergebnisse wurden zeitgleich im European Heart Journal veröffentlicht und führten alsbald zu einer wahren Flut an Kommentaren in den sozialen Medien [2]. Einige waren durchaus wohlwollend. Dr. Christopher Cannon von der Harvard University, Dr. Dan Soffer, Lipid-Experte an der University of Pennsylvania, und der Wissenschaftler Dr. Viet Le vom Intermountain Heart Institute lobten auf Twitter Budoff und die Resultate seiner mechanistischen Studie (d.h. einer Studie, die nach dem Mechanismus für die Entstehung eines Effektes sucht). Soffer bezeichnete die Studie gar als „elegant“, während die Ergebnisse für Cannon „wichtige mechanistische Daten zu den Plaque-Formen“ liefern.

Andere äußerten sich hingegen sehr kritisch. Dazu gehört auch eine Umfrage, ob der Artikel zurückgezogen oder überarbeitet werden sollte.

Der Professor für Kardiologie und Biostatistiker am Hisar Intercontinental Hospital in Istanbul Dr. Ibrahim H. Dr. Tanboga stellte die Frage, wie eine Längsschnittveränderung der LAP klinisch möglich sei. Nach seiner grafischen Aufarbeitung der Daten sehe man, dass sich die Läsionen in beiden Armen verschlechterten, bevor sie sich dann in beiden Armen besserten.

In eine ganz andere Richtung ging die Frage, ob es Unterschiede bei den Ausgangswerten zwischen den beiden Gruppen gegeben habe und ob die Daten möglicherweise unverblindet waren.

„Ich habe Verständnis für den Chef eines großen Labors, der vielleicht nicht weiß, wie genau jeder einzelne Schritt des Prozesses durchgeführt wurde, und sich daher möglicherweise nicht bewusst ist, wie viele Gelegenheiten es für einen unerwünschten Bias gibt“, sagte Dr. Darrel Francis, Professor für Kardiologie am National Heart and Lung Institute am Imperial College in London, in einem Interview.

Nach einer auf Twitter diskutierten alternativen Erklärung hätte die Zwischenanalyse womöglich keine signifikanten Unterschiede bei den Ausgangswerten gezeigt, weil sie parameterfreie Tests verwendet habe, während die Log-Transformation auf die abschließenden Daten angewandt worden sei. Auf jeden Fall zogen die Tweets eine scharfe Rüge von Budoff nach sich.

Francis brachte auf Twitter einen weiteren strittigen Punkt bezüglich des Grades des Plaquewachstums in der Placebogruppe zur Sprache.

Gegenüber Medscape wies er darauf hin, dass die Schlussdaten die prozentuale Veränderung des Logarithmus darstellten, aber nicht die tatsächliche prozentuale Veränderung der Atheromgröße. Die Zunahme des Gesamtvolumens der Atherome in der Placebogruppe betrage demnach also nicht 11%, sondern 100,4 oder 2,51, also 151%.

Er wies auch auf einen „wenig subtil geschilderten Fakt der möglicherweise fehlerhaften Daten“ in dem Abstract hin, wonach sich die LAP innerhalb von 18 Monaten mehr als verdoppelt hätten. Also „entweder ist ein Fehler bei der Messung aufgetreten oder das Placebo ist schädlich, weil ich hier keine belastbaren Zahlen erkennen kann“, sagte er. „Warum sind nicht alle einer KHK erlegen?“

Zuvor wurden bereits Bedenken geäußert, dass das sowohl in EVAPORATE als auch in REDUCE-IT verwendete Paraffin-Placebo angesichts der erhöhten LDL- und CRP-Werte möglicherweise schädliche Auswirkungen haben könnte.

Dr. Steven Nissen, Professor für Kardiologie an der Cleveland Clinic in Ohio, gehört zu den Kritikern des Paraffin-Placebos und hinterfragt auch das Plaquewachstum über die 18 Monate. „Ich habe über ein Dutzend Regressions-/Progressionsstudien veröffentlicht – so etwas haben wir in einer Placebogruppe noch nie gesehen“, sagte er. „Wenn dies ein wirkungsloses Placebo war, wie kann das dann in der kurzen Zeit geschehen sein?“

„Mich irritiert, dass es immer um Zunahmen geht: bei REDUCE-IT um eine Zunahme der Morbidität und Mortalität in der Placebogruppe und bei EVAPORATE um eine Zunahme der Plaques in der Placebogruppe“, sagte Nissen. „Damit ergeben sich also erhebliche Zweifel, ob es einen Benefit durch Icosapent-Ethyl gibt.“

 
Damit ergeben sich also erhebliche Zweifel, ob es einen Benefit durch Icosapent-Ethyl gibt. Dr. Steven Nissen
 

Zu dem Thema einer 109%igen Größenzunahme erklärte Budoff gegenüber Medscape, dass die LAP nur einen sehr kleinen Teil des gesamten Plaquevolumens ausmachen würden. „Wenn man lediglich die prozentuale Veränderung betrachtet, könnten die Zahlen also als übermäßig erscheinen, weil es sich um kleine Volumina handelt.“

Er erinnerte daran, dass in früheren Studien zum Fortschreiten einer Atherosklerose intravaskulärer Ultraschall (IVUS) verwendet wurde, während bei EVAPORATE das Plaquewachstums erstmals auf Basis der CT-Angiographie analysiert wurde.

„Ich möchte auch darauf hinweisen, dass Dr. Nissen nur mit intravaskulärem Ultraschall gearbeitet hat, der sich zwar ebenso zur Größenbestimmung von Plaque einsetzen lässt, aber andere Volumen bestimmt und dies auch auf eine völlig andere Weise tut“, sagte Budoff. „Daher halte ich die Ergebnisse der CT-Angiografie für nicht direkt mit Nissens Ergebnissen aus IVUS-Messungen vergleichbar.“

Während der Präsentation betonte Budoff die Ähnlichkeiten ihrer jüngsten Daten zum Plaquewachstum zwischen dem Paraffin-Placebo in EVAPORATE und einem Placebo auf Zellulosebasis in der GARLIC-5-Studie. „Wir sind demnach überzeugt, dass der festgestellte Benefit die positiven Auswirkungen von Icosapent-Ethyl auf die Atherosklerose widerspiegelt und keine Schädigung durch Paraffin darstellt“, sagte er.

 
Wir sind überzeugt, dass der festgestellte Benefit die positiven Auswirkungen von Icosapent-Ethyl auf die Atherosklerose widerspiegelt und keine Schädigung durch Paraffin darstellt. Dr. Matthew Budoff
 

Wie genau Icosapent-Ethyl die Atherosklerose verlangsamt, sei jedoch nicht vollständig verstanden, sagte Budoff in einem Interview. „Es könnte um die Entzündungs- und Oxidationsprozesse gehen. Beides hat sich unter Icosapent-Ethyl nachweislich verbessert, aber ich glaube nicht, dass wir die Implikationen dieser Resultate ganz überschauen.“

Budoff wies die Tweets zurück, nach denen die Daten mutmaßlich unter fehlender Verblindung zustande gekommen seien. Solche Vorhaltungen seien unprofessionell und er habe das Imperial College dazu aufgefordert, Francis zur Unterlassung anzuhalten.

„Er hat die tatsächlichen Daten ja gar nicht, und ohne den Datensatz lässt sich auch keine statistische Auswertung durchführen. Die ganze Sache ist einfach unangemessen“, so Budoff.

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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