MEINUNG

Immuntherapie gegen Krebs erobert Speiseröhre, Magen und Dünndarm – für wen sich „eine Tür mit hoffnungsvollen Optionen“ öffnet  

PD Dr. Georgia Schilling

Interessenkonflikte

28. September 2020

PD Dr. Georgia Schilling ist begeistert von diesen Highlights des ESMO-Kongresses. Sie diskutiert, für welche Patienten mit Tumoren des oberen Gastrointestinal-Trakts sich die Therapie jetzt ändern wird.

Transkript des Videos von PD Dr. Georgia Schilling:

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Name ist Georgia Schilling. Ich bin leitende Oberärztin im Asklepios-Tumorzentrum in Hamburg und Chefärztin einer internistisch-onkologischen Abteilung in der Reha-Klinik in Westerland auf Sylt.

Ich verfolge, wie jedes Jahr, die neuen Daten vom Europäischen Krebskongress, der dieses Jahr nur virtuell stattgefunden hat. Es war aber eine ganz tolle Veranstaltung und ich freue mich sehr, dass ich Ihnen die Daten aus der 3. Präsidentensitzung am 21. September 2020 vorstellen darf.

5 Spannende Studien zu Tumoren im oberen Gastrointestinaltrakt

In dieser Sitzung ging es um die Immuntherapie bei Tumoren im oberen Gastrointestinaltrakt.  Es wurden – wie die Amerikaner sagen – „amazing data“ vorgestellt, und die Diskutantin der ersten beiden Abstracts Dr. Elizabeth Smyth aus Cambridge hat gesagt: „A new door opened.“

Es sind sehr spannende, Hoffnung machende und sicher auch praxisändernde Daten präsentiert worden. 4 Abstracts mit Checkpoint-Inhibitoren wurden vorgestellt, 3 waren in der First-Line-Situation beim HER2-negativen, fortgeschrittenen inoperablen Tumor und eine Studie im adjuvanten Therapiesetting.

1: CheckMate-649-Studie

Kommen wir zuerst zu einer Studie, die von Prof. Dr. Markus Möhler aus Mainz präsentiert werden durfte – die CheckMate-649-Studie [1]. In der dreiarmigen Studie wurden Nivolumab plus Ipilimumab, Nivolumab plus Chemotherapie – das war XELOX oder FOLFOX – versus einer Chemotherapie allein untersucht.

Ausgewertet wurden die Arme Nivolumab plus Chemotherapie versus Chemotherapie alleine. Primäre Endpunkte waren Gesamtüberleben (OS) und das progressionsfreie Überleben (PFS) in der molekular stratifizierten Subgruppe mit einem PD-L1-CPS (kombinierter positiver Score) von ≥ 5. Sekundäre Endpunkte waren alle randomisierten Patienten und Patienten mit anderen PD-L1-CPS.

Das Ergebnis: Es gab einen statistisch signifikanten Überlebensvorteil bei den Patienten mit einem PD-L1-CPS ≥ 5, bei denen mit einem PD-L1-CPS ≥ 1 sowie bei allen randomisierten Patienten im Arm Chemotherapie plus Nivolumab.

Die Therapie zeigte ein sehr gutes Toxizitätsprofil und sie wird möglicherweise damit ein neuer Therapiestandard.

2: ATTRACTION-4-Studie

Prof. Dr. Narikazu Boku aus Tokio, Japan, präsentierte die Daten die ATTRACTION-4-Studie mit dem im Prinzip gleichen Setting. Sie wurde aber bei einer ausschließlich asiatischen Population durchgeführt.[2]

In der zweiarmigen Studie wurden Nivolumab plus Chemotherapie versus Chemotherapie alleine untersucht. Als Chemotherapie wurden S1 (enthält als Wirkstoff die Fluorouracil Prodrug Tegafur) plus Oxaliplatin oder Capecitabin plus Oxaliplatin eingesetzt. Primäre Endpunkte waren ebenfalls progressionsfreies Überleben und Gesamtüberleben.

Ergebnis dieser Studie: Das progressionsfreie Überleben war im Kombinationsarm besser, auch die Ansprechrate war besser, aber es bestand kein statistisch signifikanter Unterschied im Gesamtüberleben wie in der CheckMate-649-Studie. Trotzdem wurde auch hier von einem neuen First-Line-Standard gesprochen.

CheckMate-649 und ATTRACTION-4 im Vergleich

Das hat Dr. Elizabeth Smyth aus Cambridge wunderbar diskutiert. Es gibt Unterschiede zwischen den Studien: Die CheckMate-649-Studie ist Biomarker-stratifiziert, der PD-L1-Status in den beiden Studien war unterschiedlich. In der CheckMate-649-Studie waren Gesamtüberleben und progressionsfreies Überleben verbessert, in der ATTRACTION-4-Studie nur das progressionsfreie Überleben.

In beiden Studien konnten die Ansprechraten und das PFS durch die zusätzliche Gabe von Nivolumab verbessert werden.

Aber man muss natürlich in die Studien reingucken: In der ATTRACTION-4-Studie hatten doppelt so viele Patienten eine Zweit- und Drittlinientherapie erhalten – das beeinflusst das Ergebnis.

Es gab bei 27% der Patienten im Kontrollarm ein Cross-Over mit einer nachfolgenden Immuntherapie. Auch dies beeinflusst das Ergebnis gerade im Hinblick auf den primären Endpunkt Gesamtüberleben.

Aber in beiden Studien fehlen die Analysen der Effekte der Second-Line-Therapien sowie der Daten zur Lebensqualität.

Trotzdem: 3,3 Monate Überlebensvorteil für die Patienten mit einem PD-L1-CPS ≥ 5, das ist ein Ergebnis, was unseren klinischen praktischen Alltag beeinflussen und auch der neue Standard für die Patienten mit einem PD-L1-CPS ≥ 5 werden wird.

3: CheckMate-649 und KEYNOTE-062 im Vergleich

Dr. Elizabeth Smyth hat die Ergebnisse auch nochmal gut eingeordnet, bezogen auf eine kürzlich publizierte Studie in JAMA Oncology, der KEYNOTE-062-Studie [3]. Auch diese Studie wurde im gleichen Setting durchgeführt – First Line beim fortgeschrittenen Tumor im oberen Gastrointestinaltrakt. Diese Studie mit Pembrolizumab ± Chemotherapie versus Chemotherapie allein war negativ.

Pembrolizumab allein war der alleinigen Chemotherapie nicht unterlegen, Pembrolizumab plus Chemotherapie war aber der alleinigen Chemotherapie nicht überlegen in Bezug auf das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben. Das Ergebnis war konträr zu dem was sich jetzt gerade gezeigt hat.

Gleich war in den beiden Studien CheckMate 649 und KEYNOTE-062 die Population und das Therapiesetting. Aber es wurden unterschiedliche Platinregime verwendet. In der KEYNOTE-062 wurde eine Cisplatin-haltige Chemotherapie eingesetzt, in den aktuellen Studie Oxaliplatin.

Es ist aber unwahrscheinlich, dass das diesen Effekt auslöst. Wir wissen ja auch von den Bronchialkarzinomen, dass vor allem die Plattenepithelkarzinome auf die Therapie mit Cisplatin und Immuntherapie sehr gut ansprechen.

Auch hier könnten die Nachfolge-Therapien den Effekt erklären: In der CheckMate-649-Studie haben 38% eine weiterführende Therapie bekommen und 8% der Patienten im Kontrollarm haben ein Cross-Over zur Immuntherapie gehabt. In der KEYNOTE-062-Studie hatten 52% der Patienten eine Zweit- und Drittlinientherapie und doppelt so viele Patienten im Kontrollarm haben eine Immuntherapie bekommen. Also das könnte die Effekte beeinflussen und diese unterschiedlichen Ergebnisse erklären.

Aber wir gehen doch für die Zukunft von einem Paradigmenwechsel in der Behandlung von Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts aus und denken, dass die Immuntherapie für bestimmte Patientengruppen – das muss noch näher ausgewertet werden – enorme Vorteile bringen kann. Es geht dabei immer, das muss ich nochmals betonen – um HER2-neu-negative Tumoren.

4: KEYNOTE-590-Studie

Dr. Ken Kato aus Tokio stellte die KEYNOTE-590-Studie vor, in der Pembrolizumab plus Chemotherapie versus Chemotherapie allein beim fortgeschrittenen Ösophaguskarzinom oder AEG1-Tumor eingesetzt wurde [4]. Pembrolizumab war in allen Endpunkten überlegen, im Gesamtüberleben, im progressionsfreien Überleben und in der Gesamtansprechrate.

Kritik an der Studie gab es in der Diskussion von Prof. Dr. Andrés Cervantes, Valencia, weil es eine Mischung aus Plattenepithel- und Adenokarzinom war. Es gab noch keine Daten zur Lebensqualität.

Insgesamt gab es auch hier eine positive Bewertung und eine Diskussion, ob das ein neuer Therapiestandard ist. Der größte Vorteil war bei den Patienten zu sehen, die einen PD-L1-CPS ≥ 10 hatten.

5: CheckMate 577

Interessante Ergebnisse hatte auch die von Dr.Ronan Kelly, Dallas, präsentierte CheckMate-577-Studie [5]. Das war die einzige Studie, in der die Immuntherapie im adjuvanten Setting getestet worden ist, nämlich Nivolumab nach multimodaler Therapie – neoadjuvante Radiochemotherapie und Resektion eines Ösophagus- oder auch AEG1-Tumors mit residueller Erkrankung.

Der primäre Endpunkt wurde erreicht. Das krankheitsfreie Überleben (DFS) konnte durch die adjuvante Gabe von Nivolumab verdoppelt werden. Das ist schon eindrucksvoll. Die Lebensqualität war im Nivolumab-Arm vergleichbar wie im Placebo-Arm.

Aber auch in dieser Studie waren die Histologien gemischt. Hier gab es mehr Adenokarzinome. 75% der Patienten hatten eine Vortherapie nach CROSS, was nicht überall Standardtherapie ist. Die Nachbeobachtungszeit ist bislang nur kurz.

Das ist die Kritik an der Studie, die trotzdem sehr beeindruckende Ergebnisse gebracht hat. Nach dem Melanom ist das jetzt die erste Tumorentität, für die ein Effekt in der adjuvanten Therapie gezeigt werden konnte.

Immuntherapie bei Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts angekommen

Zusammenfassend kann man sagen: Die Immuntherapie hat einen Stellenwert in der Therapie von Tumoren des oberen Gastrointestinaltrakts. Ich glaube, wir öffnen tatsächlich eine neue Tür für unsere Patienten.

Es gibt noch eine Reihe von Studien, die gerade durchgeführt werden. Und manches Ergebnis, was jetzt hier präsentiert wurde, ist vielleicht noch nicht ganz reif, um einen neuen Standard zu definieren.

Wenn die weiteren Studien auch abgeschlossen sind, kann man sicher viele Dinge in einen Zusammenhang bringen und sicher auch noch die Daten, die jetzt fehlen, nachliefern.

Man kann auch nochmal genau in die Effekte der nachfolgenden Therapien schauen und analysieren, welche Patienten tatsächlich besonders profitiert haben. Dann kann man sagen, dass ist auf jeden Fall eine neue, hoffnungsvolle Therapieoption für unsere Patienten.

Damit bedanke ich mich ganz herzlich fürs Zuhören.
 

Kommentar

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