MEINUNG

Neuro-Talk: Bunter Strauß spannender Erkenntnisse zu COVID-19, MS, Kopfschmerz und intrazerebralen Blutungen

Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Interessenkonflikte

21. September 2020

Die wichtigsten August-Studien aus der Neurologie und zu COVID-19 hat Prof. Dr. Hans-Christoph Diener hier für Sie zusammengefasst.

Transkript des Videos von Prof. Dr. Hans-Christoph Diener

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen. Heute berichte ich Ihnen von einigen Studien, die im August 2020 erschienen sind – ein bunter Strauß, es geht einmal quer durch die Medizin und die Neurologie.

Remdesivir bei COVID-19

Remdesivir war in einer Studie an schwer betroffenen Patienten mit COVID-19 in den USA wirksam. Jetzt hat die zweite randomisierte Studie Wirksamkeit und Verträglichkeit bei mittelschwer betroffenen Patienten untersucht [1]. Eingeschlossen waren 584 Patienten, die entweder Standardbehandlung erhielten oder 5 Tage oder 10 Tage mit Remdesivir behandelt worden sind. Das war keine Placebo-kontrollierte, sondern eine offene randomisierte Studie.

Die Behandlung über 5 Tage hatte eindeutig einen therapeutischen Nutzen bezüglich des Outcomes. Die 10tägige Therapie zeigte keinen Nutzen, was aber daran lag, dass nur 38% der Patienten über 10 Tage behandelt worden sind, wodurch die Aussagekraft begrenzt wird.

Kortikosteroide bei COVID-19

Der zweite therapeutische Ansatz ist die Gabe von Kortikosteroiden zur Behandlung des überschießenden Interleukin-Sturms. Da hatte die große Studie im Vereinigten Königreich gezeigt, dass Dexamethason bei mittelschwer und bei schwer Betroffenen eindeutig wirksam ist.

Eine weitere Fall-Kontroll-Studie hat jetzt bei jeweils 42 beatmeten Patienten mit und ohne Methylprednisolon-Therapie verglichen. Dabei wurde eine signifikante Reduktion der Beatmungstage mit deutlich höherer Rate an Extubation bei den Kortison-Behandelten gezeigt [2]. Außerdem zeigte sich eine Reduktion der Sterblichkeit von 19% versus 36%, die allerdings nicht signifikant war.

Derzeit gibt es also 2 wirksame Therapien: Auf der einen Seite Remdesivir, nicht besonders spektakulär im Ausmaß, sowie das eindeutig wirksame Kortison.

Antikoagulanzien bei COVID-19

Eine weitere Studie hat sich mit der Frage beschäftigt, welche Möglichkeiten es zur Behandlung des erhöhten Risikos von Thrombosen und Embolien gibt [3]. In die retrospektive Studie aus New York wurden die Daten von 4.389 Patienten eingeschlossen. 1.530 Patienten waren nicht antikoaguliert worden, 900 waren therapeutisch antikoaguliert worden und 1.959 Patienten hatten eine prophylaktische Antikoagulation erhalten.

Die Antikoagulation führt zu einer fast 50%igen Reduktion der Sterblichkeit im Krankenhaus und des Risikos der Intubation innerhalb der ersten 48 Stunden bei einer vertretbaren Blutungsrate von 2%.

Das würde sehr dafür sprechen, dass man mit einer frühzeitigen Antikoagulation dieses Risiko von infektionsinduzierten Thrombosen und Lungenembolien verhindern kann.

Laquinimod und Fingolimod bei Multipler Sklerose

Bei primär progressiver MS gibt es eine Dosisfindungsstudie mit Laquinimod bei 374 Patienten [4]. Leider zeigte sich kein therapeutischer Nutzen. Primärer Studienendpunkt war die Reduktion der Hirnvolumenminderung über 48 Wochen.

Eine weitere Studie hat 0,5 mg und 0,25 mg Fingolimod oral mit Glatirameracetat s.c. bei Patienten mit schubförmiger MS untersucht [5]. Insgesamt wurden 1.064 Patienten randomisiert. In dieser Studie war die hohe Dosis von Fingolimod signifikant wirksamer als Glatirameracetat mit einer 41%igen Risikoreduktion für weitere Schübe.

Operation bei intrazerebralen Blutungen

Bei intrazerebralen Blutungen haben Einzelstudien wie z. B. STICH oder MISTIE für minimal invasive Eingriffe keinen therapeutischen Nutzen gezeigt.

Nun liegt eine Meta-Analyse mit 21 Studien und 4.145 Patienten vor [6]. Hier zeigt sich ein signifikanter Benefit der operativen Eingriffe, und zwar insbesondere für die minimal-invasiven Eingriffe.

Man sollte also diesen Patienten nicht pauschal ein operatives Vorgehen vorenthalten. Es muss jeweils im Dialog zwischen Neurologen und Neurochirurgen entschieden werden, wie diesen Patienten am besten geholfen werden kann. 

Atogepant zur Migräneprophylaxe

In Lancet Neurology ist eine Studie zu einem neuen Ansatz in der Migräneprophylaxe erschienen [7]. Sie kennen alle die monoklonalen Antikörper zur Migräneprophylaxe. Jetzt gibt es kleine Moleküle, die CGRP-Rezeptorantagonisten, derzeit gibt aus dieser Gruppe Rimegepant und Ubrogepant zur Behandlung akuter Migräneattacken. Nun wurde eine neue Substanz – Atogepant – zur Prophylaxe der Migräne entwickelt.

Es handelt sich um eine Dosisfindungsstudie mit 5 verschiedenen Dosierungen von Atogepant bei Patienten mit episodischer Migräne. 834 Patienten wurden randomisiert mit 10 mg, 30 mg, 60 mg täglich oder 30 oder 60 mg zweimal täglich behandelt.

Über alle Dosierungen hinweg kam es im Durchschnitt zu einer Reduktion der Migränetage um 4 – von ursprünglich 7 bis 8 Tagen pro Monat. Der Unterschied zu Placebo betrug etwa 1 bis 1,5 Tage/Monat.

Die 50% Responder-Rate war allerdings nur für die beiden höchsten Dosen von zweimal 30 und zweimal 60 mg Atogepant signifikant.

Diese kleinen Moleküle können im Gegensatz zu den monoklonalen Antikörpern die Blut-Hirn-Schranke durchdringen und deshalb auch zentrale Nebenwirkungen hervorrufen, wie beispielsweise Schwindel, Müdigkeit und ähnliches.

Wo ist denn das mögliche Einsatzgebiet, falls sich diese Wirkung in größeren Studien nachweisen lässt?

Dies dürften besonders Frauen sein, die nicht verhüten oder die schwanger werden wollen, weil die Substanz nach dem Absetzen nach 1 bis 2 Tagen nicht mehr im Körper vorhanden ist. Bei einem monoklonalen Antikörper, der über 3 Monate wirkt, ist das ganz anders.

Es gibt, wie üblich, keinen Vergleich dieser Substanz mit klassischen Migräneprophylaktika. Die Substanz ist ganz am Anfang der Entwicklung. Es wird also sicher noch 2 Jahre dauern, bis sie, wenn sie eines Tages zugelassen wird, dann auch zur Verfügung steht.

Meine Damen und Herren, dies ist im August im Bereich COVID-19, MS, Kopfschmerz und bei intrazerebralen Blutungen passiert.

Ich bin Christoph Diener von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen und bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
 

Kommentar

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