Neue Migränemittel und das Risiko für Dauerkopfschmerz: Prof. Dr. Hans-Christoph Diener berichtet, welche Innovationen den Medikamenten induzierten Kopfschmerz wirksam bekämpfen – auch ohne Entzug.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Duisburg-Essen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Mein heutiges Thema ist der Dauerkopfschmerz durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln oder „Medication Overuse Headache“, kurz MOH.
Dieses Phänomen ist Neurologen und Kopfschmerzspezialisten seit langer Zeit gut bekannt. Patienten, die einen primären Kopfschmerz haben, wie beispielsweise eine Migräne oder einen Spannungskopfschmerz, können bei zu häufiger Einnahme von Schmerz- oder Migränemitteln eine Zunahme ihrer Kopfschmerzhäufigkeit erfahren. Im Extremfall leiden sie täglich an Dauerkopfschmerz.
Definition von MOH
Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft hat MOH definiert als Kopfschmerzen an mehr als 15 Tagen im Monat, von denen 8 die Kriterien einer Migräne erfüllen müssen.
Zusätzlich müssen die Patienten seit mindestens 3 Monaten an mehr als 10 Tagen im Monat spezifische Migränemittel, wie zum Beispiel Triptane oder analgetische Mischpräparate, oder an mehr als 15 Tagen im Monat einfache Analgetika einnehmen.
Die ganzen Studien zeigten, dass das Risiko für einen MOH bei Triptanen höher ist als bei einfachen Analgetika. Besonders hoch ist es bei Opioiden, die in Deutschland zum Glück keine Rolle bei der Behandlung von Kopfschmerzen spielen, aber ein riesiges Problem in den Vereinigten Staaten darstellen.
MOH-Risiko bei neuen Substanzen
Was können wir in Zukunft erwarten, wenn die neuen Medikamente zur Behandlung akuter Migräneattacken eingeführt werden?
Hierzu zählen Lasmiditan, ein Serotonin-5-HT1F-Agonist, und die kleinmolekularen CGRP-Antagonisten Rimegepant und Ubrogepant, die direkt am CGRP-Rezeptor angreifen.
Wie hoch für sie das MOH-Risiko ist, wissen wir noch nicht, weil diese Medikamente in den Vereinigten Staaten erst seit kurzem verfügbar sind.
Es gibt aber in der Zwischenzeit von 2 Arbeitsgruppen, die eine in den USA, die andere in England, tierexperimentelle Ansätze, um möglicherweise voraus zu sagen, ob Migränemittel dieses Phänomen des Dauerkopfschmerzes hervorrufen können.
Die Modelle haben eindeutig zeigen können, dass dies beispielsweise für Triptane gilt, aber nicht für einfache Analgetika wie Ibuprofen oder Acetylsalicylsäure. Beide Arbeitsgruppen haben übereinstimmend gefunden, dass möglicherweise für Lasmiditan das Risiko besteht, einen medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerz auszulösen, aber sehr wahrscheinlich nicht für die CGRP-Rezeptorantagonisten [1,2,3].
Wie sich das im klinischen Alltag zeigt, werden wir erst in einigen Jahren wissen.
Neues zur Therapie bei MOH
Was gibt es Neues zur Therapie des Dauerkopfschmerzes durch Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemittel?
Traditionell wurde empfohlen, die Patienten zunächst zu schulen und aufzuklären, dass sie ihren Medikamentenverbrauch reduzieren. Funktioniert das nicht, sollte eine Medikamentenpause oder ein Medikamentenentzug durchgeführt werden.
Vor einigen Jahren wurden dann placebokontrollierte Studien zu Topiramat und Onabotulinumtoxin A durchgeführt, die gezeigt haben, dass diese beiden Substanzen auch bei Patienten mit chronischer Migräne und MOH wirksam sind.
Jetzt gibt es, wie Sie wissen, die monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor.
Für alle 4 Antikörper liegen in der Zwischenzeit Studien vor bei Patienten mit Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln und chronischer Migräne [4]. Alle 4 monoklonalen Antikörper sind eindeutig wirksam. Die Reduktion der Migräneattacken beträgt etwa 4 bis 6 Tage im Monat. Mehr als die Hälfte der Patienten erfüllt nach 3 Monaten nicht mehr die Kriterien für einen Übergebrauchs-Kopfschmerz oder einen Medikamenten-Übergebrauch.
Geänderte Empfehlungen zur Behandlung von MOH
Die Empfehlungen haben sich jetzt geändert. An 1. Stelle steht wieder die Beratung der Patienten zur Reduktion der Akutmedikation. Dann folgen eine medikamentöse Prophylaxe mit Topiramat, Onabotulinumtoxin A oder einem monoklonalen Antikörper gegen CGRP oder den CGRP-Rezeptor. Die 30% der Patienten, bei denen das nicht funktioniert, müssen dann tatsächlich einen Medikamentenentzug durchführen.
Das gilt natürlich nicht für Patienten, die einen Übergebrauch von Beruhigungsmitteln oder von Opioiden betreiben. Diese müssen natürlich nach wie vor einen Entzug machen.
Meine Damen und Herren, es gibt viele neues wissenschaftliche Erkenntnisse zu Dauerkopfschmerz bedingt durch Übergebrauch von Schmerz- und Migränemitteln. Ganz wichtig ist die Tatsache, dass es neue therapeutische Ansätze gibt.
Ich bin Christoph Diener von der Fakultät für Medizin der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich fürs Zuhören und fürs Zuschauen.
Medscape © 2020 WebMD, LLC
Die dargestellte Meinung entspricht der des Autors und spiegelt nicht unbedingt die Ansichten von WebMD oder Medscape wider.
Diesen Artikel so zitieren: Neuro-Talk: Kopfschmerz durch Medikamente – neue Therapieansätze zeigen, wie Patienten da rauskommen – auch ohne Entzug - Medscape - 12. Okt 2020.
Kommentar