Kupferzell – Das Robert Koch-Institut (RKI) hat erste Eckdaten der Studie „Corona-Monitoring lokal“ auf einer Pressekonferenz in Kupferzell vorgestellt [1]. Ein Team unter der Leitung von Dr. Claudia Santos-Hövener hat untersucht, wie viele Menschen in der kleinen Gemeinde im Hohenlohe-Kreis in Baden-Württemberg mit SARS-CoV-2 infiziert sind und wie viele Menschen bereits eine COVID-19-Infektion durchgemacht haben.
Die Ergebnisse bestätigen, dass deutlich mehr Personen einen Corona-Infektion durchgemacht haben, als bislang bekannt war. Aber obwohl der Ort als Corona-Hotspot galt, wurden „nur“ bei 7,7% der Probanden Antikörper gefunden. Dies sind aber immer noch 3,9-mal mehr Infektionen als bislang bekannt waren. Ein Sechstel der Infektionen verlief offenbar asymptomatisch. Außerdem ließ sich bei 28,2% der Probanden, von denen bekannt war, dass sie eine Infektion durchgemacht hatten, keine Antikörper mehr nachweisen.
Im Studienzeitraum vom 20. Mai bis zum 9. Juni 2020 war bei 2.203 Erwachsenen aus Kupferzell sowohl ein Rachenabstrich als auch Blut entnommen worden. Zudem waren sie über einen Fragebogen zu Vorerkrankungen, Symptomen, Lebensstil, Gesundheitsversorgung etc. befragt worden. Insgesamt 3.534 Personen hatte man angeschrieben. Dies bedeutet eine Responder-Rate von 63%.
Kupferzell hat insgesamt 6.164 Einwohner. Der Ort wies ein besonders hohes Infektionsgeschehen auf. „Der erste Fall in Kupferzell wurde am 8. März gemeldet und wir haben dann innerhalb weniger Tage eine unglaubliche Steigerung gesehen – wir hatten ein hochdynamisches Geschehen“, erinnerte sich Landrat Dr. Matthias Neth bei der Pressekonferenz.
Am 19. März waren in der Gemeinde schon 80 Infektionen nachgewiesen worden, zu Beginn der Studie waren es 111 gemeldete Fälle. Damit war Kupferzell ein Hotspot im Landkreis Hohenlohe. Die meisten Infektionen ließen sich auf ein Kirchenkonzert am 1. März in Kupferzell zurückführen.
Seit Beginn der Pandemie gab es im gesamten Hohenlohe-Kreis 798 COVID-19-Fälle, 47 Patienten starben, 3 davon in Kupferzell selbst. Momentan gibt es in der Gemeinde noch 6 aktive Fälle, die detektiert werden konnten. „Wir wissen, dass alle 6 Fälle Reiserückkehrer sind“, berichtete Neth.
Niedrigste Seroprävalenz bei den jungen Teilnehmern
Während des Studienzeitraums gab es keine aktuellen Infektionsfälle mehr. „Das ist eine sehr gute Nachricht, denn das zeigt, dass man die Virusübertragung in der Bevölkerung durch geeignete Maßnahmen unterbrechen kann. Und zwar selbst dann, wenn es noch viele empfängliche Personen gibt“, erklärte Prof. Dr. Lars Schaade.
Der RKI-Vizepräsident warnte in diesem Zusammenhang davor, dass die Pandemie noch nicht vorbei sei und die Infektionen weltweit weiter steigen. Auch die Entwicklung der Fallzahlen in Deutschland bezeichnete er als „ernstzunehmend und besorgniserregend“ und warnte: „Wir dürfen diese Entwicklung so nicht weiterlaufen lassen, wir müssen auch weiterhin unsere Kontakte einschränken, Abstand halten, Masken tragen. Anders wird es nicht gehen, sonst drohen wir, die Kontrolle zu verlieren.“
Insgesamt sind in der Studie bei 7,7% der Probanden IgG-Antikörper gegen SARS-CoV-2 gefunden worden, bei Frauen etwas häufiger (8,7%) als bei Männern (6,7%). Die niedrigste Seroprävalenz zeigte sich in der jüngsten Altersgruppe (18 bis 34 Jahre) mit 6,3%; die höchste wurde bei den ältesten Studienteilnehmern (über 80 Jahre) mit 16,7% beobachtet, berichtete Santos-Hövener.
Der Anteil der asymptomatischen Fälle lag bei 16,8% und wurde über Kurzfragebögen erhoben. Gefragt wurde, ob die Studienteilnehmer seit Februar mindestens eines der 8 Symptome hatten (Fieber über 38 Grad Celsius, Atemnot,/Kurzatmigkeit, Lungenentzündung, Schnupfen, Husten, Schmerzen beim Atmen, Halsschmerzen, Geruchs/Geschmacksstörungen), 83,2% der Teilnehmer berichteten von einem oder mehreren Symptomen.
Die Ergebnisse der Studie zeigen auch, dass bei 28,2% der Erwachsenen, die nach eigenen Angaben bereits vor der Studie positiv auf SARS-CoV-2 getestet worden waren, keine IgG-Antikörper nachgewiesen werden konnten.
„Auch aus anderen Studien ist bekannt, dass bei einem Teil der Personen die nachweislich mit SARS-CoV-2 infiziert waren, nach einer gewissen Zeit keine Antikörper mehr nachgewiesen werden können. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass keine Immunität besteht“, erklärte Santos-Hövener.
Die jetzt präsentierten Eckdaten sind erst der Anfang der Auswertung. Weitere Daten sollen folgen, etwa zu den individuellen Verläufen, den klinischen Outcomes und möglichen Spätfolgen. Auch die Ursachen und Faktoren, die zur Eintragung des Virus beigetragen haben, sollen weiter erforscht werden, dies vor allem mit Blick auf Risikofaktoren und Risikogruppen.
Höhe der Dunkelziffer aus Sicht des RKI zu erwarten
Über die Studie wurden 3,9-mal mehr Infektionen entdeckt als bislang in Kupferzell bekannt waren. Santos-Hövener betonte jedoch: „Diese Dunkelziffer ist spezifisch für Kupferzell". Wie auch Schaade sagte sie, dass eine solche Dunkelziffer aber „erwartbar“ gewesen sei und fügte hinzu, auch wenn fast 4-mal mehr Fälle gefunden worden seien als bislang bekannt, „bedeutet dies trotzdem, dass das Gesundheitsamt vor Ort sehr gut gearbeitet hat – sonst würde die Dunkelziffer noch höher liegen.“ Es sei gut getestet worden und es seien dadurch auch viele Fälle gefunden worden.
Schaade wies darauf hin, dass in der Höhe der Dunkelziffer eine weitere wichtige Information stecke: „Selbst dann, wenn das Infektionsgeschehen an einem Ort sehr heftig ist, ist nur ein Teil der Bevölkerung davon betroffen“.
Er betone dies deshalb, weil in einer Situation mit dynamischem Infektionsgeschehen schnell der Eindruck entstehen könne, „wir haben keine Chance, wir kommen da nicht hinterher“. Schaade weiter: „Die Studie zeigt ganz deutlich: Wenn man mit den Maßnahmen beginnt, dann schützt man den größten Teil der Bevölkerung wie in diesem Fall über 90%. Das ist eine sehr wichtige Information: Auch wenn das Infektionsgeschehen hoch ist – die Maßnahmen lohnen sich und schützen den überwiegenden Teil der Bevölkerung“, stellte er klar.
Wie Santos-Hövener erklärte, liegen mit den Ergebnissen aus Gangelt (Heinsberg-Studie), Neustadt am Rennsteig und jetzt der ersten „Corona-Monitoring lokal“-Erhebung aus Kupferzell Ergebnisse für 3 Gemeinden vor. Schon sehr bald, so die Projektleiterin der „Corona-Monitoring lokal“-Studie, kämen weitere Ergebnisse aus 8 bis 10 Gemeinden hinzu. „Dann kann ein umfassendes Bild der Infektionssituation gezeichnet werden.“
RKI führt mehrere Antikörper-Studien durch
Die Studie in Kupferzell ist die erste Studie innerhalb der Erhebung „Corona-Monitoring lokal“, die das RKI mit dem Institut für Virologie an der Charité begonnen hat. Es handelt sich um seroepidemiologische Studien an besonders betroffenen Orten in Deutschland. An drei weiteren Orten werden jeweils 2.000 Personen untersucht, um in repräsentativen Stichproben die Immunität in der Bevölkerung abzuschätzen.
Weitere Antikörper-Studien sind:
die Studie „Corona-Monitoring bundesweit“ – eine bundesweit serologische Untersuchung auf Basis einer Stichprobe des sozioökonomischen Panels (SÖP), die das RKI gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung betreibt;
die „Corona-Kita-Studie“, eine Kooperation zwischen dem RKI und dem Deutschen Jugendinstitut sowie
die Studie „Serologische Untersuchungen an Blutspendern in Deutschland“ (SeBluCo) auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 in Zusammenarbeit mit 13 Blutspendediensten.
„Diese verschiedenen Studien sind notwendig, um ein umfassendes Bild des Infektionsgeschehens in unterschiedlich betroffenen Landstrichen, unterschiedlichen Altersgruppen und unterschiedlichen sozialen Gruppen zu bekommen“, erklärt Schaade.
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Diesen Artikel so zitieren: RKI-Studie im Corona-Hotspot Kupferzell bestätigt hohe Dunkelziffer: 3,9-mal mehr Infektionen als zuvor bekannt - Medscape - 17. Aug 2020.
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