Studie liefert genetischen Beweis: Auch pflanzliches Cholesterin kann per se atherogen sein

Dr. Jürgen Sartorius

Interessenkonflikte

11. August 2020

Eine neue aufwändige Analyse zeigt jetzt, dass auch pflanzliche Cholesterine (Phytosterine) atherogen wirken. Dr. Anna Helgadottir, deCODE genetics/Amgen, Reykjavik, Island, und weitere 42 Autoren publizierten im European Heart Journal die Ergebnisse einer aufwändigen genetischen Analyse [1].

Dabei zeigten sie für Mutationen, die die intestinale Sterol-Aufnahme beeinflussen, Auswirkungen auf die Spiegel von non-High-Density Lipoprotein (non-HDL)-Cholesterin und Phytosterinen im Plasma sowie auf das kardiovaskuläre (CAD) Risiko. Sie nutzten dafür etwa 950.000 Blutproben von Menschen aus Island, Dänemark und Großbritannien.

Phytosterine im Plasma bedingen zusätzlichen Anstieg des CAD-Risikos

Es zeigte sich, dass verschiedene Genvarianten für eine Erhöhung der non-HDL-Werte, aber auch der Phytosterine im Plasma sorgten. Das CAD-Risiko stieg bei Letzteren allerdings um ein gutes Drittel stärker an, als es statistisch durch den Anstieg des non-HDL-Cholesterins allein zu erwarten war. Daraus schließen die Autoren und auch der Erstautor eines parallel veröffentlichten Editorials, Prof. Dr. Oliver Weingärtner, Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Jena, dass dieses Drittel auf die vermehrte Aufnahme von Phytosterinen aus der Nahrung zurückzuführen war.

 
Die Studie liefert den genetischen Beweis, dass Phytosterine per se atherogen sind.  Prof. Dr. Oliver Weingärtner
 

„Die Studie liefert den genetischen Beweis, dass Phytosterine per se atherogen sind“, erläutert der Experte für Cholesterin-Stoffwechsel-bedingte Erkrankungen. Denn die hier bestimmten Mutationen liegen in Genen für Proteinen, aus denen Membranpumpen in Wänden von Dünndarm- und Leberzellen bestehen. Diese (ABCG 5 bzw. 8) sorgen für die Ausscheidung von Phytosterinen zurück ins Darmlumen, so dass diese nur zu einem sehr geringen Anteil als Lipoproteine ins Plasma gelangen. Verringert sich die Aktivität dieser Membranpumpen durch Mutationen, nimmt demzufolge der Anteil an Phytosterinen im Plasma zu.

Prof. Dr. Oliver Weingärtner

Helgadottir und Kollegen fanden bei ihren Reihenuntersuchungen der Biobankproben, dass bei diesen Menschen pro 1 mmol/l Cholesterinerhöhung parallel dazu das CAD-Risiko um etwa 38% stärker zunahm als das aus Berechnungen anderer Mutationen zu erwarten war, die nur den Cholesterin- aber nicht den Phytosterin-Spiegel beeinflussen, (z.B. PCSK9 und LDL-Rezeptor). Diese Zunahme des kardiovaskulären Risikos steht somit im Zusammenhang mit den erhöhten Phytosterin-Spiegeln im Plasma.

Aufnahme-Kapazität für Phytosterinen genetisch determiniert

„Dieser Zusammenhang ist im Rahmen der seltenen autosomal-rezessiven Erkrankung Phytosterinämie schon lange bekannt“, ergänzt Weingärtner. „Hier liegen schwere Störungen der ABCG5/8 Efflux-Pumpen in Enterozyten und Hepatozyten vor, die bis zu 50-facher Erhöhung der Phytosterine im Blut und zu einer Erhöhung des CAD-Risikos führen.“

Die Arbeit von Helgadottir und Kollegen zeigt jetzt erstmalig, dass schon geringfügige Störungen von ABCG5/8 mit nur geringer Erhöhung der Phytosterinspiegel bei „gesunden“ Menschen der Normalbevölkerung das kardiovaskuläre Risiko maßgeblich beeinflussen. Dazu Weingärtner: „Die etwa 30 von Helgadottir und Kollegen gefundenen Mutationen von ABCG5/8 entsprechen quasi leichten Fällen von Phytosterinämie.“

 
Die etwa 30 von Helgadottir und Kollegen gefundenen Mutationen von ABCG5/8 entsprechen quasi leichten Fällen von Phytosterinämie. Prof. Dr. Oliver Weingärtner
 

Für Weingärtner ergibt sich daraus ein schlüssiges Modell zur Erklärung von individuellen Unterschieden des Lipidstoffwechsels: Wenn Phytosterine im Plasma das atherogene Risiko erhöhen, erfüllt die physiologische Funktion der durch die ABCG5/8-Gene kodierten Membranpumpen einen gesundheitserhaltenden Zweck, nämlich die Reduktion der ausschließlich mit der Nahrung aufgenommenen Phytosterine.

Tatsächlich beträgt deren physiologische Konzentration im Plasma nur etwa ein Tausendstel von tierischem Cholesterin, obwohl sie in unserer (westlichen) Nahrung mit diesen etwa gleichauf liegt.

Plasma-Cholesterin addiert sich aus endogenen und exogenen Anteilen

„Dabei beziehen sich diese Untersuchungen nur auf den im Darm aus der Nahrung und der Gallensäure aufgenommen Anteil der Sterole“, erläutert Weingärtner.

„Etwa die Hälfte des Cholesterinpools produzieren wir endogen in praktisch fast jeder Körperzelle. Der Anteil des endogen produzierten Cholesterins und der exogen über den Darm aufgenommenen Sterole unterliegt aber starken, genetisch regulierten, individuellen Schwankungen: Es gibt Menschen, die mehr Sterole aus der Nahrung aufnehmen und solche, die mehr endogenes Cholesterin produzieren. Wir sprechen von ‚Hyper-Resorbierern‘ und ‚Hyper-Synthetisierern‘. Die Autoren um Helgadottir sind jetzt den genetischen Ursachen dafür auf die Spur gekommen.“

Während die endogene Cholesterinproduktion durch Statine gehemmt wird, verringert der Wirkstoff Ezetimib die Aufnahme exogener Sterole: Er hemmt das Protein Niemann-Pick C1-like 1 (NPCLC1), ein unspezifisches Transportprotein für alle Sterole, und reduziert dadurch die Aufnahme von Cholesterin um ca. 20% und die der Phytosterine um ca. 50%. Während über NPC1L1 Cholesterin und Phytosterine in Enterozyten und Hepatozyten aufgenommen werden, werden über ABCG5/8 vor allem Phytosterine (bis zu 98%) und unverestertes Cholesterin (ca. 50%) wieder ausgeschieden.

Individualisierung könnte die Lipid-senkende Therapie optimieren

Weingärtner sieht durch die Ergebnisse der Gruppe um Helgadottir einen Paradigmenwechsel in der kardiovaskulären Prävention: Erstens belegt die Studie, dass Phytosterine per se atherogen sind. Die aktuellen Empfehlungen der Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) zu Dyslipidämie, Phytosterin-supplementierte Nahrungsmittel bei mäßig erhöhtem Cholesterinspiegel generell zu empfehlen, ist damit zu hinterfragen. „Nur prospektive, randomisierte Endpunktstudien können über die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme der Cholesterinsenkung eine abschließende Antwort geben.“

 
Helgadottir und Kollegen zeigen, dass Menschen mit hoher intestinaler Sterolresorption (Hyper-Resorbierer) besonders gefährdet sind. Prof. Dr. Oliver Weingärtner
 

Zweitens belege die Studie, dass eine genaue Bestimmung der individuellen Cholesterin-Homöostase eine verbesserte, individuell angepasste Lipidtherapie ermögliche. „Helgadottir und Kollegen zeigen, dass Menschen mit hoher intestinaler Sterolresorption (Hyper-Resorbierer) besonders gefährdet sind“, so Weingärtner. „Diese Gruppe müssen wir frühzeitig charakterisieren und durch diätetische Empfehlungen einerseits und durch eine individualisierte Therapie andererseits besser schützen. Dafür brauchen wir jetzt präzisere Analysen und mehr Wissenschaft.“

 

Kommentar

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