Amsterdam – Immer mehr Studien zeigen, dass Antidiabetika nicht nur in den Zuckerstoffwechsel eingreifen, sondern sich auch zur Prävention und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen und Ereignisse eignen. Prof. Dr. Dirk von Lewinski, Graz, sieht dies als Chance und fordert eine intensive Zusammenarbeit von Kardiologen und Diabetologen: „Ich kann und werde nicht akzeptieren, dass ein Medikament dem einen oder anderen Spezialisten ‘gehört’. Die Medikamente gehören dem Patienten, und für ihn müssen wir alle zusammenarbeiten!” stellt er in einem Symposium beim ESC Congress 2020 – The Virtual Experience klar [1].
Hinweise aus Subgruppenanalysen
Erste Hinweise auf den kardiologischen Nutzen einiger Antidiabetika kamen aus Subgruppenanalysen von randomisiert-kontrollierten Studien (RCTs), in die viele multimorbide Patienten eingeschlossen waren – Personen, die sowohl Typ-2-Diabetes als auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen hatten. So waren 5% bis 25% der Patienten in den Diabetesstudien der letzten Jahre zugleich an Herzinsuffizienz (HF) erkrankt.

Prof. Dr. Dirk von Lewinski
Umgekehrt waren 20% bis 50% der Patienten in HF-Studien Diabetiker. Auch in der täglichen Praxis leiden 12% bis 30% der HF-Patienten zusätzlich an Typ-2-Diabetes, wie von Lewinski unter Berufung auf ein Positionspapier der ESC und der Heart Failure Association berichtet.
Antidiabetika in kardiovaskulären Outcomestudien
Weitere Daten lieferten die kardiovaskulären Endpunkt-Studien, die heute von jedem neuen Antidiabetikum gefordert werden. Sie zeigten Nachteile für einige Dipeptidylpeptidase-4-Inhibitoren (DPP-4-Hemmer) – wie etwa Saxagliptin – hinsichtlich Herzinsuffizienz. Insgesamt betrachtet, waren die DPP-4-Inhibitoren hinsichtlich schwerer kardiovaskulärer Ereignisse (MACE) aber neutral.
Die GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) Albiglutid, Liraglutid und Semaglutid und der SGLT-2-Hemmer Empagliflozin dagegen zeigten in den jeweiligen Endpunkt-Studien einen Nutzen hinsichtlich der MACE-Rate, sie war unter diesen Therapien reduziert.
Von Lewinski nannte die Studien PIONEER 6 und LEADER als Beispiele: Hier wurden Diabetespatienten eingeschlossen, die kardiovaskuläre Vorerkrankungen hatten – oder kardiovaskuläre Risikofaktoren, gepaart mit höherem Alter. In beiden Studien war die kardiovaskuläre Mortalität unter der Gabe eines GLP-1-RA (orales Semaglutid bzw. s.c. Liraglutid) jeweils im Vergleich zum Placebo-Arm signifikant reduziert.
Diese und weitere Daten führten dazu, dass SGLT-2-Inhibitoren und GLP-1-RA in einer gemeinsamen Leitlinie von ESC und EASD (European Association for the Study of Diabetes) als First-Line-Antidiabetikum bzw. als erster Kombinationspartner für Metformin für Typ-2-Diabetes-Patienten mit atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD) empfohlen werden.
Praxisdaten: SGLT-2-Hemmer, GLP-1-RA, DPP-4-Hemmer – was hilft auch dem Herzen?
Um den Einfluss von SGLT-2-Inhibitoren und DPP-4-Hemmern auf kardiovaskuläre Parameter genauer zu untersuchen, wurden Real-World-Daten neu diagnostizierter Diabetespatienten in einer komparativen Kohortenstudie analysiert. Dabei zeigte sich für Herzinsuffizienz sowie für Gesamtmortalität und für beides zusammen jeweils ein signifikanter Vorteil für die SGLT-2-Inhibitoren, unabhängig davon, ob die Patienten zu Beginn der Diabetesstudien bereits eine kardiovaskuläre Begleiterkrankung gehabt hatten.
Bei Myokardinfarkt sowie Schlaganfall brachten die SGLT-2-Hemmer allerdings nur denjenigen Patienten einen Vorteil gegenüber DPP-4-Hemmern, die zu Studienbeginn noch herzgesund waren.
In die Real-World-Studie LIVE wurden gezielt 241 Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF; EF ≤ 45%) eingeschlossen. Nur 30% von ihnen hatten zugleich einen Typ-2-Diabetes. Trotzdem wurden alle – auch die Nichtdiabetiker – auf die Behandlung mit Liraglutid 1,8 mg vs. Placebo randomisiert.
Von Lewinski stellte das Ergebnis vor: Der Herzinsuffizienz-Marker NT-proBNP war in der Liraglutidgruppe signifikant stärker reduziert als in der Kontrollgruppe mit Placebo. „Dieser Effekt war vor allem durch die Patienten mit Diabetes getrieben”, berichtete der Experte.
Und schließlich wurden in einer Studie auf Basis eines italienischen Registers, das mehr als 5 Mio. Patienten umfasst, jeweils fast 4.300 „gematchte“ Diabetespatienten unter SGLT-2-Inhibitor vs. GLP-1-RA verglichen. Dabei zeigte sich ein signifikanter Vorteil für die SGLT-2-Inhibitoren hinsichtlich 3-Punkt-MACE (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Herzinfarkt, nicht-tödlicher Schlaganfall), aber auch hinsichtlich eines Myokardinfarkts allein, einer Herzinsuffizienz sowie einer Hospitalisierung wegen kardiovaskulärer Erkrankungen. Weitere kardiovaskuläre Endpunkte waren in der SLGT-2-Hemmer-Gruppe zwar nicht signifikant, aber tendenziell reduziert gegenüber den GLP-1-RA.
„Hinsichtlich Herzinsuffizienz war die Wirkung [der SGLT-2-Inhibitoren] möglicherweise sogar stärker in der Subgruppe der Patienten ohne vorbekannte kardiovaskuläre Erkrankungen. Das heißt, dies könnte eine Therapie mit einem irgendwie präventiven Effekt sein”, so von Lewinski.
Randomisiert-kontrollierte Studien zu SGLT-2-Hemmern bei Herzinsuffizienz
Auch 2 große prospektive RCT haben die Wirkung von SGLT-2-Hemmern auf HFrEF bei Patienten mit oder ohne Diabetes gezielt untersucht. Dies sind die beim ESC-Kongress 2019 präsentierte DAPA-HF-Studie mit Dapagliflozin (4.744 Teilnehmer; davon 42% mit Diabetes) und die gerade beim virtuellen ESC-Kongress 2020 vorgestellte EMPEROR-Reduced-Studie mit Empagliflozin (3.730 Patienten; jeder 2. hatte Diabetes).
In beiden Studien ist der primäre Endpunkt unter dem jeweiligen SGLT-2-Hemmer signifikant seltener aufgetreten. So war in DAPA-HF der primäre Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, HF-bedingter Hospitalisierung und HF-bedingtem Besuch in der Notaufnahme um 26% reduziert (p=0,00001). Sowohl Diabetiker als auch Nichtdiabetiker profitierten in vergleichbarer Weise von der Zusatzbehandlung mit Dapagliflozin, wie eine aktuelle Post-hoc-Analyse zeigt. „Dieses Medikament wirkt bei Herzinsuffizienz, völlig unabhängig von der Anwesenheit von Diabetes“, betonte von Lewinski.
In EMPEROR-Reduced konnte die Zusatztherapie mit Empagliflozin den primären Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod und HF-bedingter Klinikeinweisung um 25% reduzieren. Der erste sekundäre Endpunkt, der alle HF-Hospitalisierungen umfasste, war in der Empagliflozingruppe um 30% seltener und der zweite sekundäre Endpunkt, die Verschlechterung der glomerulären Filtrationsrate der Nieren, war ebenfalls signifikant seltener; zudem traten unter Empagliflozin nur halb so viele nierenbezogene Ereignisse auf wie in der Kontrollgruppe mit Placebo (p<0,001 für alle 3 Vergleiche).
Einige Experten fordern inzwischen, die SGLT-2-Hemmer als 4. Säule der Standardtherapie neben RAAS-Blocker/ARNI, Betablocker und Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten (MRA) zu stellen.
Antidiabetika bei Herzinsuffizienz: SGLT-2-Hemmer > GLP-1-RA > DPP-4-Hemmer?
Zuletzt verwies von Lewinski auf eine hochaktuelle große Metaanalyse, in der es primär um die Gesamtsterblichkeit der Patienten unter verschiedenen Diabetestherapien ging – bei Patienten mit niedrigem oder aber mit erhöhtem kardiovaskulärem Ausgangsrisiko. Bei den Patienten mit hohem Herz-Kreislauf-Risiko zeigte sich ein signifikanter Nutzen der SGLT-2-Inhibitoren Empagliflozin und Dapagliflozin sowie der GLP-1-RA orales Semaglutid, s.c. Liraglutid und ER-Exenatid.
Von Lewinski fasste zusammen: „Die stärksten Effekte auf die Herzinsuffizienz sehen wir wohl für die SGLT-2-Inhibitoren. Für sie wurden direkte myokardiale Effekte und potenzielle indirekte, systemische Effekte gezeigt.” Diese positiven Einflüsse der SGLT-2-Inhibitoren betreffen etwa den Energiehaushalt der Kardiomyozyten, den Kalzium-Flow und die Inflammation.
„Der Nutzen wurde sowohl für die Prävention als auch für die Behandlung von Patienten mit Herzinsuffizienz beschrieben”, so der Experte.
Auf Nachfrage von Medscape kommentierte Herzinsuffizienz-Spezialist Prof. Dr. Michael Böhm, Leiter der Inneren Medizin III - Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin am Univerisätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar die Ergebnisse ebenfalls: „Besondere Aufmerksamkeit verdient die Tatsache, dass Medikamente, die für Diabetes entwickelt wurden, nun bei Herzinsuffizienz wirksam sind, und zwar bei Patienten ohne und mit Diabetes mellitus. Darüber hinaus ist es die erste identifizierte Klasse von Antidiabetika, die eine deutliche Nephroprotektion bewirken können“, sagt er.
Und weiter: „Die Organprotektion und die mittlerweile eher als moderat angesehene Wirkung auf die metabolische Erkrankung sind die Besonderheiten der Klasse der SGLT2-Inhibitoren, die unsere klinische Praxis, insbesondere im Bereich der Herzinsuffizienztherapie und Protektion der Niere in der Zukunft maßgeblich verändern werden.“
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Diesen Artikel so zitieren: Therapie von Herzinsuffizienz und Co: Diesen Mehrwert zeigen Antidiabetika – Studien stützen Einsatz in der Kardiologie - Medscape - 14. Sep 2020.
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