DGRh beklagt Mangel an Rheumatologen, Leidtragende sind die Patienten – was sich ändern müsste

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

9. September 2020

1,5 Millionen Patienten – 2% der Erwachsenen – leiden in Deutschland an rheumatologisch-entzündlichen Erkrankungen. Doch bis zur Diagnose dauert es oft lange: Selbst eine Rheumatoide Arthritis (RA) – mit 60.000 bis 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr die bekannteste Rheumaart – wird im Schnitt erst nach 9 Monaten diagnostiziert. Patienten mit selteneren Rheumaformen warten teils mehrere Jahre auf Diagnose und Therapie. Der Grund: Es gibt zu wenig internistische Rheumatologen.

Wie groß die Versorgungslücken in der Rheumatologie sind, und was sich dringend ändern muss, wurde auf der Vorab-Online-Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) deutlich [1]. Vergeht viel Zeit bis zur Diagnose, kann das für die Patienten gravierende Folgen haben, warnte Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz, Leiter der Sektion Rheumatologie am Universitätsklinikum Heidelberg.

Gerade bei rheumatisch-entzündlichen Erkrankungen ist eine rasche Therapie wichtig. Je früher therapiert wird, desto geringer die Schäden und desto höher die Chance auf eine Remission. Wird aber die Entzündung nicht schnell unter Kontrolle gebracht, ist die Gefahr der Chronifizierung groß.

Gerade mal halb so viele Rheumatologen wie eigentlich gebraucht

Um eine gute Versorgung zu gewährleisten, würden in Deutschland mindestens 1.350 internistische Rheumatologen gebraucht, so Lorenz. Zurzeit liegt deren Zahl aber bei 750. Das habe schon in der Vergangenheit zu Mangelsituationen geführt, sagte Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops, Präsident der DGRh und Leiter der Rheumaeinheit an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München, und fügte hinzu: Das ist eine Situation, die auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird.“

 
Eigentlich ist das ein Skandal, denn die Bevölkerung leidet darunter, dass hier ein Engpass gesetzt wurde, basierend auf rein wirtschaftlichen Daten. Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz
 

Lorenz fand ebenfalls deutliche Worte: Eigentlich ist das ein Skandal, denn die Bevölkerung leidet darunter, dass hier ein Engpass gesetzt wurde, basierend auf rein wirtschaftlichen Daten. Das ist nicht nur unethisch, das ist auch kontraproduktiv, wir lassen die Krankheiten laufen, und sie chronifizieren sich dann.“

Der Fachärztemangel in der Rheumatologie führe auch dazu, dass die mit den entzündlichen Erkrankungen einhergehenden anderen Veränderungen – z.B. eine Herz- oder Lungenbeteiligung – erst erkannt werden, wenn sie Symptome machen. Vom persönlichen Leid der Menschen einmal abgesehen, koste die Behandlung von chronischen Patienten auch sehr viel Geld.

Die Politik hat reagiert: In der Bedarfsplanungs-Richtlinie vom 30. Juni 2019 wurde für die Rheumatologen bei der Besetzung der Kassenarzt-Sitze eine Mindestquote von 8% festgelegt, nach 5 Jahren wird eine Erhöhung auf 10% geprüft. Das klingt erst mal sehr schön. Das Problem ist aber: Wir haben diese 10 Prozent gar nicht“, betonte Schulze-Koops.

Fehlende Lehrstühle sind ein Verstoß gegen die Ausbildungsordnung

Das Problem sei vielmehr, dass es in Deutschland viel zu wenige Möglichkeiten gebe, rheumatologische Weiterbildungsassistenten auszubilden. 35 medizinische Fakultäten gibt es in Deutschland, doch gerade mal 9 Lehrstühle für Rheumatologie.

 
Die Problematik beginnt eigentlich an den Hochschulen: Wo keine Lehre stattfindet, findet auch kein Interesse für das Fach statt. Prof. Dr. Hendrik Schulze-Koops
 

„Die Problematik beginnt eigentlich an den Hochschulen: Wo keine Lehre stattfindet, findet auch kein Interesse für das Fach statt. Bieten wir keine Lehre an, finden wir auch keine Studenten, die sich für das Fach begeistern, denn komme ich damit nicht in Berührung, suche ich mir etwas anderes aus“, verdeutlichte Schulze-Koops die Situation.

Doch es ist nicht nur für angehende Mediziner schwer, Stellen in der Rheumatologie als Weiterbildungsassistenten zu finden. Auch Fachärzte für Rheumatologie fänden in größeren, primär nicht akademischen Krankenhäusern keine Weiterbildungsstellen oder Oberärztlichen Stellen. Die DGRh, der Berufsverband deutscher Rheumatologen (BDRh) und der VRA (Verband der rheumatologischen Akutkliniken) müssten reagieren, um die Ausbildungsmöglichkeiten für Studenten zu verbessern.

Dazu sei es notwendig, an die Fakultäten zu gehen und darauf hinzuweisen, dass eine fehlende rheumatologische Versorgung de facto einen Verstoß gegen die Ausbildungsverordnung darstellt. Wir müssen auch fordern, dass 10 Prozent der Weiterbildungsstellen in der inneren Medizin rheumatologisch ausgerichtet sind“, so Schulze-Koops, denn sonst ließen sich die Vorgaben von dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) und Bundesgesundheitsministerium (BMG) nicht erfüllen.

Im vergangenen Jahr haben nur 44 Mediziner ihren Facharzt in Rheumatologie abgelegt. Und die reichen nicht einmal aus, um den Status quo der Versorgung zu erhalten“, erklärte Schulze-Koops. Dass die Rheumatologie eine Disziplin ist, die sich gut mit einer jungen Familie vereinbaren lässt – keine Wochenenddienste und kein Nachdienst, die Möglichkeit, an einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) oder in einer Hochschulambulanz Teilzeit zu arbeiten – verschärfe die Situation zusätzlich: Davon wird vermutlich nicht einmal die Hälfte Vollzeit arbeiten, für die Versorgung ist diese Zahl deshalb eigentlich noch geringer als die 44.“

DGRh: DRGs sollten von der Weiterbildung entkoppelt werden

Auch das 2004 eingeführte DRG-Abrechnungssystem, bei dem die klinische Patientenversorgung über Fallpauschalen vergütet wird, stellt eine Hürde für eine bessere Versorgung mit Rheumatologen dar. Die DRGs richten sich nach Art und Schwere der Erkrankung, spiegeln aber nicht immer den tatsächlichen Therapieaufwand wider und sorgen dafür, dass manche Patienten sich für die Klinik eher „lohnen“ als andere.

 
Durch die Fallpauschalen zerfällt die Klinik in finanzkräftige und weniger finanzkräftige Abteilungen und damit in Abteilungen, denen mehr, und anderen, denen weniger Weiterbildungsstellen zugeteilt werden. Prof. Dr. Hanns-Martin Lorenz
 

„Durch die Fallpauschalen zerfällt die Klinik in finanzkräftige und weniger finanzkräftige Abteilungen“, kritisierte Lorenz – „und damit in Abteilungen, denen mehr, und anderen, denen weniger Weiterbildungsstellen zugeteilt werden.“

Lorenz verweist auf die Universitätsklinik Heidelberg, an der es 60 bis 70 Weiterbildungsstellen in der Kardiologie gibt. Schaut man aber, was in der Versorgung gebraucht wird, dann sind das eher Kollegen aus den ambulanten Fächern Rheumatologie, Psychiatrie, Diabetologie, Pädiatrie, Psychosomatik.“ Da herrsche ein Mangel.

Die Politik, so Lorenz, habe vergessen, dass Kliniken nicht dazu da seien, um Geld zu verdienen, sondern zur Patientenversorgung. Vergessen habe man aber auch, dass ein Krankenhaus auch für die Weiterbildung des Nachwuchses zuständig sei.

Fordert die DGRh, dass die DRGs generell überarbeitet werden? In der Rheumatologie sind die DGRs sehr weit aufgespreizt, ein Herzinfarkt ist immer ein Herzinfarkt, das ist relativ standardisiert. Doch eine Kollagenose beispielsweise kann eine banale Krankheit sein, es kann aber auch eine Krankheit sein, die alle Ressourcen einer Intensivstation braucht – dieselbe Krankheit manifestiert sich sehr unterschiedlich“, erklärt Lorenz.

Die DRGs deckten diese Streuung nicht ab. Die Hauptforderung der DGRh ist deshalb, die DRGs von der Weiterbildung zu entkoppeln. Würde man die Sektorengrenzen aufbrechen und auch die ambulante Versorgung vergüten, und würde man die Weiterbildung finanziell unterstützen und sagen wir mal 8 Prozent aller Weiterbildungsstellen müssen rheumatologische sein, dann wäre schon viel erreicht“, so Lorenz.
 

Kommentar

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