Bei einer COVID-19-Erkrankung ist nach 2 bis 3 Wochen für die meisten das Schlimmste überstanden – so denken viele, und oft ist es auch so. Doch: Manche Menschen fühlen sich auch Wochen und Monate nach der akuten Infektion noch krank, sind anhaltend erschöpft, haben Atemprobleme, kommen einfach nicht wieder auf die Beine. An der Post-COVID-19-Ambulanz der Medizinischen Hochschule Hannover kümmert man sich um diese Patienten und will in einer Studie den Ursachen auf den Grund gehen.
Fallberichte in Science und Nature
Von den Langzeitfolgen berichtet auf Science die Neurowissenschaftlerin Athena Akrami, die im März mit Husten, Fieber, Brustschmerzen und Atemproblemen an COVID-19 erkrankte. Die 38-Jährige hatte bis zu ihrer Erkrankung ein Forschungslabor geleitet hat und war 3-mal pro Woche ins Fitnessstudio gegeangen. Jetzt – 4 Monate später – ist weder an Arbeit, noch an Sport zu denken. Ihre körperliche Aktivität beschränkt sich auf Wege „zwischen dem Bett und der Couch, eventuell auch zwischen der Couch und der Küche“.
Ähnliches berichtet Nisreen A. Alwan, die an der University of Southampton im Bereich öffentliche Gesundheit forscht und Ende März leicht an COVID-19 erkrankt war. In Nature schreibt sie Mitte August, dass ihre Tagesform extrem unterschiedlich sei, die Symptome mal stärker, mal schwächer, und dass sie an schlechteren Tagen so erschöpft sei, dass sie die kurzen Spaziergänge, die sie an besseren Tagen unternommen hatte, bereue.
Bislang 60 Patienten mit Spätfolgen behandelt
Dr. Isabell Pink, Pneumologin an der Medizinischen Hochschule Hannover (MMH) kennt einige solcher Fälle. Seit Mai leitet sie dort die Post-COVID-19-Ambulanz: „Ursprünglich war sie als Nachsorge-Ambulanz für unsere eigenen schwerkranken COVID-19-Patienten gedacht“, sagt sie im Gespräch mit Medscape. Doch immer mehr Fälle kamen von außerhalb und inzwischen haben die 7 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ambulanz 60 Patienten behandelt, die an Langzeitfolgen von COVID-19 leiden.
Ein Drittel dieser 60 Patienten, so Pink, wies schwere Krankheitsverläufe auf und war auf der Intensivstation behandelt worden, 10 der 60 Patienten konnten auf der Normalstation behandelt werden – und die Hälfte der 60 Patienten war nur mild bis leicht erkrankt, ohne ins Krankenhaus zu müssen.
Abhängig vom Verlauf sind auch die Langzeitfolgen der Patienten durchaus unterschiedlich: „Bei Patienten mit leichtem Verlauf ist eine Fatigue-Symptomatik typisch: Die Betroffenen fühlen sich müde, matt, können sich schlecht konzentrieren. Manche Patienten mit leichtem Verlauf klagen auch über Luftnot, über eine Art Gürtelgefühl um den Brustkorb“, berichtet Pink. Patienten mit schweren COVID-19-Verläufen hingegen zeigten sich eher mit Luftnot und es seien noch Veränderungen des Lungenparenchyms nachweisbar.
Das Alter der Patienten, die in der Ambulanz behandelt werden, reicht von 18 bis zu 70 Jahren. Die meisten der Patienten, die leicht erkranken, sind zwischen 20 und 40 Jahre alt, Patienten, die schwer erkranken, sind älter, so zwischen 50 und 70 Jahre alt. Doch auch 2 18-Jährige sind darunter.
Untersuchungen und Therapieansätze
Für die Behandlung in der COVID-19-Ambulanz ist eine Überweisung vom Hausarzt notwendig. Zu den Untersuchungen gehören eine Lungenfunktionsmessung, die Analyse von Blut, Urin und Speichel, eine körperliche Untersuchung und ein Belastungstest (6-min-Gehtest) sowie gegebenenfalls eine bildgebende Diagnostik.
„Die Vorgehensweise ist von der Ausprägung der Symptome abhängig“, erklärt Pink. Es besteht ein enger Kontakt zu anderen Fachdisziplinen. Bei Patienten mit Konzentrationsproblemen oder einer muskulären Problematik z.B. werden Rehabilitationsmediziner hinzugezogen und die Patienten erhalten ein Hirnleistungstraining oder ein Muskelaufbautraining.
In der Ambulanz verfolgen die Experten den Verlauf über mindestens ein halbes Jahr. Die Patienten werden 3-mal untersucht: 6 bis 8 Wochen, 3 Monate und 6 Monate nach der akuten SARS-CoV-2-Infektion.
Studie untersucht Langzeitfolgen nach milden Verläufen
Über die Langzeitfolgen einer Infektion mit dem Coronavirus ist insgesamt noch wenig bekannt. Die bisherigen Forschungen und klinischen Beobachtungen haben jedoch gezeigt, dass SARS-CoV-2 praktisch jedes Organ befallen und dort Schäden verursachen kann.
„Wir nehmen an, dass COVID-19 das Immunsystem nachhaltig verändert“, erklärt Prof. Dr. Marius Hoeper, kommissarischer Direktor der Klinik für Pneumologie der MHH.
Die Patienten der Ambulanz werden deshalb nach Möglichkeit in die Studie IRMI-19 (ImmunpRofile iM Langzeitverlauf nach COVID-19) eingeschlossen, in der die Langzeitfolgen nach milden Verläufen untersucht werden sollen. Aber auch Patienten, die nicht in der MHH behandelt wurden, können in die Studie aufgenommen werden. Insgesamt sollen rund 100 Patienten teilnehmen.
Durch „IRMI 19“ wollen Hoeper und sein Team neue Erkenntnisse über die Spätfolgen der Virusinfektion gewinnen. „Wir gehen davon aus, dass es zwischen den beobachteten Immunphänomenen und den anhaltenden Beschwerden Zusammenhänge gibt, die wir besser verstehen möchten, natürlich auch in der Hoffnung, diese in Zukunft behandeln zu können.“ Aufschlüsse darüber sollen Immunprofile im Langzeitverlauf bringen.
Langzeitfolgen werden jetzt ernster genommen
Werden Patienten, die nach milden Verläufen an Langzeitfolgen leiden zu wenig ernst genommen? „Ging ein 30-Jähriger zum Hausarzt und hat geklagt, dass er sich nach einem Infekt noch müde und matt fühlt, die zugrundliegende Infektionen ist aber sehr leicht verlaufen, dann konnte es schon passieren, dass dies nicht gleich so ernst genommen wurde“, meint Pink. Doch das habe sich geändert.
„Ich denke, diese Patienten bekommen jetzt eine lautere Stimme. Anfangs waren das Einzelfälle, die auch manchmal nicht ernst genommen wurden, aber jetzt zeigen sich mehr und mehr solcher Langzeitfolgen.“
Konkrete Zahlen dazu, wie viele Patienten gerade nach mildem COVID-19-Verlauf Langzeitfolgen entwickeln, gibt es bislang allerdings noch nicht. Mitte August hat auch die Uniklinik Jena die Thüringen-weit erste Post-Corona-Ambulanz eingerichtet.
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Diesen Artikel so zitieren: Leichter COVID-19-Verlauf, aber wochenlange Folgen – Studie an Post-COVID-Ambulanz untersucht, woran dies liegen könnte - Medscape - 4. Sep 2020.
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