Die Kinderkliniken in Deutschland sind unterfinanziert. Weil die Behandlung von Kindern mehr Personal, mehr Zeit und einen höheren technischen Aufwand erfordert, bilden die diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) die besonderen Bedingungen der Kinder- und Jugendmedizin nur unzureichend ab. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) schlägt deshalb vor, die Finanzierung von Erwachsenen- und Kindermedizin zu entkoppeln [1].
„Wir behandeln immer mehr Kinder, bekommen aber immer weniger Geld – das muss sich jetzt ändern“, sagt PD Dr. Florian Hoffmann, Präsidiumsmitglied der DIVI sowie Sprecher der DIVI-Sektion ‚Pädiatrische Intensiv- und Notfallmedizin‘. Die DIVI begrüße die vom Bundesland Mecklenburg-Vorpommern geplante Bundesratsinitiative für eine bessere Finanzierung von Kinder- und Jugendstationen in deutschen Krankenhäusern ausdrücklich. „Es ist an der Zeit, in der Kinder- und Jugendmedizin die reine Priorisierung medizinischer Leistungen nach ihrer Wirtschaftlichkeit zu korrigieren“, so Hoffmann weiter.
Zwischen 1991 und 2017 ist die Bettenzahl in der Pädiatrie um ein Drittel gesunken, teilt die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) mit. Nicht nur Betten auf einzelnen Stationen wurden geschlossen, sondern auch gesamte Abteilungen und Kliniken. Unlängst hatte die Schließung der Kinderklinik in Parchim ‚aus wirtschaftlichen Gründen‘ Aufsehen erregt, wie Medscape berichtet hatte.
Dabei ist der Bedarf nicht geringer geworden, im Gegenteil: Im gleichen Zeitraum stiegen die Fallzahlen von durchschnittliche 900.000 behandelten Kindern auf über eine Million an. Die Folgen sind gravierend: Immer öfter werden Behandlungen verschoben oder kranke Kinder auf andere Klinken verwiesen.
Die Kindermedizin ist auf Querfinanzierung angewiesen
Besonders dramatisch ist die Situation in der Kindernotfall- und Intensivmedizin: Das Spezialgebiet muss regional vorgehalten werden, doch das setzt qualifiziertes Personal in ausreichender Zahl und ein hohes Niveau der technischen Ausstattung voraus. Kaum zu kalkulieren sind die Häufigkeit und Schweregrad der erkrankten Patienten.
„Damit ist die Kindernotfall- und Intensivmedizin im gegenwärtigen Vergütungssystem regelmäßig auf eine sogenannte Querfinanzierung durch andere Krankenhausbereiche angewiesen und muss darüber hinaus regelmäßig auf die personellen und technischen Ressourcen anderer Abteilungen zurückgreifen, also Mitarbeiter und Technik borgen“, erklärt Hoffmann, der als Oberarzt auf der Interdisziplinären Kinderintensivstation am Dr. von Haunerschen Kinderspital der LMU München arbeitet.
Dass Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden, ist im Gesundheitswesen nicht nur aus ökonomischen Gründen sinnvoll, sondern auch unter ethischen Aspekten zwingend geboten. Eine diagnosebezogene Vergütung aber setzt einen eindimensionalen Behandlungsprozess von der Aufnahme des Patienten über notwendige Untersuchungen und Therapie und bis hin zur Entlassung voraus, schreibt die DIVI.
Ökonomisierung des Systems riskiert die Gesundheit von Kindern
Dabei unterscheiden sich die Anforderungen in der Erwachsenenmedizin und der Pädiatrie deutlich. Es gebe altersspezifische Charakteristika verschiedener Erkrankungen und Erkrankungen, die nur in bestimmten kindlichen Entwicklungsabschnitten auftreten, erklärt PD Dr. Axel Hübler, Sprecher der DIVI-Sektion Neonatologische Intensiv- und Notfallmedizin.
„Das breite Anforderungsspektrum zeigt sich auch darin, dass der Pädiatrie circa 400 bis 500 DRGs zugeordnet sind, der Erwachsenenmedizin durchschnittlich 200“, so Hübler weiter. Die durch das DRG-System bedingte Unterfinanzierung der Pädiatrie habe über die vergangenen 15 Jahre zu einem Abbau pädiatrischer Versorgungskapazitäten bei gleichzeitig steigenden Patientenzahlen geführt.
Davon sind Kostenträger, Krankenhausbetreiber und medizinisches Personal betroffen. Doch am meisten leiden die kleinen kritisch kranken Patienten unter der Entwicklung. „Die Gesundheitspolitik ist dringend gefragt, bevor die Gesundheit von Kindern durch die Ökonomisierung des Systems riskiert wird. Wir fordern eine dringende Verbesserung der Pädiatrie-Finanzierung in Deutschland“, betont Hübler, Chefarzt der Klinik für Kinder und Jugendmedizin am Klinikum Chemnitz.
Bundesratsinitiative von Mecklenburg-Vorpommern
Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern will nun mit einem Antrag im Bundesrat eine bessere Finanzierung der Kinder- und Jugendmedizin in und in ganz Deutschland erreichen. In dem Antrag, der zur nächsten Bundesratssitzung am 18. September 2020 eingebracht werden soll, wird die Bundesregierung aufgefordert, ein System für eine flächendeckende stationäre pädiatrische Versorgung außerhalb des Fallpauschalensystems zu entwickeln, das eine auskömmliche Finanzierung und die erhöhten Qualitäts- und Personalbedarfe in der Geburtsmedizin einschließt.
Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), die Vereinigung für Kinderorthopädie (VKO) und die Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie (DGKCH) begrüßen die Bundesratsinitiative.
Das DRG-System müsse so angepasst werden, dass auf Kinder spezialisierte Zentren erhalten bzw. entstehen können. Denn gerade im Kindesalter sei eine exzellente Behandlungsqualität erforderlich, da diese lebenslange Folgen habe.
Kinderorthopäden, Kindertraumatologen und Kinderchirurgen sprechen sich daher für die Umgestaltung der Finanzierung aus: Sie schlagen eine direkte Kostenerstattung vor bzw. einen nach Alter gestaffelten Aufschlag für die Behandlung von Kindern. Entsprechend der Fachgesellschaften müsse die Finanzierung auch der hohen Quote von Notfallaufnahmen Rechnung tragen.
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: „Unwirtschaftliche“ Kindermedizin: Bettenzahl sinkt trotz steigender Fallzahlen – Ärzte fordern dringend Korrekturen - Medscape - 11. Aug 2020.
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