Rechtzeitig weg mit dem Speck: Abnehmen in mittlerem Alter könnte das Mortalitätsrisiko senken

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

21. August 2020

Eine aktuelle US-Kohortenstudie weist darauf hin, dass eine Reduktion des BMI im mittleren Alter das Mortalitätsrisiko um bis zu 12% senken kann [1]. Bislang zeigten Studien nur den umgekehrten Zusammenhang, dass also eine Erhöhung des BMI zu einer Steigerung des Sterberisikos führt.

Datensätze von über 24.000 Teilnehmern analysiert

Die Autoren um den Epidemiologen Dr. Wubin Xie, Boston University School of Public Health, USA, analysierten dazu 24.205 Datensätze von Teilnehmern des National Health and Nutrition Examination Surveys (NHANES), der in den USA regelmäßig durchgeführt wird. Ihr Ziel war es herauszufinden, ob Menschen, die im frühen Erwachsenalter einen erhöhten BMI aufwiesen, durch Gewichtsreduktion bis zu ihrem mittleren Lebensalter ihr späteres Mortalitätsrisiko verringern konnten.

Die im Journal of American Medical Association (JAMA) Network Open publizierte Studie wurde zwischen Februar 2019 und April 2020 durchgeführt. Die 24.205 Datensätze gehen allerdings teilweise bis auf das Jahr 1988 zurück, in dem die NHANES-III-Erhebungen begannen.

„Die NHANES-Surveys, die in den USA systematisch Ernährungs- und Lebensstil-/Gesundheitsdaten erfassen, sind allerdings primär als Querschnittsstudien angelegt“, gibt Prof. Dr. Hans Hauner, Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der Technischen Universität München, zu bedenken „Somit war diese Datenerhebung nicht dazu angelegt, um die genannte Fragestellung zu beantworten, sondern es handelt sich um eine Sekundäranalyse.“

Jeweils 3 BMI-Werte pro Person aus mehreren Dekaden erfasst

Zum jeweiligen Zeitpunkt der ersten Befragung (Baseline) waren die Teilnehmer (49% Frauen, 77% europäisch-stämmige US-Bürger) zwischen 40 und 74 Jahren alt (im Durchschnitt 54,2) und hatten einen BMI von durchschnittlich 29 kg/m². Alle gaben zusätzlich ihr Gewicht an, das sie im Alter von 25 Jahren und 10 Jahre vor der Baseline (definiert als Midlife, im Durchschnitt 44 Jahre) gehabt hatten.

Von jedem Teilnehmer gingen also 3 Werte zum BMI in die Analyse ein: der erste im Alter von 25 Jahren (junge Erwachsene), der zweite im Alter von durchschnittlich 44 Jahren (Midlife) und der dritte individuell jeweils 10 Jahre später (Baseline). BMI-Werte von unter 25 galten als normal, zwischen 25 und 30 als übergewichtig und Werte ab 30 als adipös.

Es wurden nur Datensätze mit glaubhaften Angaben in die Analyse einbezogen. Im Follow-up von durchschnittlich 10 Jahren (individuell zwischen 3-17 Jahren Dauer) starben 5.846 Teilnehmer.

Nur wenige Teilnehmer nahmen ab, aber deren Mortalitätsrisiko sank

Für Personen, die ihr Gewicht in der für die zentrale Aussage relevanten Periode zwischen 25 Jahren und Midlife von adipös auf übergewichtig reduzierten, ergab die statistische Analyse eine Reduktion des Mortalitätsrisikos während des Follow-up um 56% (Hazard Ratio: 0,46; 95%-Konfidenzintervall: 0,27-0,77 im). Die Bezugsgruppe waren diejenigen Personen, die im entsprechenden Zeitraum adipös blieben.

Allerdings waren diese beiden Gruppen relativ klein: Lediglich 1.621 der Teilnehmer (6,4%) waren mit 25 Jahren adipös und nur 214 von diesen (0,8%) konnten ihren Midlife-BMI auf einen Wert unter 30 reduzieren.

„Der Hauptbefund, die Senkung der Mortalität bei Gewichtsabnahme aus der Adipositas- in die Übergewichtskategorie seit dem Alter von 25 Jahren, stützt sich nur auf eine relativ kleine Zahl der Personen, die Gewicht abgenommen hatten“, so Hauner. „Das schränkt die Stärke der Aussage natürlich ein.“

Für diese, wenn auch kleine Gruppe der schon mit 25 Jahren adipösen Teilnehmer, errechneten die Autoren, dass 3,2% der Todesfälle während des Follow-up hätten vermieden werden können, wenn alle diese 1.621 Teilnehmer ihren BMI-Wert von über 30 bis zum Midlife-Zeitpunkt (im Alter von durchschnittlich 44 Jahren, also in einem Zeitraum von durchschnittlich 19 Jahren) auf unter 30 verringert hätten.

Weiterhin ergab die Analyse, dass 12,4% der frühen Todesfälle (während des Follow-ups) auf einen erhöhten BMI, also übergewichtige und adipöse Teilnehmer zusammengenommen, in der Zeit zwischen 25 und durchschnittlich 44 Jahren zurückzuführen waren.

Eine Studie mit vielen Daten, aber auch vielen Einschränkungen

„Diese Argumentation der Autoren ist insoweit plausibel“, bestätigt Hauner. „Aber als klarer Beleg, dass Gewichtsabnahme das Mortalitätsrisiko im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter senkt, können die Daten nicht gelten.“

 
Als klarer Beleg, dass Gewichtsabnahme das Mortalitätsrisiko im jüngeren und mittleren Erwachsenenalter senkt, können die Daten nicht gelten. Prof. Dr. Hans Hauner
 

Auch die Autoren räumen diese Einschränkung in ihrer Diskussion ein, zumal in bisherigen Studien kein entsprechendes Ergebnis gezeigt werden konnte. Allerdings sei diese Studie auch die erste, die den BMI von so vielen Menschen über Zeiträume von mehreren Jahrzehnten verfolgt habe. Sie regen deshalb eine ähnliche Studie mit Daten der Framingham-Heart-Studie an, die den BMI-Verlauf der Teilnehmer engmaschiger verfolgte und mit anderen Gesundheitsdaten kombinierte.

„Ein grundsätzliches Problem dieser NHANES- Erhebung ist, dass bei der Erfassung von Gewichtsabnahme nicht zwischen absichtlicher und unbeabsichtigter Gewichtsabnahme unterschieden werden konnte“, wendet Hauner ein.

Die Autoren sind sich dessen bewusst. Sie errechneten für eine kleine Gruppe von nur 59 Personen, die mit 25 Jahren adipös waren und deren Midlife-BMI auf einem Normalwert von unter 25 lag, sogar ein um 12% erhöhtes Mortalitätsrisiko in der Follow-up-Periode. Dieses Ergebnis würde nur zu der Kernaussage passen, wenn sich in dieser Gruppe Personen befanden, deren BMI aufgrund schwerer Erkrankungen, also unabsichtlich gesunken wäre.

 
Dennoch würde ich den Public-Health-Aspekt der Autoren unterstützen, dass Gewichtsabnahme bei jüngeren Erwachsenen mit Adipositas das Mortalitätsrisiko senkt. Prof. Dr. Hans Hauner
 

„Die Analyse ist komplex und basiert zum Teil auf selbstberichteten Gewichtsdaten. Lediglich 2,3% der über 24.000 Teilnehmer hatten überhaupt Gewicht verloren, über 40% dagegen zugenommen. Außerdem standen nur unspezifizierte Mortalitätsdaten zur Verfügung“, stellt Hauner klar. „Dennoch würde ich den Public-Health-Aspekt der Autoren unterstützen, dass Gewichtsabnahme bei jüngeren Erwachsenen mit Adipositas das Mortalitätsrisiko senkt.“ Diese sollte sowohl durch individuelle Therapieangebote als auch durch gesellschaftliche Maßnahmen gefördert werden.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....