Der Trend zum intermittierenden Fasten als Abnehm-Strategie ist ungebrochen. Aber was sagt die Forschung? Prof. Dr. Stephan Martin stellt dazu Studien vom Diabetologen-Kongress vor.
Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wie immer fand im September die Jahrestagung der Europäischen Diabetesgesellschaft statt. Wie viele Tagungen in diesem Jahr war auch der EASD-Kongress virtuell. Ursprünglich sollte er in Wien stattfinden, so dass den Teilnehmern diese schöne Stadt quasi vorenthalten wurde.
Es gab beim virtuellen EASD-Kongress viele Veranstaltungen, viele große Symposien. Ich habe ein Thema ausgewählt, das für die klinische Praxis vielleicht von besonderer Bedeutung ist.
Intermittierenden Fasten
Am 24. September 2020 gab es ein Symposium mit dem Titel „We are what we do not eat“, also „Wir sind das, was wir nicht essen“.
In diesem Symposium ging es um intermittierendes Fasten. Sicher werden sie viele Patienten haben, die sie schon darauf angesprochen haben. Ist das was, hat das eine wissenschaftliche Basis? Dazu gibt es auch eine Vielzahl an Büchern. Aber die Wissenschaft hinkt quasi den Büchern hinterher.
Prof. Dr. Krista Varady, Universität von Illinois, ist eine der Wissenschaftlerinnen, die zwar auch ein Buch geschrieben hat, aber sie hat sich mit ihrer Forschungsgruppe auch sehr intensiv in Studien mit dem intermittierenden Fasten auseinandergesetzt. Sie hat beim EASD-Kongress einen Übersichtsvortrag gehalten.
3 Formen des intermittierenden Fastens
Intermittierendes Fasten ist ein Überbegriff für 3 verschiedene Fastenformen.
1: Beim Time-restricted Fasting isst man z. B. nur innerhalb von 8 Stunden eines Tages und fastet die anderen 16 Stunden. Oder man isst nur innerhalb von 6 Stunden und fastet 18 Stunden oder man isst innerhalb von 4 Stunden und fastet 20 Stunden. Hier ist das Fasten zeitlich begrenzt.
2: Beim Alternate-Day-Fasting (ADF) isst man einen Tag und am nächsten Tag versucht man möglichst wenig Nahrung aufzunehmen.
Bei der 3. Form, der 5:2-Diät fastet man 2 Tage pro Woche und isst an den anderen 5 Tagen.
Richtig populär wurde das Intervallfasten, weil Dr. Eckart von Hirschhausen mit intermittierendem Fasten abgenommen hat. Seitdem heißt es auch Hirschhausen-Fasten.
Was ist wissenschaftlich zu Intervallfasten bekannt?
In Studien wurden verschiedene Formen analysiert und man hat festgestellt, dass 8 Stunden essen und 16 Stunden fasten nicht so effektiv sind, wie wenn man 6 Stunden isst und 18 Stunden fastet oder auch 4 und 20 Stunden.
Aber: In einer Studie, bei der man 6-stündiges und 4-stündiges Essen verglichen hat, gab es keinen zwischen diesen beiden Bereichen keinen großen Unterschied. Im Vergleich zu Kontrollen haben beide Gruppen deutlich Gewicht verloren. Wahrscheinlich ist das ein ganz besonderer Bereich.
Das scheint eine wichtige Botschaft zu sein, die wir vielleicht auch unseren Patienten weitergeben können.
Metabolische Parameter bessern sich
Interessant ist, dass – egal ob man jetzt 18 oder 20 Stunden fastet – sich nicht nur das Gewicht verbessert, sondern auch verschiedene metabolische Parameter.
Die Insulinspiegel sinken, die Insulinresistenz und oxidativer Stress verbessern sich, Zeichen der systemischen Inflammation werden besser, der Blutdruck sinkt und auch die Lipide bessern sich.
Manchmal verändern sich diese Parameter auch ohne Gewichtsabnahme. Diese Form von Fasten scheint also sehr sinnvoll zu sein.
Wie gesagt, es gibt zwischen 18 und 20 Stunden fasten keine großen Unterschiede. Wenn man 6 Stunden essen kann, ist das eine gute Zeit.
Unter den metabolischen Parametern ist das Absinken des Insulinspiegels von ganz besonderer Bedeutung. Insulin ist der Parameter, der die Fettverbrennung blockiert. Jedes Mal, wenn ich etwas esse, ist meine Fettverbrennung dahin.
Wir reden viel darüber, wie man Fettverbrennung aktivieren kann, aber wir reden kaum darüber, wie man die Blockade der Fettverbrennung wieder aufheben kann.
Tierexperimentelle Untersuchungen
Prof. Dr. Satchidananda Panda, Universität von Kalifornien, La Jolla, hat das auf tierexperimenteller Ebene nochmal gezeigt. Bei C57BL/6-Mäusen gab es Unterschiede bei männlichen und weiblichen Mäusen.
Die männlichen Mäuse haben durch das Time-restricted Fasting – insgesamt wurde ihnen das Futter 9 Stunden weggenommen – deutlich an Gewicht verloren. In beiden Gruppen kam es zu einer deutlichen Verbesserung der Glukose-Parameter. Das ist sehr konsistent. Auch wenn wir außerhalb dieser hier präsentierten Studien schauen, scheint dieser metabolische Effekt eine ganz besondere Rolle zu spielen.
Sinnvoll für Typ-2-Diabetiker
Insofern ist das Intervallfastens vermutlich auch was ganz Besonderes für unsere Patienten mit Typ-2-Diabetes. Sie haben hohe Insulinspiegel und eine schlechte Glukose-Einstellung. Kann man diese Menschen dazu bringen, Nahrung über gewisse Zeiten reduziert zu sich zu nehmen, dann hat das einen deutlichen Effekt.
Weniger Inflammation, weniger Herzinfarkte und Schlaganfälle
Man konnte in den Tiermodellen auch zeigen, dass sich die Inflammation des Fettgewebes deutlich verbessert. Das scheint einer der wichtigen Faktoren zu sein, der zu Herzinfarkt und Schlaganfall führt. Hierbei spielen inflammatorische Prozesse aus dem Fettgewebe heraus eine gewisse Rolle.
Fett, Inflammation und COVID-19
Am Ende kommen wir wieder zu COVID-19. Auch hier spielt die Inflammation im Fettgewebe eine Rolle. Wir wissen, dass übergewichtige oder adipöse Personen ein höheres Risiko für einen schwerwiegenderen Verlauf haben.
Das hat man im Tiermodell mit einer LPS-Challenge gemacht. Das ist ähnlich wie ein Endotoxin-Schock beim Menschen. Auch hier konnte man zeigen, dass Tiere mit Time-restricted Fasting eine deutliche geringere Mortalität hatten. Das ist die Verbindung zu COVID-19.
Vielleicht kann man sich vor schwerwiegender COVID-19 besser schützen, wenn man bei Übergewicht versucht, Gewicht zu reduzieren.
Diese Daten sind interessant. In der Praxis wird man häufig von Patienten gefragt, ob es nicht sinnvoll ist, die Nahrungsaufnahme zeitlich zu begrenzen, weil es schwer ist, permanent die Nahrung zu reduzieren. Ich glaube, wir sollten die Patienten dazu motivieren.
Im Prinzip ist es egal, welche Form des Intervallfastens sie wählen. Jeder muss seinen Weg finden, der für ihn in sein normales Leben passt. Das sind auch die Fehler, die wir in den vergangenen Jahren gemacht haben und die auch heute noch gemacht werden – dass wir glauben, alle Menschen müssen sich gleich ernähren.
Wir haben eine individuelle Medizin, wir haben eine personifizierte Medizin, warum sollen wir nicht auch eine personifizierte Ernährung haben, nicht von irgendwelchen Blutgruppen abhängig, nicht von irgendwelchen anderen Parametern abhängig, sondern einfach – was passt am Besten in unser Leben.
Ich hoffe, das ist für Sie von Interesse, so dass Sie das in den nächsten Tagen aktiv in der Praxis mit einsetzen können.
Ich wünsche Ihnen alles Gute, bleiben Sie gesund
Ihre Stephan Martin
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Diesen Artikel so zitieren: Optimale Essenspausen für´s Abnehmen und Blutwerte – Studien vom EASD-Kongress klären, was Sie beim Intervallfasten empfehlen können - Medscape - 5. Okt 2020.
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