Haben die beiden hauptsächlichen Typen des Schlaganfalls – der ischämische und der hämorrhagische – einen unterschiedlichen „Ernährungshintergrund“? Ja, vermittelt eine neue longitudinale Kohortenstudie [1]. Der Verzehr von Obst und Gemüse, Ballaststoffen und Milchprodukten hilft, den ischämischen Schlaganfall zu vermeiden, Fleischprodukte wirken eher kontraproduktiv. Das Risiko für einen hämorrhagischen Schlaganfall bleibt davon – also auch bei Vegetariern – aber unbeeinflusst.
Daten von 420.000 Menschen
Der aktuell im European Heart Journal publizierte Studie liegen die Daten von knapp 420.000 Menschen aus 9 westeuropäischen Ländern zugrunde, die in den Jahren 1992 bis 2000 im Rahmen der European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC)-Studie rekrutiert wurden.

Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz
Damals wurden umfangreiche soziodemografische Faktoren sowie Daten zu Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten erhoben, um daraus eventuelle Risikofaktoren für in der Zukunft auftretende Erkrankungen zu erkennen. Die Daten wurden bzw. werden jährlich aktualisiert. Der jetzt analysierten Personendaten umfassen im Mittel einen Zeitraum von 12,7 Jahre.
„Solche longitudinale Kohortenstudien sind selten und deshalb sehr sinnvoll“, bewertet Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schäbitz, Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) die Ergebnisse gegenüber Medscape. „Auch wenn sie keine direkten Schlussfolgerungen zulassen, geben sie Hinweise auf mögliche Zusammenhänge, die daraufhin zum Gegenstand konkreter Forschungen werden.“
Auswirkung verschiedener Lebensmittel auf die beiden Schlaganfall-Typen
Die Autoren um Dr. Tammy Y. N. Tong, Epidemiologin an der Universität Oxford, UK, analysierten diese Daten, nachdem es in der Kohorte zu jeweils klar diagnostizierten 4.281 ischämischen und 1.430 hämorrhagischen Schlaganfällen gekommen war. Das Ergebnis zeigte einen klaren Unterschied zwischen beiden Schlaganfall-Typen bezogen auf den jeweiligen „Ernährungshintergrund“.
Das Risiko für einen ischämischen, also durch Gefäßverschluss verursachten Schlaganfall sank signifikant in Verbindung mit vermehrtem Verzehr ballaststoffreicher Ernährung, Obst, Gemüse und Milchprodukten, aber stieg mit dem Verzehr von rotem Fleisch.
Das Risiko für einen hämorrhagischen, als durch Gefäßruptur verursachten Schlaganfall stieg lediglich in Verbindung mit vermehrtem Verzehr von Eiern signifikant. Eine mögliche Senkung dieses Risikos ergab die statistische Auswertung für keines der untersuchten Lebensmittel.
Im Einzelnen ergab sich:
Der Verzehr von 200 g mehr Obst und Gemüse pro Tag senkte das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall hochsignifikant um 13% (Hazard Ratio: von 0,87; 95%-Konfidenzintervall: 0,82-0,93; p < 0,001).
Die Aufnahme von täglich 10 g mehr Ballaststoffen insgesamt mit Anteilen von Cerealien, Obst und Gemüse sogar um 23% (HR: 0,77; 95%-KI: 0,69-0,86; p < 0,001).
200 g mehr Milch, 100 g mehr Joghurt und 30 g mehr Käse täglich senkten die HR signifikant auf jeweils 0,95; 0,91 und 0,88.
Auf der anderen Seite erhöhte der Verzehr von 50 g mehr rotem Fleisch pro Tag das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall signifikant um 14% (HR: 1,14; 95%-KI: 1,02–1,27 im Konfidenzintervall; p < 0,081).
Die entsprechende Analyse anderer Lebensmittel (Geflügel, Fisch, Getreideprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse) ergab keine Veränderung des Risikos.
Das Risiko für einen hämorrhagischen Schlaganfall erhöhte sich signifikant lediglich im Zusammenhang mit dem Verzehr von täglich 20 g mehr Eiern (entspricht etwa einem halben Ei) um 14% (HR: 1,14; 95%-KI: 1,02–1,27; p < 0,081). Risikosenkende Lebensmittel für einen hämorrhagischen Schlaganfall gab es nicht.
Fleischverzehr kann „kompensiert“ werden
Die Autoren werteten aber nicht nur die Lebensmittel für sich allein, sondern auch in ihrer Gesamtheit aus: Sie adjustierten die Werte auf alle Lebensmittel, die der jeweilige Teilnehmer verzehrt hatte.
Das Ergebnis: Wenn Teilnehmer mehr Obst, Gemüse und Ballaststoffe aufgenommen hatten, fiel die Steigerung des Risikos für einen ischämischen Schlaganfall trotz Konsums von rotem Fleisch deutlich weniger stark aus (HR: 1,07; 95%-KI: 0,96–1,20; p < 0,99).
„Man kann also sein persönliches Risiko, einen ischämischen Schlaganfall zu erleiden, allein durch den vermehrten Verzehr von Obst, Gemüse und Vollkornprodukten verringern, auch wenn man weiterhin nicht auf rotes Fleisch verzichtet“, schlussfolgert Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). „Die negativen Folgen des Fleischkonsums können wohl zumindest teilweise durch den Verzehr von Ballaststoffen etc. neutralisiert werden.“
„Man muss also nicht zum Vegetarier werden, um sein Schlaganfall-Risiko zu verringern“, resümiert Schäbitz, „zumal sich aus dieser Studie außer dem Verzicht auf Eier keine Möglichkeit ergibt, sein Risiko für einen hämorrhagischen Schlaganfall durch eine Änderung der Ernährung zu verringern.“
Weitere Risikofaktoren
Außer der Ernährungsfaktoren stieg das Schlaganfall-Risiko für beide Typen gleichermaßen durch höheres Lebensalter, Tabakkonsum von mehr als 10 Zigaretten täglich, niedrige Schulbildung, fehlende sportliche Aktivität, Diabetes, Bluthochdruck und Hyperlipidämie, dies allerdings bei Frauen mehr als bei Männern. Dazu lag das Risiko der Teilnehmer aus Skandinavien bei beiden Geschlechtern besonders hoch, ohne dass dafür Gründe genannt wurden.
„Alle diese Faktoren sind nicht überraschend“, bemerkt Schäbitz dazu. „Auch das erhöhte Schlaganfallrisiko bei der skandinavischen Bevölkerung ist bekannt, die Ursachen dafür sind allerdings noch spekulativ.“
Sein Fazit lautet: „Die Ergebnisse dieser großen Studie reihen sich gut in den Kontext des bisher Bekannten ein. Die ernährungsspezifischen Unterschiede zwischen dem ischämischen und dem in seinen Folgen meist schwerwiegenderem hämorrhagischen Schlaganfall wurden allerdings noch nie zuvor so deutlich gemacht.“
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Diesen Artikel so zitieren: Über die Ernährung das Schlaganfall-Risiko senken: Das geht – auch für Nicht-Vegetarier! - Medscape - 9. Sep 2020.
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