Warum so viele Sportler „Asthmatiker“ sind: Metaanalyse bestätigt Missbrauchspotenzial der Beta-2-Agonisten

Julia Rommelfanger

Interessenkonflikte

26. August 2020

Beta-2-Agonisten, die in Asthma-Sprays enthalten sind und größtenteils auf der Liste der  verbotenen Substanzen der Welt-Anti-Doping-Association (WADA) stehen, können die anaerobe Leistung von Sportlern steigern, auch von denjenigen, die kein Asthma haben. Das zeigt eine Metaanalyse von 44 randomisierten, kontrollierten Studien mit insgesamt 472 Teilnehmern [1].

 
Die Erkenntnisse der Metaanalyse deuten auf einen Klassen-Effekt hin. Prof. Dr. Jürgen Steinacker
 

„Die Erkenntnisse der Metaanalyse deuten auf einen Klassen-Effekt hin“, kommentiert Prof. Dr. Jürgen Steinacker, Sektionsleiter Sport- und Rehabilitationsmedizin am Universitätsklinikum Ulm, im Gespräch mit Medscape. „Allein und für sich lieferten diese Studien bislang kaum einen Beweis für die Leistungssteigerung, doch durch die Zusammenlegung werden selbst kleine Effekte deutlich.“ Die Metaanalyse zeige klar: „Diese Substanzen wirken sich auf die sportliche Leistungsfähigkeit aus, in Abhängigkeit von der Dosis.“

 
Diese Substanzen wirken sich auf die sportliche Leistungsfähigkeit aus, in Abhängigkeit von der Dosis. Prof. Dr. Jürgen Steinacker
 

Sportler mit Asthma schlagen Nicht-Asthmatiker

Bisherige Studien seien einfach „zu klein oder ungeeignet gewesen, um zu beweisen, dass Beta-2-Agonisten leistungssteigernd wirken“, sagt Steinacker. In der Realität jedoch, sprich, bei sportlichen Wettkämpfen wie Radrennen, war die Wirkung der Asthma-Medikamente nicht von der Hand zu weisen, erklärt er.

Prof. Dr. Jürgen Steinacker

Zwar trete Asthma bei Radfahrern relativ häufig auf, bedingt durch die Exposition zu Abgasen und aufgrund von langen hohen Belastungen mit starker Atmung; jedoch gebe es Hinweise, dass die Sprays beispielsweise vor besonders schwierigen Anstiegen bei Radrennen eingesetzt werden. Der Vorwurf von Spitzensportlern und Anti-Doping-Experten: Zahlreiche Sportler legen ein Attest vor, das ihnen eine asthmatische Erkrankung bescheinigt – und erhalten so die Erlaubnis zur Nutzung der Medikamente.

Laut eines Berichts der Sportschau hatten 7,7% aller Einzel-Sportler bei den Olympischen Winterspielen 2006 eine Genehmigung zur Anwendung eines Asthma-Sprays erhalten. Diese Sportler heimsten 14,4 Prozent aller Medaillen ein. 4 Jahre zuvor gewannen die 5,2% der Athleten mit Asthma sogar 15,6% der Medaillen.

Leistungssteigerung von 5%

Die aktuelle Metaanalyse aller Daten hat eine Leistungssteigerung von 5% bei Sportlern ohne Asthma ergeben gegenüber denen, die mit Placebo behandelt wurden. Speziell die Sprintleistung wurde um 3%, die Kraftleistung sogar um 6% verbessert. Das seien „Verbesserungen, die den Ausgang der meisten Sportwettkämpfe verändern würden“, bemerken die Autoren der Meta-Analyse unter der Leitung von Dr. Amund Riiser, West Norway University of Applied Sciences, Sogndal, Vestlandet, Norwegen.

Dabei war die Leistungssteigerung nach der Einnahme von Beta-2-Agonisten in Tablettenform, die generell als Doping gilt, größer als nach der Inhalation der Medikamente. Trotzdem sei weiterhin unklar, ob die wenigen Substanzen, die als Inhalate laut WADA-Liste für Sportler erlaubt sind, andere Effekte erzielen als diejenigen, die auf der Verbotsliste stehen.

Die Nutzung der erlaubten Substanzen wird äußerst kontrovers diskutiert, zumal Asthmatiker, die Beta-2-Agonisten vor Wettkämpfen einnehmen, ihren Kontrahenten ohne Asthma regelmäßig überlegen sind.

WADA-finanzierte Studie untersucht Wirkung von Asthmamitteln

Beta-2-Agonisten erweitern die Atemwege, sodass mehr Sauerstoff in die Lunge gelangt und haben in hoher Dosierung zudem eine leicht anabole Wirkung. Seit Jahren stehen sie unter Verdacht die sportliche Leistung im Sprint-, Kraft- und Ausdauerbereich zu verbessern. Jedoch zeigten bisherige Studiendaten zur leistungssteigernden Wirkung kein einheitliches Bild, auch, weil derartige Studien äußerst schwierig durchführbar seien, sagt Steinacker.

Er war von 2012 bis 2018 Mitglied des Health, Medical and Research Komitees der WADA und führt aktuell selbst eine durch die WADA finanzierte Doppelblind-Studie zu den Auswirkungen von erlaubten Beta-2-Agonisten auf die sportliche Leistung von 12 Männern und 12 Frauen durch. Erste Ergebnisse sollen Anfang 2021 veröffentlicht werden.

Erste verlässliche wissenschaftliche Aussagen über den tatsächlichen Effekt der Sprays auch bei gesunden Sportlern auf die anaerobe Leistungsfähigkeit beim Sprinten und Gewichtheben erlaubt nun die aktuelle Metaanalyse.  

Die norwegischen Wissenschaftler haben alle 34 relevanten bis 2019 veröffentlichten Untersuchungen mit insgesamt 44 unterschiedlichen randomisierten kontrollierten Studien, an denen 472 Hobby- und Profisportler mit und ohne Asthma teilgenommen hatten, gebündelt untersucht.  

In den Studien wurde die Wirkung unterschiedlicher Beta-2-Agonisten in unterschiedlicher Darreichung – Tablette, Sirup oder Inhalat – auf eine höchstens 1-minütige maximale Belastung untersucht.

Erlaubte Substanzen mit Trend zur Leistungssteigerung 

Inwiefern sich die Leistung der Teilnehmer verbesserte, denen Beta-2-Agonisten verabreicht wurden, hing sowohl von der Dosis als auch von der Art der Anwendung des Medikaments ab. Oral eingenommene Substanzen wirken stärker leistungssteigernd als inhalierte Medikamente.

Im Januar 2020 hat die WADA die Liste der Verbotenen Substanzen aktualisiert. Auf der Liste stehen alle Beta-2-Agonisten, mit Ausnahme von inhaliertem Salbutamol, Formoterol und Salmeterol in bestimmten Dosierungen. 

Der Vergleich verbotener mit erlaubten Substanzen ergab keine signifikante Leistungssteigerung nach der Einnahme der seitens der WADA für Sportler erlaubten Mittel; es zeigte sich jedoch ein Trend hin zur Leistungssteigerung, der sich verstärkte nach der Einnahme über mehrere Monate, schreiben die Autoren im British Journal of Sports Medicine. „Das bedeutet: Es ist immer noch nicht klar, ob die erlaubten Dosierungen die anaerobe Leistung steigern oder nicht“, bemerken Riiser und Kollegen.

Beeinträchtigt werden die gewonnenen Erkenntnisse durch die unterschiedliche Qualität der Studien, merken die Autoren an. Zudem seien die Leistungen der Teilnehmer nicht bei Wettkämpfen, sondern im Labor gemessen worden.

Obwohl sie zur Vorsicht bei der Interpretation der Resultate mahnen, fordern sie dennoch ein strikteres Vorgehen der WADA hinsichtlich der Asthma-Sprays. „Die Nutzung von Beta-2-Agonisten durch Sportler sollte reguliert und auf diejenigen beschränkt werden, bei denen objektive Tests eine Asthma-Diagnose ergeben haben.“ Gleiches fordert Steinacker: „Ich bin der Meinung, dass die Anwendung unbedingt stärker reglementiert werden muss, um Missbrauch auszuschließen." 

 
Ich bin der Meinung, dass die Anwendung unbedingt stärker reglementiert werden muss, um Missbrauch auszuschließen. Prof. Dr. Jürgen Steinacker
 

 

Kommentar

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