Schwangere Frauen sollten Koffein komplett vermeiden. Das ist die Schlussfolgerung eines in BMJ Evidence Based Medicine veröffentlichten Reviews des Psychologen Prof. Dr. Jack E. James von der Universität Reykjavik, Island [1].
Der Münchner Kinderarzt Prof. Dr. Berthold Koletzko von der Ludwig-Maximilians-Universität, der zusammen mit Kollegen in Deutschland Empfehlungen für die Ernährung in der Schwangerschaft veröffentlicht hat, widerspricht im Gespräch mit Medscape: „Es gibt keine neuen Daten. Es ist keine sichere Grenzziehung möglich, aber man kann nicht sagen, dass bereits eine Tasse Kaffee nachteilig ist.“
Momentan empfehlen Experten, einen hohen Koffein- bzw. Kaffeekonsum in der Schwangerschaft zu vermeiden. Bis zu 200 mg Koffein am Tag halten sie allerdings für vertretbar. Das entspricht etwa 2 Tassen Kaffee. Auch Tee oder koffeinhaltige Softdrinks tragen allerdings zur täglichen Koffeinmenge bei.
Koffein und Schwangerschaftsausgang
James sieht nun nach Auswertung zahlreicher Studien ausreichend Beweise für eine schädliche Wirkung von Koffein. Zusammenhänge gebe es zwischen Koffeinkonsum und Fehlgeburten, Totgeburten, geringem Geburtsgewicht, kindlicher Leukämie und Übergewicht in der Kindheit. Keinen Zusammenhang fand James allerdings für Frühgeburten.
Zusätzlich sieht der Autor in den Studien ausreichende Dosis-Wirkungsbeziehungen zwischen dem Koffeinkonsum und dem jeweils untersuchten Endpunkt, um eine Kausalität anzunehmen. Zahlreiche Studien könnten zudem keine Untergrenze einer schädlichen Wirkung nennen, schreibt James. „Es gibt zunehmend substantielle Beweise für einen Zusammenhang zwischen mütterlichem Koffeinkonsum und verschiedenen negativen Schwangerschaftsausgängen.“
James berechnet daher, dass die in vielen Empfehlungen in USA und Europa als sicher betrachtete Grenze von 200 mg Koffein täglich schon die Ursache für jährlich 350.000 negative Schwangerschaftsausgänge in den USA sein könnten. „Eine derartige Rechnung halte ich in Anbetracht der Evidenzlage für äußerst fragwürdig“, sagt dazu der Münchner Ernährungsmediziner Prof. Dr. Hans Hauner.
In einem anderen Punkt würde er dem Autor allerdings zustimmen: James bemängelt in seinem Review, dass ein Teil der vorhandenen Daten aus von der Industrie unterstützten Studien stammen. „In dem Kontext, wo es um massive Geschäftsinteressen geht, darf man das nicht unterschätzen. Da ist mit mehr Bias zu rechnen“, gibt Hauner zu bedenken.
Hauptsächlich Beobachtungsstudien
Ein grundsätzliches Problem bei der Einschätzung der Wirkung von Koffein auf Schwangere liegt in den vorliegenden Studien. „Sie können keine randomisierte Studie mit Schwangeren durchführen“, sagt Koletzko. Daher stammten die Daten fast ausschließlich aus Beobachtungsstudien, was es schwierig mache, einen Kausalzusammenhang herzustellen.
„Kaffeekonsum ist häufig assoziiert mit Stress oder wenig Nachtschlaf. Es ist schwierig, diese Verzerr-Faktoren herauszurechnen.“ Daher sei die Empfehlung, auf hohen Kaffeekonsum in der Schwangerschaft zu verzichten, eine Vorsichtsmaßnahme, erklärt Koletzko. „Es gibt keine Daten, die wirklich eine Dosis-Wirkungsbeziehung herleiten lassen.“
Bei der vorliegenden Arbeit komme noch dazu, dass es sich nicht um einen systematischen, sondern einen narrativen Review handle. Wissenschaftlich sei das qualitativ weniger hochwertig einzuschätzen. Bei einem narrativen Review geschieht die Literaturauswahl in der Regel eine selektive, während ein systematischer Review einen gewissen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.
Ähnlicher Meinung sind auch andere Experten. Die britische Gynäkologin Dr. Daghni Rajasingham, Sprecherin des Royal College of Obstetricians and Gynäcologists, sagt: „Wie andere – und wahrscheinlich zuverlässigere – Arbeiten herausgefunden haben, müssen schwangere Frauen nicht komplett auf Koffein verzichten, weil die Risiken sehr klein sind.“
Auch Hauner fände es übertrieben, von Kaffeekonsum in der Schwangerschaft komplett abzuraten: „Kaffee strikt zu verbieten in der Schwangerschaft, dazu braucht es schon harte Evidenz. Mir ist es da lieber, wenn die Frauen auf Rauchen und Alkohol verzichten, auch das fällt ja vielen schon schwer.“
Ein anderes koffeinhaltiges Getränk würde der Ernährungsmediziner allerdings durchaus auf den Index setzen: „Von Energydrinks in der Schwangerschaft würde ich komplett abraten. Die enthalten auch viel Koffein.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Schädlich fürs Kind? Neuer Review rät zu völligem Koffein-Verzicht in der Schwangerschaft – ist das nötig? - Medscape - 27. Aug 2020.
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