Onkologie im Gespräch: Was haben Krebsärzte gelernt und wie wappnen sie sich für die 2. Corona-Welle?  

PD Dr. Georgia Schilling, Prof. Dr. Dirk Arnold

Interessenkonflikte

24. September 2020

PD Dr. Georgia Schilling interviewt Prof. Dr. Dirk Arnold zu den COVID-19-Studien vom ESMO und wie Onkologen hierzulande mit den Problemen in Corona-Zeiten umgehen.

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin leitende Oberärztin des Asklepios-Tumorzentrums in Hamburg und freue mich, Ihnen meinen Gesprächspartner vorstellen zu dürfen: Prof. Dr. Dirk Arnold, Medizinischer Vorstand des Tumorzentrums von Asklepios in Hamburg.

Krebs und COVID-19

Am 14. September gab es eine Pressekonferenz der ESMO im Rahmen des virtuellen ESMO-Kongresses 2020 zu COVID-19 und Krebs, bei der 3 aktuelle Studien vorgestellt worden sind. Wie verändert COVID-19 unser Leben als Onkologen? Wie verändert COVID-19 die Patientenversorgung? Welche mittel- und langfristigen Einflüsse hat diese Pandemie?

Es konnte tatsächlich gezeigt werden, dass sich das Virus auch von uns als Ärzten nicht fernhält. In einer Arbeit der ESMO Resilience Task Force Collaboration ergab sich, dass es zwischen Mai und August 2020 mehr Burnouts und erhöhte Distress-Werte gab. In diesem Zeitraum wurden zwei Erhebungen durchgeführt [1].

Außerdem konnte gezeigt werden, dass viele Patienten Therapiezyklen verloren haben, dass Therapien nicht durchgeführt werden konnten. Dies betraf vor allem chirurgische Eingriffe, aber auch Systemtherapien.

Lockdown-Erfahrungen in Hamburg

Vor dem Hintergrund dieser Pressekonferenz wollte ich Dich fragen, wie hast Du den Lockdown in Hamburg wahrgenommen?

Prof. Arnold: Das ist ein komplexes Thema. Diese Pandemie hat im tumormedizinischen Bereich Auswirkungen auf die Patienten und auf die Versorgung von Patienten, also auf die Arzt-Patientenmanagement-Situation. Dann auf die Versorgungssituation, d.h. wie versorgen wir. Das bezieht sich weniger auf persönliche Kontakte, sondern mehr auf Ausbau von Videostrukturen und telemedizinischen Angeboten. Hinzu kommen die Auswirkungen auf die Betroffenen im Gesundheitswesen.

Dazu habe ich eine Zahl von einem kardiologischen Kollegen gehört, die mich überrascht hat. Wir müssen in Deutschland von 60 bis 80 Healthcare Professionals ausgehen, die an COVID-19 oder den Folgen verstorben sind und zumindest in Ausübung Ihres Berufs Kontakt mit COVID-19-Patienten hatten.

Wir haben umfangreiche Auswirkungen dieser Pandemie nicht nur auf das gesellschaftliche, sondern auch auf das medizinische Leben und das Leben der Patienten mit Tumorerkrankungen.

Du hattest die relevanten Punkte schon angesprochen, die uns auch in Hamburg begegnet sind. Wir haben weniger Patienten versorgt, wir haben weniger Patienten behandelt. Wir hatten eine Einschränkung der Behandlungsstandards oder SOPs. Wir haben Strukturen aufgebaut, die die Tumormedizin weiter ermöglicht haben. Aber wir hatten in den gesamten Krankenhäusern eine völlig veränderte Infrastruktur. Es sind sehr viele Infrastrukturen in den Corona-Bereich gegangen.

Die Tumormedizin ist selbst in den Bereichen, in denen wir Tumormedizin gemacht haben, nicht mehr ganz im Vordergrund gestanden.

Die Auswirkungen auf das Personal waren selten dramatisch, aber sie waren doch insofern gewaltig, weil wir hier natürlich besonders darauf geachtet haben, in den tumormedizinischen Bereich kein Personal zu schicken, das im COVID-Bereich arbeitet oder das COVID-gefährdet erschien.

Wir haben natürlich viele Patienten auch deswegen nur schlechter versorgen können, weil Personal in Quarantäne gegangen ist. Erkrankt oder infiziert war Personal nur sehr selten, die Quarantäne erfolgte vorwiegend zum Ausschluss einer Infektion. Das hatte erhebliche Auswirkungen auf die Versorgung.

Routine schafft Sicherheit

Dr. Schilling: Hat sich das auch psychologisch auf das Team ausgewirkt?

Prof. Arnold: Unser Team der Medizinischen Hämatologie/Onkologie war hier im Westen Hamburgs für die Versorgung der COVID-19-Patienten zuständig. Wir haben das Team interdisziplinär mit den anderen internistischen Kliniken und auch einigen Kollegen aus anderen Fachdisziplinen zusammengesetzt. Es war eine tolle Gemeinschaftsaktion, dass auch die Kollegen anderer Disziplinen, auch chirurgischer Disziplinen, bei der Versorgung von COVID-19-Patienten dabei waren.

Aber die Vorsicht, der Respekt vor der Erkrankung und der besonderen Konfrontation mit der Erkrankung war dem Team ganz deutlich anzumerken. Dies war zu Beginn stärker als gegen Ende. Wie in allen Bereichen des menschlichen Lebens schafft die Routine Sicherheit und schafft erfolgreiches Managen auch Vertrauen.

Als die erste Welle abebbte war dies auch einer gewissen Zuversicht gewichen, dass man das Ganze doch gut schaffen kann. Aber die Ermüdung, die Erschöpfung ist den Handelnden, dem Team auch anzumerken.

Ganz praktisch: Wir hatten heute Morgen eine Task-Force-Diskussion zur Frage was sein wird, wenn wir eine zweite Welle haben und wie sich die Abteilung und unsere Services darauf einstellen werden.

Dabei war zu erkennen, dass diejenigen, die in der ersten Welle ganz an der vorderen Front gestanden waren, nur sehr bedingt Lust hatten, das in der zweiten Welle auch wieder zu tun.

Das Team klagt über eine gewisse Ermüdung. Es war eher so die Thematik, dass vielleicht jetzt andere mit ihren Teams in die Verantwortung gehen, die bei der ersten Welle nicht an der Spitze gestanden sind.

Dr. Schilling: Das wäre im Prinzip ganz im Sinne der präsentierten Studie von Susanne Banerjee, die gezeigt hat, die Menschen lernen mit dem Virus umzugehen, trotzdem nimmt der Distress zu.

Prof. Arnold: Das geht exakt in diese Richtung, ohne dass ich die Studie vorher gekannt habe. Ich hätte dies aus dem Team heraus genauso individual-empirisch beantwortet. Man lernt mit den Aufgaben, die Sicherheit gewinnt, aber es ist doch offenbar eine so große Belastung, dass man versucht, wenn es irgendwie geht, aufgrund der Erschöpfung und Ermüdung dies von sich fern zu halten.

Dr. Schilling: In verschiedenen Studien wurde jetzt gezeigt, dass weniger Patienten in die Kliniken gekommen sind, dass sich weniger Patienten behandeln ließen. War das hier auch zu spüren?

Prof. Arnold: Ja, wir haben weniger Patienten gehabt. Es sind weniger onkologische Patienten neu in die Klinik gekommen. Aber es sind überhaupt weniger Patienten in die Klinik gekommen und behandelt worden. Ich hatte dieser Tage gelesen, wieviel weniger Herzinfarkte festgestellt worden sind.

In der Tat waren die Einschränkungen, zumindest in unserem Bereich nicht so deutlich. Rein quantitativ hatten wir von allen Kliniken und allen Disziplinen in der Tumormedizin die relativ geringsten Einschränkungen. Das gilt sowohl für die Zahl der neu sich vorstellenden, neu diagnostizierten Patienten wie auch für die Kontinuität der Therapiefortführung, die ebenfalls recht hoch gewesen ist.

Die Botschaft, dass das Risiko an COVID-19 zu erkranken, hoch, relevant und ernst zu nehmen ist, ist angekommen. Aber zugleich ist die Tumorerkrankung für den Patienten bedrohlich, sowohl wenn man die Therapie nicht beginnt, als auch wenn man sie nicht fortführt. Bei den Tumorpatienten ist diese Botschaft wie bei keiner anderen Patientengruppe angekommen. Die Ernsthaftigkeit der Erkrankung und die Abwägung der Faktoren sind so abgelaufen, dass häufig zugunsten der Fortführung der Behandlung entschieden worden ist.

Dr. Schilling: Gab es Patientengruppen, bei denen Du etwas Angst hattest, sie akut zu behandeln oder war der Druck einfach immer so groß, dass man sich gesagt hat, wir machen das jetzt auf jeden Fall?

Prof. Arnold: In der Hämatologie/Onkologie sind die Leukämiepatienten bzw. Patienten mit einer langzeitigen Immundefizienz am stärksten gefährdet. Die sind sicher durch die Infektionssituation am stärksten gefährdet, aber sie sind auch am stärksten gefährdet, wenn die Therapie nicht fortgeführt wird, zumindest in der akuten Phase. Das hohe Risiko und der hohe Behandlungsdruck sind hier parallel verlaufen.

Die Patienten, die am wenigsten eine Therapie begonnen oder fortgeführt haben, hatten auch ein relativ geringes Progressions- oder Rezidivrisiko. Das war bei uns in der Klinik relativ repräsentativ.

Es gibt sicher Patientengruppen, bei denen es auch antiproportional gewesen ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass z. B. Frauen mit Brustkrebs in der frühen Phase, die traditionell immer ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis aufweisen, möglicherweise trotz des relativ geringen Risikos wenig Abstriche an der Behandlung gemacht haben. Das ist jetzt eher spekulativ, wir haben das in Hamburg so nicht gesehen.

Aber es wird relevant sein, diese Fragen mit großen Registerstudien zu beantworten, in denen wir den Behandlungsfortgang und den Outcome von Patienten, die Patientenmotivation und die Versorgungsqualität prospektiv erfassen. Es gibt fast kein Land in Europa, das keine Fachgesellschaft hat, die sich darum kümmert.

Auch die ESMO kümmert sich mit dem ESMO-CoCare-Register um genau diese Fragen. Daraus sollten wir lernen, wie ist das gefühlte Risiko, wie war de facto das Outcome, wenn man das Risiko in Kauf genommen hat und die Therapie etwas reduziert hat, welche Bedrohung bestand dann wirklich durch COVID-19. Und welche Konsequenzen sind aus einer manifesten COVID-19-Erkrankung erwachsen.

Dr. Schilling: Das sind sicher spannende Daten. Du leitest diese Registerstudie für Deutschland. Aktuell steigen aber die Fallzahlen jetzt an, wir gehen in den Herbst und Winter. Alle reden von der zweiten Welle, zweiten Phase – hierfür können wir uns noch nicht auf die Registerdaten berufen. Sind wir trotzdem gut ausgestattet, gut gewappnet? Konnten wir schon Dinge in den letzten 6 Monaten lernen?

Prof. Arnold: Ja. Ich glaube, dass uns der Umgang mit der Erkrankung, der Gefährdung, der Umgang mit den Patientenunsicherheiten, den Patientenwünschen, dem Patientenmanagement besser gelingt. Das ist sicher das maßgeblich Treibende. Wir haben mehr Sicherheit und wir können dem Patienten mehr Sicherheit vermitteln.

Wir wissen in bestimmten Situationen besser, was man als 1. und als 2. Schritt tun kann. Das Vorgehen ist dann irgendwie richtig, wenngleich nicht immer ganz optimal. Die ganz große Verunsicherung, wie ansteckend ist das, wie sehr gefährde ich mich, was kann ich dem Patienten zutrauen – was wir zu Beginn der ersten Welle hatten - davon sind wir weit entfernt. Da wissen wir sehr viel mehr.

Ob wir sonst gut gewappnet sind? Wir haben unglaubliche Aufgaben im Gesundheitswesen natürlich auch im Bereich der Tumormedizin und der tumormedizinischen Behandlung. Wir haben immense Aufgaben im Bereich der Patientenführung, der Digitalisierung der Patientenbetreuung, der klaren Allokation von Ressourcen, wenn es eine zweite oder eine dritte Welle gibt.

In der Vorbereitung sind wir in vielem, so glaube ich, leider gar nicht so gut aufgestellt, wie wir uns das eigentlich erhofft hatten. Das ist ein bisschen so wie die Frage, wie gut sind die Schulen für die 2. oder 3. Welle vorbereitet. Die sind viel besser vorbereitet als für die erste Welle, aber so wie es in der Schule nicht perfekt ist, ist es auch im Gesundheitswesen mit seinen Sollbruchstellen sektorübergreifend, mit seinen Sollbruchstellen ambulante/stationäre Versorgung nicht perfekt. Hier ist noch eine Menge an Kommunikation und Organisation zu leisten.

Dr. Schilling: Insgesamt siehst Du es aber eher positiv, oder? Auch wenn jetzt die Fallzahlen weiter in die Höhe gehen werden, also keine Versorgungsprobleme für die onkologischen Patienten?

Prof. Arnold: De facto keine Versorgungsprobleme und de facto auch eine höhere Handlungskompetenz von allen Beteiligten, weil weniger Angst und mehr Sicherheit da sind. Das ist gut. Der Mensch lernt. Wir als Tumormediziner lernen mit und können dann hoffentlich diese Sicherheit auch unseren Patienten mitgeben.

Dr. Schilling: In diesem Sinne danke ich Dir ganz herzlich für das Interview, für Deine Zeit. Dankeschön.
 

Kommentar

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