
Prof. Dr. Manfred Schedlowski
Quelle: privat
Placebos wirken. Dafür gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Hinweisen. Doch was genau lösen sie im Körper aus? Und wie lässt sich der Effekt gezielt einsetzen?
Medscape sprach mit Prof. Dr. Manfred Schedlowski, Direktor des Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie am Universitätsklinikum Essen, über neue Forschungsergebnisse. Sie machen Hoffnung auf breitere Einsatzmöglichkeiten. Ein grüner Placebo-Saft konnte z.B. im Rahmen einer Versuchsreihe sogar Patienten nach einer Nierentransplantation helfen.
Schedlowski hält zu dem Thema Placebo-Wirkungen diese Woche, am 3. September, eine Keynote auf der Online-Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) mit Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG).
Medscape: Ist es tatsächlich die Placebo-Pille an sich, die dem Patienten hilft?
Prof. Schedlowski: Es ist das Gespräch mit dem Arzt darüber, dass ihm die Pille helfen kann, und die daraus folgende positive Erwartungshaltung des Patienten. Dabei werden Gehirnregionen im Bereich des präfrontalen Kortex aktiv, also dort, wo das Denken lokalisiert ist. Das kann man im fMRT sehen. Ausgang der Placebo-Reaktion sind also erstmal kognitive Prozesse. Dann wird aber auch die Amygdala beteiligt, also die Gehirnregion, die für die Gefühle zuständig ist.
Medscape: Wie führt dies dazu, dass Schmerzen nachlassen oder der Blutzuckerspiegel sinkt?
Prof. Schedlowski: Auf welche Weise genau der Placebo-Effekt die Organe beeinflusst, wissen wir noch nicht. Bei gelernten Veränderungen im Immunsystem scheint das sympathische Nervensystem mit dem Neurotransmitter Noradrenalin eine wichtige Rolle zu spielen. Nachweisen lässt sich beispielsweise auch, dass das dopaminerge System aktiviert wird.
Fest steht: Ein Placebo-Effekt lässt sich bei allen Endorgan-Funktionen zeigen. Und er funktioniert bei vielen Patienten. Allerdings nicht bei allen.
Medscape: Wer spricht besonders darauf an und wer eher nicht?
Prof. Schedlowski: Für den Placebo-Effekt kennen wir die Faktoren noch nicht genau – aber für den Nocebo-Effekt. Also das Phänomen, dass Menschen, die viele Bedenken gegenüber einer Behandlung haben, auch eher negative Effekte spüren. Hier sind ängstliche Menschen stärker gefährdet, und auch viele ältere Menschen. Das sollte man in der Kommunikation mit diesen Patienten berücksichtigen.
Medscape: Aber man darf dem Patienten mögliche Risiken nicht verschweigen, oder manchmal doch?
Prof. Schedlowski: Das muss man nicht. Aber man sollte eben nicht nur auf die Risiken hinweisen, sondern insbesondere auch auf den erwarteten Nutzen. Man kann beispielsweise sagen, dass einer von 10 Patienten bei einem Medikament eine bestimmte Nebenwirkung erlebt – aber auch, dass 9 von 10 das Präparat gut vertragen und es ihnen hilft.
Eine solche Art der Kommunikation fördert die positive Erwartungshaltung des Patienten und damit einen Placebo-Effekt, der die Wirkung des Medikamentes verstärken kann.
Medscape: Sollt man manchmal ausschließlich ein Placebo verabreichen?
Prof. Schedlowski: Ohne das Wissen des Patienten natürlich nicht. Aber der Effekt funktioniert auch, wenn der Patient weiß, dass kein Wirkstoff enthalten ist und ihm erklärt wird, dass viele Studien diesen Effekt dokumentiert haben. Man kann eine Placebo-Wirkung sogar regelrecht konditionieren in dem Sinne, dass der Patient sie erlernt.
Medscape: Wie funktioniert das?
Prof. Schedlowski: Wir haben in Versuchen gesunden Probanden eine grün eingefärbte und neu schmeckende Flüssigkeit ohne Wirkstoff gegeben, die gleichzeitig mit einer immunsuppressiven Substanz eingenommen wurde, und haben dann die Veränderungen im Immunsystem gemessen. Nach einigen Wiederholungen haben wir das Medikament weggelassen – und die Reaktion nach Gabe der grünen Flüssigkeit war im Immunsystem ähnlich wie unter der immunsuppressiven Medikation.
Das Getränk ist sozusagen zum spezifischen Placebo für die Immunsupression geworden. Bei nierentransplantierten Patienten konnten wir durch diesen Konditionierungsprozess die Wirkung der immunsuppressiven Therapie noch verstärken, obwohl die Patienten wussten, dass in dem Getränk kein Wirkstoff ist. Diesen Konditionierungsprozess könnte man zukünftig natürlich nutzen, um die Menge an Immunsuppressiva zu verringern.
Medscape: Ein niedergelassener Arzt hat nicht die Zeit, einen solchen Konditionierungsprozess mit seinem Patienten zu trainieren. Wie können Kollegen den Placebo-Effekt nutzen?
Prof. Schedlowski: Das wichtigste Placebo ist das Gespräch. Wenn dem Patienten die Erwartung vermittelt wird, dass ihm eine bestimmte Therapie helfen wird, werden dadurch wichtige Prozesse im Gehirn angestoßen, die die Placebo-Antwort auslösen, Organfunktionen beeinflussen und zu einer Symptomreduktion führen.
Das Problem ist: So ein Gespräch braucht Zeit, und die bekommt der Arzt kaum vergütet. Deshalb hat die Placebo-Forschung auch eine gesundheitspolitische Komponente. Wenn wir nachweisen können, dass die sprechende Medizin reale körperliche Vorgänge auslöst und Krankheitsverläufe positiv beeinflusst, dann muss sie wesentlich mehr berücksichtigt und insbesondere besser honoriert werden.
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Diesen Artikel so zitieren: Grüner Saft wirkt Wunder: Experte erklärt, wie man Placebos gezielt einsetzen und das Immunsystem konditionieren kann - Medscape - 2. Sep 2020.
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