Bei COVID-19 verringern antikoagulative Therapien die Sterblichkeit um 50% – Heparine und Apixaban sind erste Wahl

Michael van den Heuvel

Interessenkonflikte

31. August 2020

COVID-19-Patienten sterben oft an Blutgerinnseln – das fanden Hamburger Forscher bereits im Mai anhand von Autopsien heraus (wie Medscape berichtet hat). Und Ärzte am Mount Sinai Hospital, New York, USA, zeigten ebenfalls schon vor Monaten, dass antikoagulative Therapien bei COVID-19 Leben retten kann. Es blieben jedoch etliche Fragen offen – beispielsweise zur Dosierung der Wirkstoffe und zur Größe des tatsächlichen Nutzens.

Deshalb haben Prof. Dr. Girish N. Nadkarni vom Mount Sinai und Kollegen nun weitere Patientendaten retrospektiv ausgewertet. Sie erfassten 6 verschiedene Antikoagulanzien. Dabei zeigte sich, dass alle Antikoagulanzien unabhängig von ihrem Wirkmechanismus besser sind als keine antikoagulative Therapie. Sowohl therapeutische, sprich höhere Dosen, also auch prophylaktische, niedrigere Arzneistoffgaben, standen mit einer um 47% bzw. 50% geringeren Mortalität und einem um 31% bzw. 28% geringeren Beatmungsrisiko in Verbindung. Zum Vergleich zogen die Autoren Patienten heran, die keine Antikoagulation erhalten hatten.

Niedermolekulares, subkutanes Heparin in therapeutischer bzw. prophylaktischer Dosis und orales Apixaban in therapeutischer Dosis scheinen dabei am besten geeignet zu sein, wie die Autoren in JACC berichten [1].

„In den Kliniken ist schon lange bekannt, dass thromboembolische Ereignisse eine häufige Komplikation bei COVID-19 sind“, kommentiert Prof. Dr. Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), gegenüber der dpa. Behandlungsempfehlungen seien bereits im Juni in einer Leitlinie zahlreicher Fachgesellschaften zur intensivmedizinischen Therapie von COVID-19-Patienten veröffentlicht worden. Als Vorteil sieht der Experte die großen Datenmengen der aktuellen Untersuchung.

Studie mit 4.389 Patienten

Zu den Details: Bei ihrer retrospektiven Analyse erfassten Nadkarni und Kollegen Assoziationen der Antikoagulation mit der Mortalität, der Intubation und schweren Blutungen. Dazu werteten sie elektronische Patientenakten retrospektiv aus. Im Rahmen von Subgruppen-Analysen wurde zwischen therapeutischen (höheren) und prophylaktischen (niedrigeren) Wirkstoffdosen unterschieden. Die Pharmakotherapien mussten in den ersten 48 Stunden nach der Aufnahme initiiert werden.

Analysiert wurden Daten von 4.389 Patienten – und zwar im Zeitraum vom 1. März bis zum 30. April 2020. Das mediane Alter lag bei 65 Jahren, und 44% waren Frauen. Bei allen Patienten wurde die SARS-CoV-2-Infektion per PCR bestätigt. Sie erhielten Apixaban, Bivalirudin, Dabigatran, Enoxaparin, Rivaroxaban, unfraktioniertes Heparin oder keine antikoagulative Therapie.

Vorteile der Antikoagulation unabhängig vom Wirkstoff

Im Vergleich zu keiner Antikoagulation (n = 1.530; 34,9%) waren therapeutische (n = 900; 20,5%) und prophylaktische Antikoagulationen (n = 1.959; 44,6%) mit einer geringeren Mortalität im Krankenhaus (adjustierte Hazard Ratio: 0,53; 95%-Konfidenziontervall: 0,45-0,62 bzw. aHR: 0,50; 95%-KI: 0,45-0,57) und mit weniger Intubationen (aHR: 0,69; 95%-KI: 0,51-0,94 bzw. aHR: 0,72; 95%-KI: 0,58-0,89) assoziiert.

 
Die Antikoagulation war bei hospitalisierten COVID-19-Patienten mit geringerer Mortalität und Intubation assoziiert. Prof. Dr. Girish N. Nadkarni und Kollegen
 

Bei Beginn der Pharmakotherapie in den ersten 48 Stunden nach der stationären Aufnahme gab es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen therapeutischer (n = 766) und prophylaktischer Dosierung (n = 1.860) (aHR: 0,86; 95%-KI: 0,73-1,02; p = 0,08). Insgesamt wurde bei 89 Patienten (2%) eine schwere Blutung festgestellt, wobei 27/900 (3,0%) auf therapeutische, 33/1959 (1,7%) auf prophylaktische und 29/1.530 (1,9%) auf keine antikoagulative Therapie entfielen.

Niedermolekulares Heparin und NOAK, vor allem Apixaban, scheinen den größten Nutzen zu zeigen, aber die Unterschiede seien minimal, heißt es im Artikel. „Aus diesen rein deskriptiven Vergleichen können keine Schlussfolgerungen gezogen werden und es sind randomisierte Studien erforderlich, um Wirkstoffe zu vergleichen.“

Bleibt als Fazit: „Die Antikoagulation war bei hospitalisierten COVID-19-Patienten mit geringerer Mortalität und Intubation assoziiert“, so Nadkarni und Kollegen. „Im Vergleich zur prophylaktischen war die therapeutische Antikoagulation mit einer geringeren Mortalität assoziiert, wenn auch statistisch nicht signifikant.“

Bestätigung aus Autopsien

Nadkarnis Team nennt im Artikel ein weiteres Argument für antikoagulative Wirkstoffe bei COVID-19: Ausgewertet wurden Autopsie-Daten von 26 Personen, die aufgrund von COVID-19 gestorben waren, vor. Bei 4 von ihnen fanden die Forscher Hinweise auf Vorhofflimmern (n=3) oder eine frühere tiefe Venenthrombose (n = 1) inklusive antithrombotischer Therapie.

Von den verbleibenden 22 Patienten starben 4 innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme, ohne jemals antikoagulative Wirkstoffe erhalten zu haben. Weitere 14 erhielten diese Pharmaka zeitnah (prophylaktisch n = 13, therapeutisch n = 1), und 4 bekamen solche Wirkstoffe später.

Insgesamt fanden Ärzte post mortem bei 11/26 (42%) Hinweise auf Thromboembolien, darunter 4 Lungenembolien (15%), 2 Hirninfarkte (8%) und 5 Mikrothromben in mehreren Organen, darunter Herz (n = 4), Leber (n = 1), Nieren (n = 2) und Lymphknoten (n = 2). Zuvor hatte es bei diesen Personen keine klinischen Anhaltspunkte für Thromboembolien oder für ein höheres Risiko gegeben. Die Forscher vermuten, dass solche Ereignisse mit antikoagulativen Wirkstoffen verhindert werden könnten.

Wie geht es weiter?

„Obwohl es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, hat sie beim Entwurf einer groß angelegten internationalen klinischen Studie geholfen, die wir jetzt koordinieren“, wird Dr. Valentin Fuster in einer Pressemeldung zitiert [2]. Er ist Direktor des Mount Sinai Heart und Chefarzt des Mount Sinai Hospital. „Die randomisierte Studie konzentriert sich auf 3 antithrombotischen Therapien, nämlich therapeutisches und prophylaktisches subkutanes niedermolekulares Heparin und therapeutisches orales Apixaban.“

 

Kommentar

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