Als der assistierte Suizid in Deutschland noch verboten war, galt manchen sterbewilligen, schwer kranken Patienten der freiwillige Verzicht auf Essen und Trinken (FVET), auch als „Sterbefasten“ bezeichnet, als Mittel der Wahl, von eigener Hand aus dem Leben zu gehen. Nach der Definition der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) verzichtet beim FVET eine entscheidungsfähige Person aufgrund unerträglichen anhaltenden Leidens freiwillig und bewusst auf Essen und Trinken, um den Tod frühzeitig herbeizuführen. Aber nun ist der assistierte Suizid erlaubt. Was wird aus dem Sterbefasten?
Sterbefasten ist kein Suizid
Umfragen unter Palliativpatienten haben ergeben, dass FVET oft deshalb gewählt wird, um die Umstände des eigenen Todes zu kontrollieren und sich einer möglichen Übertherapie zu entziehen, um aussichtsloses Leiden zu vermeiden, um zuhause zu sterben, um anderen nicht zur Last zu fallen, berichtete Dr. Susanne Hirsmüller, Palliativmedizinerin und Medizinethikerin aus Bremen auf dem 13. Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin [1].
Sie sieht wesentliche ethische Fragen, die sich aus dem Patientenwillen und der Definition der DGP ergeben: Wer könnte etwa die Freiwilligkeit der Patienten feststellen und wie wäre das möglich? Und wie ist Sterbefasten einzuordnen – wie die DGP es tut, als Handlung sui generes oder als Suizid? Die DGP hatte den FVET als Handlung sui generes eingeordnet und damit ausgeschlossen, dass die Begleitung von Patienten, die auf Nahrung und Flüssigkeit verzichten, strafbar wurde.
Für die begleitenden Palliativteams bedeutet Sterbefasten gleichwohl eine Herausforderung, weil sie ja palliativ arbeiten wollen. Diese Absicht müsse auch unter FVET nicht geschmälert werden, betonte Hirsmüller. Allerdings darf die Palliativversorgung den FVET auch nicht unterlaufen. So müsse man etwa Unruhe nicht unbedingt behandeln, weil sie meistens nicht lange anhält. Viele Symptome ließen sich „mit einem Löffel Apfelmus beherrschen“.
Auch für die Angehörigen ist es ein harter Schritt, wenn der Sterbende freiwillig auf Essen und Trinken verzichtet: „Wenn die Patienten die Mahlgemeinschaft verlassen, das ist ein hoch symbolischer Akt“, so Hirsmüller. „Oft muss man dann die Angehörigen davon überzeugen, dass FVET ein guter Schritt sein kann. Die Patienten sterben ja nicht, weil sie auf Essen und Trinken verzichten, sondern umgekehrt.“
Die Freiwilligkeit indessen müsse den Angehörigen nicht bewiesen werden, meint Hirsmüller. Denn wer sich zum FVET entscheidet, habe es in der Regel lange überlegt und auch mit seinen Ärzten besprochen. „Da gibt es oft einen langen Austausch über die Ernsthaftigkeit. Und die Patienten bestätigen die Freiwilligkeit ja ständig, indem sie Essen und Trinken immer wieder ablehnen“, sagt Hirsmüller. Zudem sei FVET – anders als bei einem Suizid – immer wieder sofort umkehrbar.
2 Ausdruckformen des Wunsches zu sterben
Prof. Dr. Alfred Simon von der Göttinger Akademie für Ethik in der Medizin fragte in seinem Beitrag auf der Diskussionsveranstaltung, ob der FVET angesichts der neuen Rechtslage „überhaupt noch gebraucht wird“. Denn das Bundesverfassungsgericht hat im Frühjahr das Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zu Suizid (§217 StGB) gekippt und damit auch den sterbewilligen Palliativpatienten ermöglicht, ihrem Leben leichter ein Ende zu setzen. Sie brauchen also nicht auf Sterbefasten zurückzugreifen.
Seit 2005 stand das Verbot der Suizidbeihilfe und habe dazu beigetragen, dass sich der FVET in den letzten Jahren „zu einem richtigen Hype-Thema entwickelt“ hat, sagte Simon. Auch weil die Bundesärztekammer sich gegen die Suizidassistenz durch Ärzte ausgesprochen und die Beihilfe zum Suizid in §16 der Musterberufsordnung verboten hat.
Dass der assistierte Suizid nun erlaubt ist, sei „eine große Chance“, sagte Simon. Denn die Diskussion darüber was der FVET in Vergleich zum Suizid sei, spielt in der ethischen und rechtlichen Bewertung keine so große Rolle mehr. Simon spricht einfach von „2 Ausdrucksformen des Wunsches nach vorzeitigem Lebensende“.
Die zentrale Frage sei: „Wie gehen wir mit Sterbewünschen um?“ Der Umgang könne sein, die Not dahinter zu erkunden. „Wir können mit den Patienten sprechen um die Not eventuell zu lindern. Aber wir müssen die Not des Patienten auch respektieren, wenn der Sterbewunsch frei verantwortlich ist.“
Simons Fazit: Der „Hype“ um das Sterbefasten wird abflauen, weil das Bundesverfassungsgericht den assistierten Suizid erlaubt hat. „Aber der Bedarf an FVET wird weiter bestehen“, sagt er und zwar „als freiwillig gewählte und hoffentlich nicht durch ethische Vorbehalte und rechtliche Einschränkungen erzwungene Alternative zum assistierten Suizid.“
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Diesen Artikel so zitieren: Assistierter Suizid erlaubt – was wird aus der Alternative Sterbefasten? - Medscape - 16. Sep 2020.
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