„Tödliche Hitze“ – und schlecht gerüstet: Deutschland fehlt ein nationaler Aktionsplan gegen Hitzewellen

Ute Eppinger

Interessenkonflikte

12. August 2020

Seit Tagen ist es heiß in Deutschland und kühlt auch nachts kaum ab. Temperaturen, die ein hohes Schädigungspotenzial für Mensch und Umwelt aufweisen, schreibt das Umweltbundesamt (UBA). Hitzewellen sind deshalb problematisch, weil Menschen nicht nur tagsüber extremer Hitze ausgesetzt sind, sondern der Körper auch in der Nacht durch hohe Lufttemperatur thermophysiologisch belastet ist und sich wegen der fehlenden Nachtkühle nicht ausreichend gut erholen kann.

Während der extremen Hitzesommer in den Jahren 2003, 2015 und 2018 wurden verstärkt ‚Heiße Tage‘ (mehr als 30 Grad Celsius) und ‚Tropennächte‘ (niedrigste Temperatur nicht unter 20 Grad) in Deutschland registriert. Doch nicht nur die extreme Hitze macht dem Organismus zu schaffen: Die hohen Temperaturen fördern in Verbindung mit intensiver Sonneneinstrahlung auch die Entstehung von Ozon, das die Atemwege schädigt. Welche Gefahr von Hitzewellen ausgeht, haben US-Wissenschaftler in der 2017 erschienenen Studie „27 Wege, wie eine Hitzewelle töten kann – tödliche Hitze in Zeiten des Klimawandels“ zusammengetragen.

 
Es gibt kein für alle verbindliches Alarmsystem, keine Identifizierung von Gefahrenzonen und Risikogruppen, keine Hitze-Leitstellen, keine Kühlzonen. Dr. Martin Herrmann
 

In den heißen Sommern 2003, 2006 und 2015 starben in Deutschland insgesamt etwa 19.500 Menschen zusätzlich an den Folgen der Hitze; im Hitzesommer 2003 starben in Europa 70 000 Menschen. Modellrechnungen prognostizieren für Deutschland, dass zukünftig mit einem Anstieg hitzebedingter Mortalität von 1 bis 6% pro einem Grad Celsius Temperaturanstieg zu rechnen ist. Das entspräche über 5.000 zusätzlichen Sterbefällen pro Jahr durch Hitze.

Deutschland ist auf Hitzewellen nicht wirklich vorbereitet

Das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der LMU München hat jetzt Tipps veröffentlicht, wie man in Pandemie-Zeiten gut durch die Hitzewelle kommt. Die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG), die Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ und das Aktionsbündnis #healthforfuture sehen Deutschland dennoch für die hohen Temperaturen nicht wirklich gerüstet. Bei Hitzewellen wie in diesen Tagen würden regional „bis zu rund 60% der Bevölkerung kritischen Grenzwerten ausgesetzt“, heißt es in einer gemeinsamen Mitteilung der 3 Organisationen.

 
Während solcher Hitzewellen sterben 8 bis 12 Prozent mehr Menschen. Ralph Krolewski
 

Obwohl das UBA schon 2014 Handlungsbedarf angemeldet und die Bundesregierung 2017 die Länder aufgefordert hatte, Hitze-Aktionspläne aufzustellen, sei so gut wie nichts passiert. „Es gibt kein für alle verbindliches Alarmsystem, keine Identifizierung von Gefahrenzonen und Risikogruppen, keine Hitze-Leitstellen, keine Kühlzonen und keine Fortbildung für Niedergelassene, Krankenhaus- und Pflegeheim-Angestellte, mit ganz wenigen Ausnahmen“, kritisiert Dr. Martin Herrmann, der Vorsitzende von KLUG.

„Während solcher Hitzewellen sterben 8 bis 12 Prozent mehr Menschen“, erinnert Ralph Krolewski, Vorstand im Hausärzteverband Nordrhein und Mitglied bei KLUG. Krolewski hat für seine Patienten eine eigene Klima-Sprechstunde eingerichtet. Dass man viele der Hitzetoten verhindern könnte, zeige das Beispiel Frankreich, sagt Krolewski.

Positives Beispiel Frankreich

In Frankreich lösen Temperaturen ab 32 Grad die erste Alarmstufe in Kommunen und Gesundheitswesen aus, ab 38 Grad wird der Zivilschutz aktiv. Die einzelnen Präfekturen reagieren dann auf der Basis eines nationalen Hitzeschutzplanes. Zudem sind in Frankreich Städte und Regionen verbindlich an den nationalen Wetterdienst angeschlossen – im Gegensatz zu Deutschland.

Hierzulande gibt es zwar seit 2005 ein bundesweites Hitze-Warnsystem des Deutschen Wetterdienstes (DWD) mit Kanälen zu Alten- und Pflegeeinrichtungen, Landesministerien oder zuständigen Gesundheits- und Aufsichtsbehörden. Doch in der Praxis funktioniere das System nur eingeschränkt und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, erklärt Andreas Matzarakis, Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung des DWD.

Aufklärung für Risikogruppen fehlt fast vollständig

So gibt es viele regionale Schwachstellen: Eine Untersuchung von 2017 und eine Evaluation des UBA aus 2015 zeigen, dass in Niedersachen die Heim-Aufsichtsbehörden Informationen „unzuverlässig“ oder „verzögert“ an Pflegeeinrichtungen weiterleiten. In Hessen werden Kliniken und Arztpraxen „nur selten“ gewarnt. Und in Berlin erhalten Gesundheitsämter, Alten- und Pflegeheime, Sozialstationen, ambulante Pflegedienste, Krankenhäuser, Einrichtungen zur Kinderbetreuung sowie Wohnheime für kranke und behinderte Menschen keine Warnungen vor extremer Hitze.

„Die Hitzewarnungen sollten bei allen Betroffenen, Pflegenden und Multiplikatoren ankommen. Alle Informationskanäle, wie Newsletter oder auch Teletext, sollten genutzt werden. Hitze betrifft nicht nur ältere Menschen, sondern alle“, betont Matzarakis.

 
Die Hitzewarnungen sollten bei allen Betroffenen, Pflegenden und Multiplikatoren ankommen. Andreas Matzarakis
 

Aufklärung und Verhaltensempfehlungen für Risikogruppen fehlen in Deutschland fast vollständig, kritisieren die 3 Organisationen. Es gebe auch nur selten Gebäudeanpassungen in Kliniken, Heimen und Arztpraxen – wie Thermoschutz, Begrünung oder Trinkwasserspender. Dr. Eckart von Hirschhausen, Gründer der Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“, erinnert daran, dass auch die Innentemperaturen in älteren Gebäuden von Altenheimen und Kliniken drastisch steigen, wenn es draußen heiß wird: „Hohe Außentemperaturen sind ein medizinischer Notfall für Patienten und Profis. Wie soll jemand für einen Patienten da sein, wenn er selbst kurz vor dem Umkippen steht.“

Nach wie vor gibt es in Deutschland keinen nationalen bzw. bundesweit geltenden Hitzeplan. Grünen-Chef Robert Habeck fordert jetzt ein einheitlich gestuftes Hitzewarnsystem mit bundesweitem Beratungstelefon und einem Fokus auf Risikogruppen. In Gesundheitseinrichtungen sollten „Kühle Räume“ eingerichtet werden. Ein 800 Millionen Euro schweres Förderprogramm „Grüne Freiräume und Wasser für coole Städte“ solle die Einrichtung von Grünflächen, Grün an Gebäuden und Frischluftschneisen fördern, für Schatten sorgen und öffentliche Wasserspender finanzieren.

 
Hohe Außentemperaturen sind ein medizinischer Notfall für Patienten und Profis. Dr. Eckart von Hirschhausen
 

Die gegenwärtige Sommerhitze komme nicht überraschend: „Solche Hitzewellen werden das neue Normal sein“, sagt Habeck. Die schockierenden Berichte aus Sibirien und der Arktis dieses Jahr zeigten, dass die Klimakrise rasant an Geschwindigkeit zunehme.

Ozon: Das 8-Stunden-Mittel wird häufig überschritten

Mit der Hitze steigen die Ozonwerte. Wie die Stuttgarter Zeitung berichtet, wurden an einer Messstelle in Baden-Württemberg die bislang bundesweit höchsten Werte gefunden. Zwar werde der europaweit geltende Stunden-Grenzwert von 180 Mikrogramm Ozon je Kubikmeter Luft selten, der von 240 Mikrogramm in Baden-Württemberg quasi gar nicht überschritten, teilt die Landesanstalt für Umwelt (LUBW) mit. Doch ein anderer Wert ist deutlich aussagekräftiger: Das 8-Stunden-Mittel. Die dafür geltenden 120 Mikrogramm je Kubikmeter Luft werden gerade im Sommer flächendeckend überschritten – an den Ozon-Hotspots im Rheintal sowie im Schwarzwald, aber auch in der Region Stuttgart.

 
Solche Hitzewellen werden das neue Normal sein. Robert Habeck
 

Laut UBA wurde der Wert vergangenes Jahr an jeder Messstelle im Schnitt an 24 Tagen überschritten. Dennoch sind die 120 Mikrogramm nur ein „Zielwert“, und es gibt keine Pflicht für die Behörden, ein Überschreiten zu melden oder davor zu warnen. Eine Informationspflicht, so die LUBW, greife erst ab 180 Mikrogramm. Im Übrigen sei die Bundesregierung für Gegenmaßnahmen zuständig.

Klimamodelle prognostizieren mehr heiße Tage und mehr Tropennächte

Klimamodelle prognostizieren, dass der Anstieg der mittleren jährlichen Lufttemperatur zukünftig zu heißeren Sommern mit mehr heißen Tagen und Tropennächten führen wird. Extreme Hitzeereignisse können dann häufiger und in ihrer Intensität stärker auftreten und länger anhalten. Es gibt belastbare Hinweise darauf, dass sich die maximale Lufttemperatur in Deutschland in Richtung extremer Hitze verschieben wird.

Bereits im Mai hatte die WHO darauf hingewiesen, dass in der Europäischen Region mit einem langen, heißen Sommer gerechnet werden müsse und sich die Länder darauf vorbereiten müssten. „Das ist von enormer Bedeutung, um zu verhindern, dass die Gesundheitssysteme zu einer Zeit, in der sie bereits durch die Behandlung von COVID-19-Patienten überstrapaziert sind, noch weiter belastet werden“, schreibt die WHO.

Ihrer Einschätzung nach hat sich aufgrund des Klimawandels die Möglichkeit einer gefährlichen Belastung durch extreme Hitze verschärft und werde sich in der Europäischen Region in Zukunft weiter verschärfen. Jüngste Studien prognostizieren, dass die Wahrscheinlichkeit einer Hitzewelle in 31 europäischen Großstädten (den Hauptstädten der EU plus London, Moskau, Oslo und Zürich) gestiegen ist.

„Es herrscht ein breiter wissenschaftlicher Konsens, dass der Klimawandel die hitzebedingte Krankheitslast noch verstärken wird, wenn wir uns nicht entsprechend gut darauf vorbereiten und anpassen“, warnt die WHO. Sie empfiehlt den Ländern und Subregionen Europas deshalb, Aktionspläne für Hitzeperioden zu erarbeiten und umzusetzen.

 

Kommentar

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