Leitlinien-Streit von Kardiologen und Diabetologen – SGLT2-Hemmer plus Metformin? Prof. Nauck diskutiert „pragmatische Lösungen“ 

Prof. Dr. Michael Nauck

Interessenkonflikte

2. Oktober 2020

Prof. Dr. Michael Nauck fordert zum Wohl der Diabetiker einen „weiten Blickwinkel“ und hält die Kontroverse für „fruchtbar“. Hier erklärt er, wer für eine optimale Risikoreduktion was bekommen sollte.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Michael Nauck, Bochum:

Guten Tag,

mein Name ist Professor Michael Nauck, ich gehöre zum Katholischen Klinikum Bochum und berichte vom EASD-Kongress 2020, der virtuell stattgefunden hat.

Es gab am 25. September 2020 eine viel beachtete Sitzung, in der es um die verschiedenen Leitlinien ging, die einerseits schwerpunktmäßig von Kardiologen und andererseits von Diabetologen herausgegeben worden sind. Ich spreche über die ESC-Leitlinien und den Behandlungsalgorithmus der von den amerikanischen und europäischen Diabetesgesellschaft (ADA und EASD) vertreten wird [1].vertreten wird [1].

Redner waren Prof. Dr. Francesco Cosentino, Karolinska Universitätsklinik Solna, Stockholm, für die ESC und Prof. Dr. Peter J. Grand, Universität von Leeds, UK, für die Diabetologen. Sie haben aber beide zufällig auch in derselben Leitliniengruppe gearbeitet.

3 kardiologische Risikokategorien

Cosentino hat die Notwendigkeit begründet, dass man hinsichtlich des Risikos, das mit Herzerkrankungen verbunden ist, nicht einfach sagen kann, der Patient hat eine Krankheit oder er hat sie nicht. Man muss die Patienten in Risikokategorien einteilen mit dem Ziel, diejenigen zu differenzieren, deren Risiko unterhalb von 5%, zwischen 5 und 10% oder über 10% liegt, in den nächsten 5 Jahren ein Herzereignis zu erleiden.

Die mittlere Kategorie mit hohem Risiko wird von der ESC so definiert: mindestens 10 Jahre Diabetesdauer plus irgendeine zusätzliche Komplikation, wie Übergewicht, Hochdruck, Retinopathie oder ähnliches.

Kontroverse: Blutzuckerwert

Die Diabetologen betrachten im Gegensatz zu den Kardiologen auch den Blutzuckerwert. Man weiß ja, dass Diabetes-Folgeerkrankungen und nicht zuletzt auch die Herz-Folgeerkrankungen abhängig sind von einer guten bzw. schlechten Blutzucker-Einstellung.

Deswegen gibt es die Kontroverse: Die Kardiologen sagen, lasst uns primär Medikamente einsetzen, dass sie Herz-Komplikationen vermeiden können. Die Diabetologen sagen, lasst uns auch den Blutzucker nicht vergessen.

 
Deswegen gibt es die Kontroverse: Kardiologen sagen, lasst uns primär Medikamente einsetzen, die bewiesen haben, dass sie Herz-Komplikationen vermeiden. Diabetologen sagen, lasst uns auch den Blutzucker nicht vergessen. Prof. Dr. Michael Nauck
 

Das kulminiert dann letztendlich in einem Streit, wenn man das so nennen will, ob man SGLT2-Inhibitoren und GLP1-Rezeptor-Agonisten primär auch ohne Metformin einsetzen soll oder – wie die Diabetologen sagen – dass Metformin eigentlich immer am Anfang stehen sollte und man zusätzlich mit den anderen Medikamenten behandeln soll.

Alle Risikofaktoren adressieren

Grand hat darauf hingewiesen, dass die Ursache-Wirkung-Beziehung und auch Auswirkungen einer Herzerkrankung bei Diabetes natürlich ein ganz breites Kontinuum sind. Dabei spielen nicht nur der Blutzucker, das Übergewicht und die Insulinresistenz, sondern eben auch Fettstoffwechselstörungen und Veränderungen der Blutgerinnbarkeit eine Rolle.

Deswegen sollte man Medikamente einsetzen, die alle diese Punkte adressieren. Er hat als Beispiel die weltbekannte STENO-2-Studie aufgeführt, in der man an allen diesen Schrauben gedreht und damit exzellente Ergebnisse für die Patienten erzielt hat. Das ist m.E. sehr überzeugend.

Auch Grand hat Zweifel daran geäußert, ob die Ergebnisse der UKPDS, die damals ja sehr für Metformin sprachen, nach heutigem Stand noch als das letzte Wort gelten können. Da hatte er selbst Zweifel aufgrund der (geringen) Größe, der (niedrigen) Patientenanzahl und dieser überwältigenden Ergebnisse, die nie reproduziert worden sind.

Er spricht sich aber trotzdem für Metformin als Grundlage der Behandlung aus, weil auch andere mechanistische Gedanken dazu führen, dass das wahrscheinlich sinnvoll ist.

Wohl des Patienten steht im Mittelpunkt

Ich glaube, dass beide Seiten etwas Gutes für die Patienten wollen und die Kontroverse am Ende fruchtbar ist. Denn der Beweggrund, hauptsächlich evidenzbasierte Medikamente einzusetzen, bei denen man weiß, dass sie effektiv in der Verhinderung von Herzkomplikationen sind, ist ja nicht falsch.

 
Was kostet es denn, teure neue Medikamente primär einzusetzen und das kostengünstige Metformin einfach dazu zu geben. Prof. Dr. Michael Nauck
 

Die Kontroverse liegt mehr im Detail und da gibt es auch ganz pragmatische Lösungen. Was kostet es denn, wenn man bereit ist, teure Medikamente, neue Medikamente primär einzusetzen und das kostengünstige Metformin einfach dazu zu geben.

Der weite Blickwinkel führt dazu, dass man eben nicht nur auf den Blutzucker und nicht nur auf das Herz, sondern auf die gesamte Palette der Risikofaktoren guckt. Selbstverständlich stellt man, was ja viel Mühe kostet, den Blutdruck gut ein und schöpft bei der LDL-Cholesterinsenkung möglichst alle Möglichkeiten aus. Dies ist sicher der richtige Weg.

Im Übrigen wurde auf dem EASD auch der berühmte Internist Sir William Osler zitiert, der gesagt hat: Ein guter Arzt kann Krankheiten gut behandeln, ein exzellenter Arzt behandelt den Patienten mit seinen Krankheiten.

Auch diese Blickrichtung ist wichtig. Der Patient steht im Zentrum. Er bietet uns sehr viele Hinweise, wo Schrauben sind, an denen man bei ihm speziell drehen kann und wo das besonders effektiv ist.

Insgesamt sind – so meine ich – alle, die Kardiologen und die Diabetologen sehr glücklich, dass die vergangenen Jahre die großen Studienergebnisse mit wirklich hilfreichen neuen Daten zur Prävention von Herzkrankheiten bei Diabetes gebracht haben.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
 

Kommentar

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