Stark adipös, männlich und unter 60: Kalifornische Studie klärt, für wen COVID-19 besonders riskant sein kann

Marlene Busko

Interessenkonflikte

2. September 2020

In einer großen kalifornischen Studie mit COVID-19-Patienten hatten Männer unter 60 Jahren und starker Adipositas ein im Vergleich zu Normalgewichtigen unabhängig von anderen Risikofaktoren erhöhtes Risiko, innerhalb von 3 Wochen nach der Diagnose zu sterben [1]. Dies zeige, dass Adipositas eine bedeutende Rolle für die Mortalität spiele, berichten Dr. Sara Y. Tartof und ihr Team vom Kaiser Permanente Southern California in Pasadena. „Das betrifft insbesondere Männer und jüngere Menschen.“

Die Daten „betonen die herausragende Bedeutung der schweren Adipositas gegenüber korrelierten Risikofaktoren und bieten einen Ansatz für eine frühzeitige Intervention“, schlussfolgern sie in ihrem Artikel, der in den Annals of Internal Medicine publiziert worden ist.

Tartofs Arbeit reiht sich ein in die inzwischen fast 300 Artikel, nach denen eine schwere Adipositas mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität bei COVID-19 assoziiert ist.

Adipositas – ein unabhängiger Risikofaktor bei COVID-19

In einem begleitenden Editorial [2] sagt Dr. David A. Kass von der Johns Hopkins University in Baltimore: „Die Erkenntnisse dieser neuen Studie und anderer bisheriger Forschungsergebnisse sollte die Behauptung entkräften, nach der eine Adipositas bei schweren COVID-19-Verläufen nur deswegen häufig ist, weil sie auch in der Bevölkerung häufig ist.“

Vielmehr zeige sich, dass „die Adipositas ein wichtiger unabhängiger Risikofaktor für einen schweren COVID-19-Verlauf“ sei, betonte er. Davon ausgehend „ist die wohl am schwierigsten zu beantwortende Frage: Was ist zu tun?“, so Kass.

Obwohl die Daten immer wieder zeigten, dass ein BMI über 35 kg/m2 ein wesentliches Gesundheitsrisiko darstelle, „ist eine Gewichtsreduktion auf diesem Niveau einer Adipositas schwierig und sicherlich nicht schnell zu verwirklichen“, betont Kass.

„Deshalb sollten ... das Abstand halten, Verhaltensänderungen zur Verringerung der Viruslast und -übertragung, wie das Tragen von Masken, sowie die Implementierung von Leitlinien und Präventionsansätzen, welche die potenziellen Auswirkungen der Adipositas anerkennen, angewendet werden“, betont er. „Diese Maßnahmen sollten helfen und sind sicherlich machbar.“

Ähnlich äußern sich Tartof und ihr Team. Ihre Ergebnisse, so schreiben sie „offenbaren auch das erschütternde Aufeinandertreffen zweier Pandemien: COVID-19 und Adipositas.“

„Da sich COVID-19 unvermindert weiter ausbreitet, müssen wir unsere unmittelbaren Bemühungen auf die Eindämmung der aktuellen Krise konzentrieren“, drängen sie.

Die Ergebnisse unterstreichen jedoch auch „die Notwendigkeit künftiger kollektiver Anstrengungen zur Bekämpfung der ebenso verheerenden und potenziell synergetischen Kraft der Adipositas-Epidemie“.

COVID-19-Pandemie kollidiert mit Adipositas-Epidemie

Frühere Studien zu Adipositas und COVID-19 seien klein und nicht für alle Störvariablen adjustiert gewesen oder hätten hospitalisierte Patienten nicht berücksichtigt, schreiben Tartof und Kollegen.

Ihre Studie umfasste 6.916 Patienten des Versicherers Kaiser Permanente Southern California, bei denen zwischen dem 13. Februar und dem 2. Mai 2020 eine COVID-19-Erkrankung diagnostiziert worden war.

Forscher berechneten das Sterberisiko innerhalb von 21 Tagen nach einer COVID-19-Diagnose. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich Alter, Geschlecht, Ethnie, Rauchen, Myokardinfarkt, Herzinsuffizienz, peripherer Gefäßerkrankungen, zerebrovaskulärer Erkrankungen, chronischer Lungenerkrankungen, Nierenerkrankungen, Malignomen oder Tumormetastasen, Immunerkrankungen, Hyperlipidämie, Hypertonie, Asthma, Organtransplantationen und Diabetes adjustiert.

Alle Patienten wurden nach ihrem BMI als untergewichtig, normalgewichtig, übergewichtig oder adipös im Grad I, II oder III klassifiziert. Ein BMI von 18,5 bis 24 kg/m2 war als Normalgewicht definiert.

Die Adipositas III. Grads oder „extreme Adipositas“ wurde im Originalartikel noch weiter differenziert in einen BMI von 40-44 kg/m2 und einem BMI ≥ 45 kg/m2. In Deutschland endet die Einteilung der Adipositas jedoch mit dem Grad III und einem BMI über 40. Die Einteilung in diesem Artikel in IIIA und IIIB ist nicht offiziell und dient nur der besseren Lesbarkeit.

Etwas mehr als die Hälfte der Patienten waren Frauen (55%) und über 50% waren Hispanoamerikaner (54%).

Insgesamt starben 206 Patienten (3%) innerhalb von 21 Tagen nach der Diagnose an COVID-19. Von ihnen waren 67% hospitalisiert und 43% intubiert.

Insgesamt hatten die COVID-19-Patienten mit einer Adipositas IIIA oder IIIB ein 2,7- bzw. 4,2-fach höheres Sterberisiko, innerhalb von 3 Wochen im Vergleich zu normalgewichtigen oder weniger adipösen Patienten zu sterben.

Allerdings stieg die Mortalität innerhalb von 3 Wochen nach der COVID-19-Diagnose mit jedem zusätzlichen Lebensjahrzehnt ab 40 schrittweise an.

Risikoklassifikation nach Alter und Geschlecht

Weitere Analysen ergaben einen signifikanten und höchst auffälligen Befund: Patienten im Alter von maximal 60 Jahren mit Adipositas Grad IIIA und IIIB hatten im Vergleich zu Normalgewichtigen ein 17-fach bzw. 12-fach höheres Sterberisiko während des Follow-ups, so die Untersucher.

Bei Patienten über 60 Jahre bedeutete eine Adipositas Grad IIIA kein signifikant höheres Sterberisiko durch COVID-19 mehr. Bei Grad IIIB in dieser Altersgruppe war es noch relativ leicht um das Dreifache erhöht.

Den Forschern zufolge stelle eine extreme Adipositas bei COVID-19 bekannte Risikofaktoren wie Herzinfarkt, Diabetes, Hypertonie oder Hyperlipidämie bei der Mortalität in den Schatten. Dies spreche für einen pathophysiologischen Zusammenhang zwischen extremer Adipositas und dem COVID-19-Verlauf. Allerdings beobachteten sie die Assoziation nicht bei Frauen.

Männer mit einer Adipositas Grad IIIA und IIIB hatten im Vergleich zu normalgewichtigen Männern ein signifikant 4,8- bzw. 10-fach erhöhtes Risiko, innerhalb von 3 Wochen zu sterben.

„Dass die Risiken bei jüngeren Patienten höher sind, liegt wahrscheinlich nicht daran, dass die Adipositas in dieser Altersgruppe besonders schädlich sei, sondern eher daran, dass andere schwerwiegende Komorbiditäten erst im zunehmenden Alter als Risikofaktoren deutlicher hervortreten“, meint Kass in seinem Leitartikel.

 
Dass die Risiken bei jüngeren Patienten höher sind, liegt wahrscheinlich nicht daran, dass die Adipositas in dieser Altersgruppe besonders schädlich sei (…). Dr. David A. Kass
 

„Die viszerale Adipositas ist bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen. Das könnte der Grund dafür sein, dass Männer stärker betroffen sind, da dieses Fett besonders entzündungsfördernd ist und zu Stoffwechsel- und Gefäßerkrankungen beiträgt“, fügte er hinzu.

„Ich befasse mich als Kardiologe intensiv mit der Herzinsuffizienz“, schreibt Kass, „und mir fällt auf, dass viele der Mechanismen, die in der Literatur mit Adipositas und Herzerkrankungen in Zusammenhang gebracht werden, auch in den Arbeiten zu Adipositas und COVID-19 auftauchen.“

Dieser Artikel wurde von Markus Vieten aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.

 

Kommentar

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