MEINUNG

„Immense protektive Wirkung auf Herz und Nieren“: Die Studien EMPEROR-Reduced und DAPA-CKD bestätigen SGLT2-Strategie

Prof. Dr. Stephan Martin

Interessenkonflikte

7. September 2020

Transkript des Videos von Prof. Dr. Stephan Martin, Düsseldorf

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte heute über die SGLT2-Inhibitoren berichten. Diese neue Substanzgruppe ist erst vor wenigen Jahren auf den Markt gekommen.

SGLT2-Hemmer verstärken die Ausscheidung von Glukose über die Nieren. Sie blockieren den Natrium-Glukose-Cotransporter 2 (SGLT2) in der Niere, so dass die Glukose nicht mehr zurück resorbiert werden kann.

Wenn Glukose ausgeschieden wird, hat das natürlich zur Folge, dass wir auch Wasser verlieren, dies führt dazu, dass auch der Blutdruck sinkt. Deshalb haben wir Glukosurie, Dehydratation und Hypotonie.

Als die ersten SGLT2-Hemmer auf den Markt kamen, war man sehr besorgt, dass Zucker im Urin das Risiko von Harnwegsinfekten erhöht. Alle Studien zeigten jedoch, dass diese nicht vermehrt auftreten.

Die häufigste Nebenwirkung unter SGLT2-Hemmern ist aber eine Genitalinfektion, die zwar meist nicht schwerwiegend, aber für die Betroffenen unangenehm ist.

Ich erinnere mich noch, wie viele zu Beginn davor gewarnt haben, dass Zucker im Urin schlecht sei, was wir ja in der Diabetologie gelernt hatten. Nun sollten wir plötzlich das Gegenteil akzeptieren.

Effekte auf kardiovaskuläre Endpunkte

Die erste Studie zur Wirkung auf kardiovaskuläre Endpunkte war die EMPA-REG-Outcome-Studie, die 2015 in Stockholm beim 51. EASD-Kongress präsentiert worden ist. Dies war ein großer Erfolg. Der kombinierte primäre Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, nichttödlicher Herzinfarkt und Schlaganfall) wurde durch die Behandlung mit Empagliflozin im Vergleich zu Placebo signifikant reduziert (HR 0,86). Empagliflozin verringerte auch signifikant die Gesamtsterblichkeit sowie kardiovaskulär bedingte Todesfälle als Einzelparameter.

In dieser Studie wurde eine überraschende Entdeckung gemacht. Zusätzlich zu den kardiovaskulären Endpunkten stellte man fest, dass die Patienten signifikant seltener wegen einer Herzinsuffizienz ins Krankenhaus mussten.

Post hoc analysierte man die Nierendaten und konnte sehen, dass die Progression einer diabetischen Nephropathie signifikant reduziert war.

Weitere Studien waren die CANVAS-Studie mit Canagliflozin und die DECLARE-Studie mit Dapagliflozin. Beide Studien haben den primären Endpunkt erreicht. Auch hier zeigte sich, dass die Herzinsuffizienz und auch die Niereninsuffizienz reduziert werden, aber das waren keine primären Endpunkte.

Wirkungen auf die Nieren

In der vor einem Jahr publizierten CREDENCE-Studie wurden Patienten mit Diabetes und chronischer albuminurischer Nierenerkrankung mit Canagliflozin behandelt. Auch hier zeigte sich ein dramatischer protektiver Effekt des SGLT2-Hemmers.

Vor wenigen Tagen bei der Jahrestagung der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft wurden weitere Ergebnisse von diesen Diabetesmedikamenten präsentiert.

Dabei ging es aber weniger um Diabeteseinstellung als vielmehr um Organprotektion.

Beim ESC-Kongress wurde die DAPA-CKD-Studie präsentiert, in der Dapagliflozin bei Patienten (Diabetiker und Nicht-Diabetiker) mit eingeschränkter Nierenfunktion eingesetzt worden ist.

Die Ergebnisse waren eindeutig. Die Studie musste, wie auch schon zuvor die CREDENCE-Studie, vorzeitig abgebrochen werden, weil das Ethikkomitee eine weitere Behandlung mit Placebo als unzumutbar einstufte, denn die Ergebnisse waren so eindeutig. Alle Nierenerkrankten profitierten unabhängig von der Schwere der Erkrankung von einem SGLT2-Hemmer.

Wirkungen bei Herzinsuffizienz

Zur Wirkung des SGLT-2-Hemmers Dapagliflozin bei Herzinsuffizienz wurde im letzten Jahr die DAPA-HF-Studie publiziert. Primärer Endpunkt war die Verschlechterung der Herzinsuffizienz und kardiovaskulär bedingter Tod. Eingeschlossen waren Patienten mit Herzinsuffizienz mit und ohne Diabetes.

Dapagliflozin verringerte den primären Endpunkt signifikant im Vergleich zu Placebo. Auch beide Einzelkomponenten des primären Endpunkts wurden signifikant durch Dapagliflozin reduziert.

Beim virtuellen ESC-2020-Kongress wurde die EMPEROR-Reduced-Studie präsentiert, in der Empagliflozin ähnlich wie in der DAPA-HF-Studie bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit und ohne Diabetes im Vergleich zu Placebo untersucht wurde.

Primärer Endpunkt war wieder eine Kombination aus Verschlechterung der Herzinsuffizienz und kardiovaskulär bedingtem Tod. Er wurde durch Empagliflozin im Vergleich zu Placebo hochsignifikant reduziert, vor allem getrieben durch die Wirkung auf die Herzinsuffizienz.

Die beiden sekundären Endpunkte Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz und Verschlechterung der Nierenfunktion waren signifikant durch Empagliflozin im Vergleich zu Placebo reduziert worden.

Interessant an diesen Daten ist, dass die Patienten mit Herzinsuffizienz gemäß den Leitlinien behandelt worden sind. 94 % erhielten einen Betablocker, 70% einen Mineralokortikoid-Antagonisten, 20% erhielten einen Neprilysin-Antagonisten (ARNI).

Empagliflozin erreichte also zusätzlich zu dieser schon optimierten Therapie seine günstigen Effekte.

Konzept von der Natur abgeschaut

Die Studienlage ist also interessant. Wir haben ein Diabetesmedikament, das den Blutzucker senkt, das aber auch eine immense organprotektive Wirkung hat – auf die Nieren und auf das Herz. Am Herzen wirkt es auf der kardiovaskulären Ebene und bei Herzinsuffizienz.

Das Konzept ist total spannend, denn man hat es von der Natur abgeschaut. Eine Glukosurie gibt es auch bei einer Mutante beim Menschen. Menschen mit familiärer Glukosurie leben ohne gesundheitliche Probleme. Es ist spannend, dass man solche Mutationen näher betrachtet und erkennt, dass sie völlig harmlos sind.

Personen mit familiärer Glukosurie haben keinerlei Auffälligkeiten. Die Erkrankung ist selten. Aber die Betroffenen wurden nie zur Bundeswehr eingezogen, weil die Bundeswehrärzte immer Angst hatten, dass die Personen an Diabetes erkranken.

Wir lernen aber auch aus diesen Studien, dass Medizin nicht berechenbar ist.

Eine der größten Erfindungen, die wir haben, ist das Penicillin. Das ist auch nur dadurch gefunden worden, weil ein bisschen geschlampt wurde.

Auch bei den SGLT2-Hemmern sind die Befunde zur Organprotektion am Herzen und den Nieren nicht vorher zu sehen gewesen. Wir können, auch wenn wir molekulare Medizin betreiben, viele Dinge im Körper nicht vorhersagen. Wir müssen es einfach ausprobieren.

Das zeigt nochmals, dass medizinische Forschung und molekularbiologische Forschung andere Ansatzpunkte haben. Wir in der Medizin setzen Dinge ein, beobachten und wenn es funktioniert sagen wir, super es funktioniert. Wir wissen zwar nicht, warum es funktioniert. Aber wer heilt, hat Recht.

Ich hoffe, es war für Sie interessant, und ich hoffe, Sie können diese Ergebnisse in Ihrer täglichen Routine bald einsetzen.

Alles Gute

Ihr Stephan Martin

 

MEHR

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....