Transverse Myelitis nach Impfung als „ernst zu nehmendes Signal“: AstraZeneca stoppt große Studie mit Corona-Impfstoff

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

9. September 2020

 

Update vom 14. September

Studie geht in UK weiter – noch keine weiteren Informationen

Die Impfstoff-Studie der Universität Oxford mit AstraZeneca ist am Samstag den 12. September in Großbritannien wieder gestartet. Die Aufnahme neuer Patienten in die weltweite Studie war am 6. September ausgesetzt worden, nachdem bei einem Teilnehmer des britischen Studienarms schwere Nebenwirkungen aufgetreten waren, die möglicherweise mit der Impfung in Zusammenhang stehen. Weder die Universität Oxford noch AstraZeneca haben allerdings bislang weitere Details über die unerwünschte Reaktion veröffentlicht, die zur Studienunterbrechung geführt hat – ebenso wurden keine Details bekannt, wie es zur Entscheidung kam, die britische Studie wieder aufzunehmen. Bislang unbekannt ist auch, ob die weltweite Studie mit dem Impfstoff in den anderen beteiligten Ländern wie Südafrika, Brasilien und den USA wieder aufgenommen wird.

AstraZeneca hat seine klinische Phase-3-Studie zur Untersuchung eines SARS-CoV-2-Impfstoffs gestoppt, berichten verschiedene Medien. Bei einem Probanden aus Großbritannien soll eine transverse Myelitis aufgetreten sein; weitere Teilnehmer der Studie sind nach jetzigem Kenntnisstand nicht betroffen.

Nun sollen systematische Untersuchungen klären, ob eine Kausalität besteht. „In großen Versuchsreihen treten Erkrankungen zufällig auf, müssen aber von unabhängiger Seite untersucht werden, um das gründlich zu überprüfen“, wird der Konzern zitiert. Bis zur Klärung erhalten keine weiteren Teilnehmer den Impfstoff.

Prof. Dr. Bernd Salzberger, Bereichsleiter Infektiologie, Universitätsklinikum Regensburg, kommentiert dies auf Anfrage des Science Media Center Deutschland, bislang noch zurückhaltend: „Wie beziehungsweise wo die Entscheidung hier gefallen ist, kann aktuell noch nicht nachvollzogen werden aufgrund der spärlichen Informationen.“

 
Die Studie wurde nicht abgebrochen, sondern es werden als Standard zunächst neue Impfungen ausgesetzt, um die mögliche Nebenwirkung genauer untersuchen zu können. Prof. Dr. Bernd Salzberger
 

Und weiter sagt er: „Die Studie wurde nicht abgebrochen, sondern es werden als Standard zunächst neue Impfungen ausgesetzt (das heißt study on hold), um die mögliche Nebenwirkung genauer untersuchen zu können. Ernste Sicherheitssignale, vor allem solche, die im zeitlichen Zusammenhang mit Impfungen entweder auftreten oder diskutiert werden, werden sicherlich mit hoher Aufmerksamkeit bedacht – das ist auch sinnvoll bei einer Impfung, die ja möglicherweise in vielen Millionen Dosen angewandt werden wird.“

30.000 Probanden geplant

Im Studienregister clinicaltrials.gov sind Details zu finden: Insgesamt sollen 30.000 Teilnehmer für die Phase2/3-Studie rekrutiert werden – in den USA, in Brasilien, Großbritannien und Südafrika. Sie erhalten entweder 2 Dosen des Impfstoffs oder 2 Dosen Kochsalzlösung als Placebo. Die Studie startete am 17. August 2020 und sollte bis 2. Dezember 2020 laufen.

Laut Studienregister ist geplant, alle Daten bis 5. Oktober 2022 auszuwerten. In der Vakzine ist ChAdOx1 nCoV-19, ein Vektorviren-Impfstoff auf Basis eines Adenovirus, der sich nicht in menschlichen Zellen replizieren kann. Der Impfstoff geht auf Forschungsprojekte der Universität Oxford zurück.

Seltene neurologische Erkrankung mit vielen möglichen Ursachen

Die transversale Myelitis ist eine ist eine seltene neuroimmunologische Erkrankung des zentralen Nervensystems. Sie kann idiopathisch, aber auch nach bakteriellen oder viralen Erkrankungen auftreten.

 
Es bleibt die Frage offen, wie schwer die Symptome sind und wie genau die Diagnose gesichert wurde ...  Prof. Dr. Bernd Salzberger
 

Welche Symptome im Mittelpunkt stehen, hängt von der geschädigten Region ab, in der es zu demyelinisierenden Vorgängen gekommen ist. Bekannt sind Muskelschwäche, motorische Lähmungen bis zu einer Querschnittlähmung, Gefühlsstörungen, neuropathische Schmerzen, spastische Lähmungen, Erschöpfung, Depression, Fehlfunktionen von Enddarm und Harnblase sowie sexuelle Störungen. Welche Symptome der Patient hat, ist unbekannt.  

Salzberger erläutert dazu: „Es bleibt die Frage offen, wie schwer die Symptome sind und wie genau die Diagnose gesichert wurde – zum Beispiel durch eine Liquorpunktion im Rückenmark oder durch eine Kernspintomographie des Myelons (Rückenmark).“

Ein Signal, das bei Impfstoffstudien ernst zu nehmen ist

Als Ursache für eine solche Erkrankung kommen nach seinen Angaben die Polio, heutzutage auch häufiger Enteroviren (z.B. D68) in Frage – oder Autoimmunreaktionen, wie eine Multiple Sklerose. „Auch wenn in vielen Fällen eine solche Myelitis sich vollständig zurückbildet, ist das ein sehr ernstzunehmendes Syndrom – es gibt sehr selten eine Myelitis, vermutlich durch Kreuzreaktionen von Virusantigenen mit körpereigenen Strukturen, z.B. bei der Gelbfieberimpfung“, erklärt Salzberger.

 
Auch wenn in vielen Fällen eine solche Myelitis sich vollständig zurückbildet, ist das ein sehr ernstzunehmendes Syndrom ... Prof. Dr. Bernd Salzberger
 

„Insofern werden solche Signale bei Impfstudien sicher sehr ernst genommen und müssen aufgeklärt werden. Im besten Fall hatte der Proband eine parallele Virusinfektion, die das Krankheitsbild verursacht hat und nicht die Impfung“, so seine Hoffnung.

Prof. Dr. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie, Philipps-Universität Marburg, kommentiert ebenfalls gegenüber dem SMC: „Für mich ist das Vorgehen im Falle der Impfstoffstudien von AstraZeneca ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass die Sicherheitsregeln greifen. Es ist bedauerlich, dass ein Proband der Studie erkrankt ist, aber es fehlen noch wichtige Informationen, um den Fall bewerten zu können.“

Becker, der Koordinator des Forschungsbereichs „Neu auftretende Infektionskrankheiten“ sowie stellvertretender Standortsprecher Gießen-Marburg-Langen, Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF), Braunschweig, ist,  sieht auch das Positive an diesem Fall: „In der Öffentlichkeit werden solche Vorgänge wie das Aussetzen einer klinischen Studie manchmal als Schreckensmeldungen wahrgenommen. Wichtig ist aber anzuerkennen, dass das transparente Vorgehen ein Zeichen der funktionierenden Qualitätskontrolle ist.“

 

Kommentar

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