Schon nach 2-stündiger Ruhezeit kann der FODMAP-Gehalt von Hefebroten im Vergleich zum Mehl um mehr als 65% niedriger sein. Das ergab eine Vergleichsstudie mit 21 verschiedenen Weizensorten von Wissenschaftlern um Prof. Dr. Friedrich Longin, Universität Hohenheim, die jetzt im Journal of Cereal Science veröffentlicht wurde [1]: eine Erkenntnis, die vor allem für Reizdarm-Patienten interessant sein könnte.
Unter dem Begriff FODMAPs fasst man fermentierbare Oligosaccharide, Disaccaride, Monosaccharide und Polyole zusammen. Das sind verschiedene Gruppen von Kohlenhydraten, teilweise auch Ballaststoffe. Bei empfindlichen Menschen können sie für Beschwerden sorgen können. Der Krefelder Gastroenterologe Prof. Dr. Thomas Frieling bezeichnete die Studie gegenüber Medscape als sehr interessante Arbeit: „Solche Ergebnisse können durchaus Einfluss auf praktische Empfehlungen haben.“
FODMAPs als möglicher Trigger von Beschwerden
Zum Hintergrund: Reizdarmpatienten machen häufig ihre Ernährung für Beschwerden verantwortlich. Eine Theorie, um Symptome zu erklären, basiere darauf, dass sie empfindlicher auf die Gas- und Flüssigkeitsproduktion im Darm reagierten und dabei eher Schmerzen empfänden, erklärt Frieling: „Das kann dazu führen, dass ganz normale Prozesse wie die Fermentierung von Kohlenhydraten, von Gesunden gar nicht wahrgenommen werden, aber von Reizdarmpatienten schon.”
Blähende Lebensmittel wie Kohl oder Hülsenfrüchte, aber auch Speisen mit FODMAPs, können zum Problem werden. Frieling: „Diese FODMAPs erzeugen besonders viel von diesen Gasen und Flüssigkeiten, und wenn man sie in einer entsprechenden Diät reduziert, dann gibt es gute Untersuchungen, dass ein großer Teil dieser Patienten darauf anspricht.”
In Getreide und Brot finden sich Fructane, die auch zu FODMAPs zählen. Sie gelten als wünschenswerte Inhaltsstoffe, da sie zu den Ballaststoffen zählen und möglicherweise auch die Vielfalt der Darmflora, das Mikrobiom, beeinflussen könnten. Bei den meisten Menschen verursachen sie keinerlei Beschwerden.
Brot ist auch kein besonders FODMAP-reiches Lebensmittel, wird aber in vergleichsweise großer Menge verzehrt, so dass die Summe der enthaltenen FODMAPs möglicherweise für Reizdarmpatienten bedeutsam sein könnte.
Brotteig lange ruhen lassen
Mehrere Studien weisen darauf hin, dass lange Ruhezeiten von Brotteigen die Menge an FODMAPs verringern. Das liegt daran, dass Hefepilze oder andere Mikroorganismen, etwa aus Sauerteig, in der Lage sind, die FODMAPs als Nährstoffe zu verwenden und zu verstoffwechseln.
Der Abbau ereignet sich während der Gehzeiten oder Ruhezeiten des Teiges vor dem Backen. In der Praxis gibt es je nach Produkt deutliche Unterschiede. Backpulverbrote (Sodabreads) brauchen gar keine Ruhezeit, Hefebrote können mit sehr kurzen Ruhezeiten von unter 1 Stunde hergestellt werden, aber Sauerteigbrote sollten mehrere Stunden vor dem Backvorgang reifen.
Test unter Realbedingungen
Allerdings, erklärt Studienautor Friedrich Longin im Artikel, würde ein Bäcker nicht einen exakt gleichen Brotteig entweder kurz oder lang reifen lassen, wie das in den ersten Laborstudien teilweise gemacht worden sei. Denn unter zu langen Ruhezeiten mit zu viel Hefe leide die Teigstruktur.
Plant man eine kurze Gärzeit, kommt mehr Hefe an den Teig, und er ruht im Warmen. Bei einer langen Gärzeit wird weniger Hefe zugefügt, und der Teig häufig über Stunden kühl gestellt. „Deshalb haben wir diese Studie mit realistischen Bäckerrezepten durchgeführt” sagt der Wissenschaftler.
Aus jeder der 21 getesteten Weizensorten wurden 2 Brotteige zubereitet, jeweils für 1 Brot mit knapp 2-stündiger oder 24-stündiger Ruhezeit. Der Vergleich zeigte: Schon 2 Stunden als mittlere Ruhezeit verringern den FODMAP-Gehalt deutlich. In der Studie waren es durchschnittlich 0,22g pro 100g frisches Brot beziehungsweise 0,4g pro 100g Trockenmasse, was relativ wenig ist. Die 24-stündige Gehzeit unter Realbedingungen, also mit weniger Hefe und bei niedriger Temperatur, erwies sich zwar als noch besser. Es gab allerdings keine statistisch signifikanten Unterschiede.
Welche Rolle spielen Getreidesorten?
Allerdings konnten die Wissenschaftler feststellen, dass sich ihre verwendeten Weizensorten stark beim Gehalt an FODMAPs unterschieden.
Besonders eine Untergruppe dieser Inhaltsstoffe ist dabei entscheidend: Der Gehalt an Fructanen im Mehl erlaubte eine grobe Abschätzung des FODMAP-Gehaltes im fertigen Brot. Fuctan-arme Weizensorte sowie ausreichend lange Ruhezeiten, eventuell auch ein Sauerteig, seien gute Ansätze, um FODMAP-arme Brote herzustellen, schreiben die Wissenschaftler. Allerdings müsse durch regelmäßige Kontrollmessungen überprüft werden, ob das Brot auch tatsächlich wenig FODMAPs enthalte.
Frieling könnte sich vorstellen, dass die Strategie für manche Reizdarmpatienten hilfreich wäre. Denn eine FODMAP-arme Diät sei eine erhebliche Einschränkung, bei der die Patienten erstmal auf viele Lebensmittel verzichten müssten. „Das ist zwar effektiv, aber das verringert die Lebensqualität“, so der Experte. „Das ist eigentlich kein Langzeitkonzept.“ Deshalb seien verschiedene Brotsorten nicht uninteressant. In der Regel wird nach anfangs strenger Diät versucht, verträgliche Nahrungsmittel Schritt für Schritt wieder einzuführen.
Auslöser immer noch unklar
Ob nach einem in der Studie empfohlenen Verfahren gebackene Brote allerdings wirklich die Beschwerden von Patienten verringern, ist unklar. Nur selten wurde bisher in Studien getestet, ob Patienten lange gereiftes Brot besser vertragen. Frieling kennt aber Erfahrungsberichte: „Es gibt Patienten, die sagen, ich nehme Dinkelbrot. Oder ich backe mein Brot selbst, nach erprobten Rezepten.”
Warum Betroffene mitunter Dinkelbrote oder sogenanntes Urkorn wie Einkorn und Emmer besser vertragen als Weizen, lässt sich anhand von FODMAPs kaum erklären. Auch das untersuchten die Hohenheimer Wissenschaftler in ihrer Studie. Der Ausgangsgehalt an Fructan war ähnlich, bei Dinkel und Einkorn sogar höher als bei den untersuchten Weizensorten.
Allerdings ist es nach wie vor eine wissenschaftlich ungeklärte Frage, wie es bei Reizdarmpatienten zu Beschwerden kommt. FODMAPS seien dabei nur eine der Möglichkeiten, erklärt Frieling: „Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass es möglicherweise gar nicht die FODMAPs sind. Was am Ende die Ursache ist, das ist noch Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion.”
Reizdarmpatienten sind ohnehin eine uneinheitliche Gruppe, bei denen durchaus unterschiedliche Ursachen für ihre Beschwerden verantwortlich sein könnten. Frieling gibt auch zu bedenken, dass Ernährung ein sehr komplexes und emotional belastetes Feld sei, in dem nicht nur objektive wissenschaftliche Einflüsse zum Tragen kämen. „Eine Kopplung von bestimmten Lebensmitteln mit Aversionen geht sehr schnell, und dann denkt man, die Nahrung ist schuld. Nicht alles was als unverträglich empfunden wird, ist auch objektiv unverträglich, es kann auch eine solche Kopplung der Grund sein.”
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Diesen Artikel so zitieren: Reizdarmsyndrom: Lange Gärzeiten führen zu weniger vergärbaren Zuckern im Brot – doch eine Frage bleibt offen - Medscape - 11. Sep 2020.
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