Amsterdam – Colchicin in niedriger Dosierung von 0,5 mg/Tag kann bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit das Risiko für kardiovaskulär bedingte Todesfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle oder ischämie-bedingte koronare Revaskularisierungen um fast ein Drittel im Vergleich zu Placebo reduzieren.
„Der Nutzen ist rasch nach Therapiebeginn zu sehen und nimmt über die Dauer der Behandlung zu“, erläuterte Dr. Mark Nidorf, GenesisCare, Perth, Australien, bei der Vorstellung der Ergebnisse der LoDoCO2-Studie beim virtuellen ESC-Congress 2020 [1]. Parallel erschien eine Publikation im New England Journal of Medicine [2].
Colchicin verbesserte auch alle sekundären Endpunkte und wurde gut vertragen. Nidorf schlussfolgerte: „LoDoCo2 liefert eine starke Evidenz dafür, Colchicin für die Routine-Sekundärprophylaxe bei Patienten mit chronischer Koronarerkrankung einzusetzen.“
Hierfür sprach sich auch Diskutant Prof. Dr. Massimo Imazio, Universität von Turin (Italien), aus. „Ich möchte den Autoren zu einer gut geplanten, großen randomisierten Studie gratulieren, die meiner Meinung nach überzeugend gezeigt hat, dass Colchicin in der Sekundärprävention beim chronischen Koronarsyndrom sicher und wirksam ist, natürlich wenn es toleriert wird.“
Es gäbe nun immer mehr Belege dafür, dass Colchicin zusätzlich zur Standardmedikation sowohl bei chronischem als auch bei akutem Koronarsyndrom (COLCOT-Studie bei ACS-Patienten) das relative Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse um 23 bis 31% verringern könne.
Antientzündliche Therapie beim chronischen Koronarsyndrom
Colchicin ist ein schon lange in der Medizin eingesetztes Alkaloid, das in der Herbstzeitlose (Colchicum autumnale) vorkommt. Es fungiert als Mitosehemmer und hat eine breite antientzündliche Wirkung. In der COLCOT-Studie senkte Colchicin (0,5 mg/Tag) bei Patienten nach frischem Herzinfarkt das Risiko kardiovaskulärer Ereignisse signifikant um 23% im Vergleich zu Placebo ( Medscape hat berichtet ).
In der von Nidorf und Kollegen im Jahr 2013 publizierten offenen LoDoCo-Studie hatte Colchicin in niedriger Dosierung das relative Risiko des primären Endpunkts bei insgesamt 532 Patienten mit stabiler Koronarerkrankung signifikant um 77% im Vergleich zu Placebo verringert. Allerdings hatten 11% der Patienten die Studie innerhalb der ersten 30 Tage wegen gastrointestinaler Beschwerden abgebrochen.
Dieses Ergebnis sollte nun in einer großen, doppelblinden, randomisierten placebokontrollierten Studie bestätigt werden, der LoDoCo2-Studie. Eingeschlossen waren Patienten im Alter von 35 bis 82 Jahren mit nachgewiesener und seit mehr als 6 Monaten stabiler Koronarerkrankung.
Primärer Endpunkt und wichtige sekundäre Endpunkte erreicht
Die Studie beinhaltete ein Run-in-Periode über 30 Tage, in der zunächst alle Patienten mit 0,5 mg Colchicin pro Tag behandelt wurden. Patienten, die Colchicin vertrugen und einwilligten, wurden anschließend randomisiert mit Colchicin 0,5 mg/Tag (n=2.762) oder Placebo (n=2.760) zusätzlich zu ihrer Standardtherapie behandelt und im Median 29 Monate nachbeobachtet.
Die demographischen Parameter der beiden Gruppen waren ähnlich. Das Durchschnittsalter lag bei knapp 66 Jahren, und Männer waren mit rund 85% überrepräsentiert.
An einer Hypertonie litten 51% der Patienten; rund 84% waren bereits revaskularisiert worden.
Zirka 67% erhielten einen Plättchenhemmer, und 12,4% ein Antikoagulans. 94% wurden mit Statinen, 72% mit einem ACE-Hemmern, 62% mit einem Betablocker und 22% mit einem Kalziumkanalblocker behandelt.
Der primäre Endpunkt umfasste kardiovaskuläre Todesfälle, Herzinfarkte, Schlaganfälle und ischämie-bedingte koronare Revaskularisierungen.
In der Placebogruppe hatten 264 von 2.760 Patienten (9,6%) ein Ereignis des primären Endpunkts, in der Colchicin-Gruppe 187 von 2.762 Patienten (6,8%). Das bedeutet eine Senkung des relativen Risikos durch Colchicin um 31% im Vergleich zu Placebo (Hazard-Ratio 0,69, p<0,001). Die Wirkung setzte früh ein und nahm im Verlauf der Beobachtungszeit zu. Der Effekt von Colchicin war konsistent in allen Subgruppen nachzuweisen.
Das relative Risiko für den wichtigsten sekundären Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall) wurde durch Colchicin im Vergleich zu Placebo um 28% verringert (HR 0,72, p=0,007).
In den ersten 5 der 8 sekundären Endpunkte war Colchicin signifikant besser als Placebo. Kein signifikanter Unterschied ergab sich bei ischämischen Schlaganfällen allein (HR 0,66, p=0,198), bei der Gesamtsterblichkeit (HR 1,21) und der kardiovaskulären Sterblichkeit (HR 0,80).
Schwere Nebenwirkungen waren in der Colchicin- und der Placebo-Gruppe ähnlich, einschließlich Krankenhausaufenthalten wegen Infektionen (5,0% versus 5,2%), Pneumonien (1,7% versus 2,0%) oder gastrointestinalen Beschwerden (1,9% versus 1,8%). Myotoxische Reaktionen traten bei 4 bzw. 3 Patienten auf.
Für breites Patientenspektrum geeignet
Der Moderator der Online-Sitzung, Prof. Dr. Stefan Achenbach, Direktor der Medizinischen Klinik 2 des Universitätsklinikum Erlangen, wies darauf hin, dass viele Patienten vor Studieneinschluss akut revaskularisiert gewesen seien. Möglicherweise habe es sich um eine ausgewählte Kohorte mit höherem Risiko gehandelt, daher stelle sich die Frage, ob sich die Ergebnisse auf durchschnittliche Patienten übertragen ließen.
Nidorf entgegnete, dass die akuten Ereignisse mehr als 24 Monate vor der Randomisierung aufgetreten seien. Die Patienten seien stabil gewesen, was auch die niedrige Zahl kardialer Ereignisse und kardiovaskulärer Todesfälle zeige.
Es habe sich um Patienten gehandelt, die ständig zum Monitoring und zur Nachsorge in die Praxis kämen. „Deshalb sollten wir uns bei diesen Patienten künftig die Frage stellen: Tun wir für sie mit Acetylsalicylsäure und Statinen genug? Wir sollten an die Entzündung denken, und hier haben wir jetzt eine Möglichkeit.“
Keine Loading Dose verwenden und auf Interaktionen achten
In der COLCOT-Studie war ein erhöhtes Infektionsrisiko beobachtet worden, dieses bestätigte sich in der LoDoCo2-Studie nicht. Nidorf wies jedoch darauf hin, dass man auf Wechselwirkungen, z. B. mit Makrolid-Antibiotika achten müsse.
Diskutant Imazio ergänzte, dass es sehr wichtig sei, Colchicin in niedriger Dosierung von 0,5 mg zu verwenden, und man dürfe keine Loading dose einsetzen. Dann könne man gastrointestinale Nebenwirkungen vermeiden. Seiner Beobachtung nach würden 85% der Patienten, die 0,5 mg Colchicin nicht tolerierten, 0,25 mg vertragen. Man müsse bei der Colchicin-Gabe sorgfältig auf potenzielle Nebenwirkungen und auf Interaktionen mit der Standardmedikation wie Statinen achten.
Nidorf ergänzte, dass es in dieser Studie keine Hinweise auf Interaktionen mit Statinen gegeben habe. Myotoxische Wirkungen waren in der Colchicin-Gruppe nicht häufiger. Ein Fall von Rhabdomyolyse in der Therapiegruppe sei nicht primär auf Colchicin zurück zu führen.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Neuer Ansatz zur Sekundärprävention bei stabiler KHK: Colchicin senkt das kardiovaskuläre Risiko - Medscape - 4. Sep 2020.
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