Die Hoffnungen, dass ein Impfstoff gegen COVID-19 in absehbarer Zeit verfügbar ist, steigen. Damit wird auch die Frage aktuell: Wer soll zuerst geimpft werden? Die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) hat nun eine erste Stellungnahme dazu vorgelegt [1].
Genau wird die Frage darin noch nicht beantwortet, aber es fallen erste Stichwörter: „bestmögliche Vermeidung von schweren Erkrankungen und Todesfällen“, „alters- und berufsspezifisches Infektionsrisiko“, „Funktionsfähigkeit des medizinischen/pflegerischen Versorgungsystems“.
Gerechte Verteilung besonders wichtig
170 Impfstoffkandidaten sind derzeit weltweit in der Entwicklung. Eine erste Zulassung in der EU wird Anfang 2021 erwartet. „Es ist damit zu rechnen, dass nicht von Anfang an genügend Impfstoff zur Verfügung stehen wird, um der gesamten Bevölkerung eine Impfung anbieten zu können,“ schreibt die STIKO, „so dass eine Priorisierung notwendig wird.“ Die STIKO sieht es als ihre Aufgabe an, hier eine Empfehlung abzugeben.
Zunächst müssten Sicherheit und Nutzen eines neuen Impfstoffs bewertet werden. Weil gegen COVID-19 teilweise ganz neue Technologien zum Einsatz kommen, wird die STIKO „auf die notwendige intensivierte und zeitnahe Erfassung möglicher Impfkomplikationen eindringlich hinweisen“. Anzustreben sei eine möglichst vollständige Erfassung unerwünschter Impfwirkungen über das spontane Meldesystem.
Als nächstes stellt sich die Frage: Wer zuerst? Die STIKO betont, ethische Aspekte bei Impfempfehlungen seien grundsätzlich im DECIDE-Tool eingeschlossen. Dies ist eine Art Entscheidungsbaum, den die Kommission regelhaft bei der Erarbeitung von Impf-Empfehlungen nutzt. Er enthält die Frage: „Was wären die Auswirkungen auf gesundheitliche Ungleichheit?“
Der STIKO ist bewusst, dass die Lage bei COVID-19 noch einmal besonders heikel ist. „Bei der COVID-19-Impfung sind ethische Aspekte von besonderer Bedeutung, weil die Pandemie in vielen Lebensbereichen der Menschen einschneidend wirkt und daher ein besonderer Bedarf einer gerechten Verteilung der Impfstoffe bei limitierten Impfstoffmengen besteht.“ Viele werden noch warten und sich so lange weiter an die Maßnahmen zu Eindämmung halten müssen.
Wem nutzt die Impfung am meisten?
Ziel sei ein maximaler Nutzen der Impfung, sagt die STIKO. Als ersten Punkt nennt sie die Vermeidung von schweren Erkrankungen und Todesfällen. Um zu ermitteln, wie dieses Ziel am ehesten erreicht werden kann, müssten mehrere Parameter berücksichtigt werden: „das alters- und berufsspezifische Infektionsrisiko, das Risiko für schwere Erkrankungen, der alters- und risikogruppenspezifisch erreichbare Impfschutz, die Qualität des Impfschutzes“.
Alle diese Parameter ließen sich am besten in einer „mathematischen Transmissionsmodellierung“ beurteilen. Ein entsprechendes Modell werde derzeit am Robert Koch-Institut erarbeitet.
Dann wird aber noch ein zweiter Aspekt angeführt: die „Funktionsfähigkeit des medizinischen/pflegerischen Versorgungsystems“ und der „Schutzbedarf von Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeit besonders exponiert sind und mit vielen Menschen in Kontakt kommen“. Das wären etwa Ärzte, Pfleger, aber auch Lehrer und Erzieher. Die STIKO selbst nennt in der Stellungnahme aber keine Berufsgruppen.
Logistische Vorbereitung sollte sofort starten
Ganz zu Beginn der Impf-Phase wird diese mathematische Berechnung vor allem auf Annahmen beruhen, räumt die STIKO ein. In der Folge müsse die Entwicklung dann genau beobachtet und die Empfehlung eventuell angepasst werden. Dazu brauche es auch gute Daten zur Evaluation der Impfung, Impfquoten und weiterem.
Und noch etwas sei entscheidend: „Es ist unbedingt notwendig, den Prozess der Impfstoffentwicklung, die Entscheidung durch die STIKO und die Implementierung der Impfung kommunikativ zu begleiten, um die Ärzteschaft und die Bevölkerung gewissenhaft zu informieren, Falschinformationen vorzubeugen und eine informierte, individuelle Impfentscheidung zu ermöglichen.“
Die STIKO schließt mit dem Appell, „sofort“ mit der logistischen Vorbereitung anzufangen für die Umsetzung einer „derartigen priorisierenden Impfempfehlung“.
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Diesen Artikel so zitieren: Ringen um Verteilungsgerechtigkeit: Erste Stellungnahme der STIKO, wer einen Corona-Impfstoff zuerst bekommen sollte - Medscape - 21. Aug 2020.
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