Beim Diabetes gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. In Teil 1 unseres Videos erklärt Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, was auf dem EASD-Kongress über die Ursachen diskutiert wurde.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Alexandra Kautzky-Willer, Wien
Mein Name ist Alexandra Kautzky-Willer. Ich leite die klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel an der Medizinischen Universitätsklinik in Wien und bin Professorin für Gendermedizin.
Ich war Mitglied des Programmkomitees für den EASD-Kongress 2020 und habe mich sehr gefreut, dass es gelungen ist, auch eine Sitzung zur Gendermedizin in den Kongress zu integrieren: „A gender-sensitive approach pays off in diabetes.“
Wir hatten bei diesem Symposium exzellente Sprecher, darunter auch Prof. Dr. Franck Mauvais-Jarvis, Tulane University, New Orleans, der einen sehr guten Namen hat im Bereich zu Forschungen zum Einfluss von Sexualhormonen auf den Glukosestoffwechsel und Energiehaushalt sowie zur Pathophysiologie des Diabetes mellitus.
Epigenetische Veränderungen in der Schwangerschaft
Begonnen haben wir, so wie auch das Leben beginnt, mit den ersten 9 Monaten des Lebens in der Schwangerschaft. Es wurde über epigenetische Effekte bei Nachkommen von Frauen berichtet, die einen Schwangerschaftsdiabetes oder Diabetes in der Schwangerschaft hatten.
Bei Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes gibt es schon viele Komplikationen unmittelbar bei der Geburt, weil die Kinder zu groß, makrosom, Large for Gestational Age (LGA) sind. Später haben diese Kinder, das haben Geburtenregisterdaten gezeigt, dann z. B. im Alter von 20 Jahren ein 8-fach höheres Risiko, selbst Glukosestoffwechsel-Störungen zu entwickeln.
Spannend ist, dass diese epigenetischen Defekte, also DNA-Methylierungen, Histon-Modifikationen oder MicroRNAs, teilweise auch geschlechtsspezifisch sind. Wir selbst haben zum Beispiel für Österreich gezeigt, dass Personen, die in Phasen mit Hungerperioden geboren worden sind, später ein höheres Diabetesrisiko hatten. Das Gleiche konnte auch von der holländischen Hungersnot gezeigt werden. Wir konnten zeigen, dass in diesem Fall Männer im späteren Leben ein höheres Diabetesrisiko entwickelt haben.
Viele Daten belegen, dass gerade in diesen ersten 9 Lebensmonaten im Mutterleib die Vulnerabilität beim männlichen Geschlecht besonders hoch ist. Männer haben auch eine höhere perinatale Mortalität.
Aber primär ging es um die Frauen. Wenn man Nachkommen von Frauen mit Diabetes in der Schwangerschaft beobachtet, dann neigen eher die Mädchen zu Adipositas und haben später ein höheres Risiko für eine gestörte Glukosetoleranz.
Kürzere Telomere bei weiblichen Nachkommen
Dr. Line Hjort, Geburtshilfeabteilung Rigshospitalet, Kopenhagen, kann dänische Geburtenregisterdaten auswerten und betreibt damit epigenetische Forschung. Sie hat beim EASD-Kongress gezeigt, dass Mädchen im Alter von 9 bis 16 Jahren kürzere Telomere im Vergleich zu Kontrollpersonen mit Müttern ohne Schwangerschaftsdiabetes hatten.
Frauen haben normalerweise längere Telomere, was auch in Zusammenhang mit ihrer höheren Lebenserwartung steht. Wir wissen aber auch, dass Frauen mit Diabetes mehr Lebensjahre verlieren als Männer. Die Ursachen sind nicht ganz geklärt. Hierzu könnten z.B. auch kürzere Telomere beitragen.
Es ist schon lange bekannt, dass Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes oder Diabetes in der Schwangerschaft Kinder gebären, die dann selbst wieder Diabetes bekommen. Sind es Mädchen, setzt sich dieser Kreislauf fort und trägt zur Epidemie des Diabetes und auch zur Epidemie von Adipositas bei.
Warum die kürzeren Telomere gerade bei den Mädchen als Nachkommen auftreten ist nicht ganz klar. Möglicherweise ist es oxidativer Stress. Es ist auf jeden Fall geschlechtsspezifisch, denn bei den Buben war die Telomerlänge nicht verändert.
Ein weiterer interessanter Punkt war, dass nur bei den Mädchen die Pubertät auch früher aufgetreten ist als bei den Kontrollen.
Es gibt also einige interessante Befunde, die aber noch weiterer Untersuchungen und Abklärungen bedürfen.
Möglicherweise treten an den Keimzellen DNA-Methylierungen auf. Oxidativer Stress wäre eine mögliche Ursache für die Unterschiede. Es könnte aber auch der Lebensstil im späteren Leben einen Einfluss haben, wie Ernährung, Bewegung, Stress – das beeinflusst auch die Telomerlänge.
Ein Zusammenhang zwischen Diabetes und kürzeren Telomeren ist auch schon in anderen Untersuchungen gesehen worden. Man weiß aber nicht, was ist Henne, was ist Ei. Es gibt auch Daten, nach denen die kürzeren Telomere zeitlich dem Diabetes vorausgehen können.
Sexualhormone und Glucosestoffwechsel
Dann hat Franck Mauvais-Jarvis sehr spannende Daten zum Einfluss von Sexualhormonen auf den Glucosestoffwechsel gezeigt und was er jüngst mit seiner Arbeitsgruppe erforscht hat.
Zirkulierendes Testosteron wird in die Beta-Zellen aufgenommen. Dort wird es u.a. durch 5-Alpha-Reductase in das aktive Di-Hydro-Testosteron (DHT) umgewandelt und durch Aromatisierung in 17-Beta-Östradiol metabolisiert.
Dieses kann wiederum die Glukose-abhängige Insulinsekretion in den Beta-Zellen stimulieren, und zwar über den Anstieg von GLP1.
GLP1-Rezeptoren wurden auch an den Alpha-Zellen in der Bauchspeicheldrüse entdeckt. Schaltet man diese GLP1-Rezeptoren aus, hat dies keinen Effekt auf GLP1 und die Insulin-Ausschüttung, jedoch wird die glukoseabhängige Glukagon-Ausschüttung beeinflusst.
Schaltet man die Rezeptoren aus, entstehen Störungen, die sich wiederum bei Frauen ungünstiger auswirken. Sie leiden dann eher unter Glukosetoleranz-Störungen und Störungen der glukoseabhängigen Glukagon-Ausschüttung, während Männer eher resistent sein dürften.
Mauvais-Jarvis hat auch spannende Mechanismen gezeigt. Wir wissen, dass z. B. Frauen, die zu viel Androgene produzieren, wie Frauen mit polyzystischem Ovarsyndrom, ein höheres kardiometabolisches Risiko, ein höheres Diabetesrisiko haben.
Männer mit Testosteronmangel haben ebenfalls ein höheres Risiko einen Diabetes zu entwickeln. Es sind also völlig konträre Auswirkungen von Androgenen auf die Geschlechter.
Bei Männern kann Testosteron die Insulinsekretion günstig über GLP1-Aktivierung stimulieren und inflammatorische Prozesse hemmen, es hat also schützende Effekte auf die Beta-Zellen und reduziert Diabetes.
Bei Frauen kommt es zu einer Überstimulierung der Insulinsekretion, zu Mitochondrien-Veränderungen, zu Betazell-Dysfunktion und oxidativem Stress. Das kann die Prädisposition für einen Diabetes bedingen.
Sexualhormone bei COVID-19?
In aktuellen Studien wird untersucht, ob Sexualhormone wie Östrogen und Progesteron auch therapeutisch bei Patienten mit COVID-19 eingesetzt werden können. Als Zielgruppe gelten Risikopatienten, vor allem Patienten mit Adipositas, Diabetes, metabolischem Syndrom und Hypertonie.
Mit COVID-Patienten mit diesen Komorbiditäten laufen jetzt Studien, ob Östrogen und Progesteron einen günstigen Effekt haben können, wobei Östrogen vor allem immunmodulierend wirkt und den Zytokinsturm vielleicht abdämpfen kann.
Interessant ist auch, dass prämenopausale Frauen deutlich weniger schwere Verläufe als ältere Frauen haben. Das sind in unserer derzeitigen Situation sehr spannende Untersuchungen.
Dr. Jürgen Harreiter, Postdoc in meiner Abteilung, hat viele unserer eigenen Studiendaten, die wir auch in Reviews publiziert haben, vorgestellt. In Endocrine Reviews ist z. B. eine umfassende Übersicht erschienen. Sie ist frei zugänglich.
Demnächst finden Sie auf deutsch.medscape.com Teil 2 dieses Kongressberichts.
Medscape © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Frauen leiden anders an Diabetes als Männer – Prof. Kautzky-Willer erklärt die Rolle von Schwangerschaft und Sexualhormonen - Medscape - 12. Okt 2020.
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