Es ist nach wie vor ein häufiges Problem in der Praxis: Männer mit Bluthochdruck nehmen aus Angst vor Nebenwirkungen ihre Antihypertensiva nicht ein. „Unsere Studie zeigt, dass Bluthochdruck behandelt werden kann, ohne eine erektile Dysfunktion zu verursachen“, betont jedoch Prof. Dr. Charalambos Vlachopoulos von der National and Kapodistrian University, Athen [1].
Seine Studie wird beim Kongress der European Society of Cardiology (ESC) vom 29. August bis 1. September vorgestellt. Während der Veranstaltung, die in diesem Jahr rein online stattfindet, tauschen sich Kardiologen unter dem Motto „ESC Congress 2020 – The Digital Experience“ virtuell zu neuen Ergebnissen ihres Fachgebiets aus.
Vlachopoulos berichtet von einer inversen Assoziation zwischen dem Hypertonie-Status und der arteriellen Insuffizienz des Penis bei Männern, die keine blutdrucksenkenden Medikamente einnahmen. Also: Je stärker der Blutdruck erhöht war, um so ausgeprägter war auch die mangelnde Blutversorgung des Penis. Diese Assoziation wurde abgeschwächt oder verschwand, falls Patienten Antihypertensiva bekamen. Die Ergebnisse werden im Detail auf dem ESC-Kongress 2020 vorgestellt.
Sexuelle Funktionsstörungen bei antihypertensiven Arzneistoffen
Zum Hintergrund: Hypertonie betrifft mehr als eine Milliarde Menschen weltweit und ist die Hauptursache für vorzeitige Todesfälle. Lebensstil-Änderungen wie eine gesunde Ernährung, wenig Salz, wenig Alkohol, kein Nikotin, mehr Bewegung und eine Verringerung des Körpergewichts reichen zur Therapie allein meist nicht aus. Viele Patienten benötigen daher Antihypertensiva, aber etwa die Hälfte nimmt laut Vlachopoulos ihre Medikation nicht wie verordnet ein. Ein möglicher Grund sind sexuelle Funktionsstörungen – oder zumindest die Angst davor.
Das hat Folgen: Bei Männern mit Bluthochdruck ist nicht nur das Risiko für Herzkrankheiten und Tod erhöht. Auch die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung der Durchblutung des Penis und einer erektilen Dysfunktion ist fast doppelt so hoch wie bei Männern mit normalem Blutdruck. Bluthochdruck schädigt die Arterienwände, verhärtet und verengt sie und verringert den Blutfluss zum Penis. Die erektile Dysfunktion ist ein Frühwarnzeichen dafür, erläutert der Experte.
Ältere Studien hatten jedoch ergeben, dass eine erektile Dysfunktion bei behandelten Männern mit hohem Blutdruck wohl häufiger auftritt als bei unbehandelten. Manche blutdrucksenkenden Medikamente, insbesondere Diuretika oder Betablocker, werden mit einer Verschlechterung der Sexualfunktion in Verbindung gebracht. So werden Betablocker unter Patienten auch immer wieder als „Betten-Blocker“ gehandelt.
Wie kann man als Arzt Patienten beraten? Überwiegen in punkto erektile Dysfunktion die positiven oder die negativen Effekte der Blutdrucksenker? Dieser Frage sind die Forscher um Vlachopoulos nachgegangen.
Kohortenstudie mit 356 Männern
Ihr Ziel war, mögliche Zusammenhänge zwischen dem Blutdruck, dem Blutfluss im Penis und der antihypertensiven Medikation zu erfassen. Dafür rekrutierten die Forscher 356 Männer mit erektiler Dysfunktion, aber ohne Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Vorgeschichte. Alle Untersuchungen fanden zwischen 2006 und 2019 statt.
Die Probanden wurden anhand ihrer Blutdruckwerte in 3 Kategorien eingeteilt: normal (systolisch unter 130 mmHg, diastolisch unter 85 mmHg; n=117), hochnormal (systolisch über 130, aber unter 140 mmHg, diastolisch ab 85 mmHg, aber unter 90 mmHg; n=91) und mit Hypertonie (systolisch ab 140 mmHg, diastolisch ab 90 mmHg; n=148).
Insgesamt wurden 164 (46%) Patienten mit blutdrucksenkenden Medikamenten behandelt.
Alle Studienteilnehmer unterzogen sich einem Farb-Doppler-Ultraschall des Penis, der Standardmethode zur Beurteilung von Blutgefäßen im Penis. Ärzte spritzen ein Medikament in die Peniswurzel, um die Blutgefäße zu öffnen, und dann den Blutfluss zu bestimmen. Als Störung war definiert, wenn weniger als 25 cm/s gemessen wurden.
Hoher Blutdruck – niedriger Blutfluss
Bei Männern, die keine blutdrucksenkenden Medikamente erhielten, nahm die Blutflussgeschwindigkeit im Penis mit steigendem Blutdruck progressiv ab. Das bedeutet konkret, der Blutfluss war bei Männern mit normalem Blutdruck am stärksten, bei Männern mit hochnormalem Blutdruck langsamer und bei Männern mit Hypertonie am niedrigsten. Im Gegensatz dazu gab es bei Männern, die eine antihypertensive Medikation erhielten, keinen Unterschied in der Blutflussgeschwindigkeit im Penis zwischen den 3 Gruppen.
„Die fortschreitende Abnahme der Blutflussgeschwindigkeit im Penis über die 3 Blutdruck-Kategorien bei Männern ohne blutdrucksenkende Medikamente deutet auf signifikante strukturelle Veränderungen der Blutgefäße des Penis infolge lang anhaltender Hypertonie hin“, kommentiert Vlachopoulos. „Die Unterschiede beim Blutfluss zwischen den 3 Gruppen verschwanden während der Behandlung, was auf eine medikamentöse Wirkung schließen lässt.“
Effekt von Antihypertensiva
In einer weiteren Analyse verglichen die Forscher behandelte und unbehandelte Männer. In der Hypertonie-Gruppe fanden sie bei allen Patienten ähnliche Blutflussgeschwindigkeiten im Penis. In der Gruppe der Hochnormalen hatten behandelte Männer jedoch einen schlechteren Blutfluss im Penis als unbehandelte Männer. Das galt auch für Studienteilnehmer mit normalem Blutdruck, auch hier hatten behandelte Männer einen schlechteren Blutfluss im Penis als unbehandelte Männer.
Vlachopoulos: „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Bluthochdruck-Patienten bereits einen signifikanten strukturellen Schaden in den Penisarterien haben und die Gabe von blutdrucksenkenden Medikamenten den Blutfluss im Penis nicht weiter reduziert. Bei Männern mit normalem oder hohem Blutdruck weisen die Penisarterien jedoch nur minimale strukturelle Schäden auf, und Medikamente könnten sich negativ auf den Blutfluss im Penis auswirken.“
Er fordert, dass Patienten, die Bedenken wegen sexueller Funktionsstörungen haben, dringend mit ihrem Arzt sprechen, aber nicht eigenmächtig die Medikation verändern sollten. Seine Empfehlung: „Für Männer mit noch unbehandeltem Bluthochdruck sind ältere Medikamente wie Betablocker und Diuretika sicher nicht ideal und sollten nur bei absoluter Indikation eingesetzt werden.“ Gleichzeitig warnt er aber, Antihypertensiva bei Männern mit erektiler Dysfunktion ohne Not zu wechseln.
Benötigen Patienten aufgrund unterschiedlicher, schwerer Erkrankungen mehrere Wirkstoffe, etwa Betablocker bei koronarer Herzkrankheit und Herzinsuffizienz, Diuretika bei Herzinsuffizienz, habe diese Therapie immer Priorität.
Alternativen sollten nur in Betracht gezogen werden, falls die Gefahr bestehe, dass Patienten aufgrund ihrer Befürchtung, dass es zu nachteiligen Effekten kommt, die Therapie absetzen.
Ein Wechsel zu einer anderen Medikamentenklasse bewirkt weder die Wiederherstellung noch die Verbesserung der erektilen Funktion.
„Dies muss Patienten im Vorfeld erklärt werden, um unvernünftige Erwartungen zu vermeiden“, so Vlachopoulos.
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Diesen Artikel so zitieren: Doch kein „Betten-Blocker“? Kardiologen geben Entwarnung: Keine erektile Dysfunktion durch antihypertensive Therapie - Medscape - 28. Aug 2020.
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