Cannabis verbreitet sich als Medizinalhanf und als Freizeitdroge immer weiter. Wer die Droge konsumiert und an Herzerkrankungen leidet, hat möglicherweise ein höheres Risiko für Herzinfarkte, Vorhofflimmern und Herzinsuffizienzen. Davor warnt die American Heart Association (AHA) in der Zeitschrift Circulation [1]. Um die Ergebnisse aus Kohorten zu interpretieren, seien aber zusätzliche Studien erforderlich, schreiben die Experten.
Cannabis: Hinweise auf kardiovaskuläre Risiken
Seit März 2017 können Ärzte in Deutschland ihren Patienten Cannabisblüten und Cannabisextrakte in begründeten Ausnahmefällen verordnen. Nach diesem Prinzip verfahren weltweit etliche Länder. Hinzu kommt, dass der Konsum rein zu Genusszwecken in den Niederlanden, in Spanien, Kanada, Uruguay und in 10 US-Bundesstaaten ohne Strafverfolgung möglich ist. Deutschland diskutiert diese Legalisierung noch kontrovers.
„Die Einstellung gegenüber dem Freizeitkonsum und dem medizinischen Gebrauch von Cannabis hat sich rasch verändert“, stellt Dr. Robert L. Page von der University of Colorado Skaggs School of Pharmacy and Pharmaceutical Sciences in Aurora fest. Er ist einer der Koautoren der wissenschaftlichen Stellungnahme.
Page betont: „Angehörige der Gesundheitsberufe benötigen ein besseres Verständnis der gesundheitlichen Auswirkungen von Cannabis.“ Als Beispiele nennt er, dass die Wirkung verschreibungspflichtiger Medikamente abgeschwächt werde und sich das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse erhöhe.
Zum Hintergrund: Eine kürzlich durchgeführte Studie zeigt, dass 6% der Herzinfarktpatienten unter 50 Jahren Cannabis konsumiert haben. Weitere Untersuchungen haben ergeben, dass Cannabis-Konsumenten zwischen 18 und 44 Jahren im Vergleich zu Nichtkonsumenten ein signifikant höheres Risiko für Schlaganfälle hatten.
„Leider handelt es sich bei den meisten verfügbaren Daten um Kurzzeit-, Beobachtungs- oder retrospektive Studien, die Trends aufzeigen, aber nicht Ursache und Wirkung belegen“, kommentiert Page.
Zahlreiche Chemikalien erklären die Wirkung
Zu den wichtigsten Inhaltsstoffen von Cannabisprodukten gehört Tetra-Hydro-Cannabinol (THC) als psychoaktive Substanz. Cannabidiol (CBD) hingegen ist ein nicht psychoaktives Cannabinoid.
Mehreren Studien zufolge führt THC innerhalb einer Stunde nach dem Kiffen mitunter zu Herzrhythmusstörungen wie Tachykardien, zu vorzeitigen Herzkammerkontraktionen, Vorhofflimmern und Kammerarrhythmien. Akut scheint THC auch das sympathische Nervensystem zu stimulieren, was zu einer höheren Herzfrequenz, einem höheren Sauerstoffbedarf des Herzens, einem höheren Blutdruck in Ruhe und Funktionsstörungen innerhalb der Arterienwände führt.
Im Gegensatz dazu ruft CBD zwar kein „High“ und keine Intoxikation hervor. Assoziationen mit einer verminderten Herzfrequenz, einem niedrigeren Blutdruck, einer erhöhten Vasodilatation und möglicherweise verringerten inflammatorischen Reaktionen wurden jedoch auch gefunden.
Rauchen oder Inhalieren von Cannabis, unabhängig vom THC-Gehalt, wurde mit Kardiomyopathien, Angina pectoris, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen, plötzlichem Herztod und anderen schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht. In Staaten, in denen Cannabis legal zu erwerben ist, beobachteten Ärzte eine Zunahme von Krankenhausaufenthalten und Notaufnahme-Besuchen aufgrund von Herzinfarkten.
Rauchen oder vapen? Schlecht ist beides
Es hat sich auch gezeigt, dass das Rauchen von Cannabis unabhängig vom THC-Gehalt die Konzentration von Carboxy-Hämoglobin im Blut um das 5-Fache und die Konzentration von Teer um das 3-Fache erhöht, ähnlich wie bei normalen Zigaretten mit Tabak.
Eine Kohlenmonoxid-Intoxikation wird mit verschiedenen Herzproblemen in Verbindung gebracht, wie Herzmuskelerkrankungen, Brustschmerzen, Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen und anderen schweren Erkrankungen.
E-Zigaretten machen die Sache nicht besser. Das Vaping von Cannabis kann zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen führen, insbesondere, falls Öle mit Vitamin-E-Acetat gemischt werden. Bekannt ist das sogenannte EVALI (e-cigarette, or vaping, product use associated lung injury) Syndrom. Vor allem in den USA ist es – wie berichtet – dadurch zu etlichen Fällen mit dieser Lungenschädigung gekommen.
„Die American Heart Association empfiehlt Menschen, keine Substanzen, Cannabisprodukte eingeschlossen, zu rauchen oder zu vapen, da diese potenziell schädlich für Herz, Lunge und Blutgefäße sind“, erklärt Dr. Rose Marie Robertson von der AHA. Auch sie ist Koautorin der aktuellen Stellungnahme.
Cannabis bei älteren Menschen: Nutzen oder Schaden?
In der Erklärung werden auch eher günstige Wirkungen von Cannabis bei unterschiedlichen Populationen diskutiert. Einige Studien haben Hinweise geliefert, dass Inhaltsstoffe – sowohl CBD als auch THC – für ältere Menschen sicher und wirksam sein könnten. Obwohl sie am seltensten Cannabis konsumieren, verwenden Senioren es beispielsweise, um neuropathische Schmerzen zu lindern, etwa als Folge von Typ-2-Diabetes. Ziel ist es dabei, die Lebensqualität zu verbessern, aber auch, weniger Opioide einzunehmen.
Darüber hinaus fanden Wissenschaftler einen möglichen Nutzen für Patienten mit altersbedingten Krankheiten, einschließlich Parkinson und Alzheimer. Derzeit gibt es aber nur wenige Untersuchungen zu den langfristigen Auswirkungen speziell bei dieser Personengruppe. Eine weitere Sorge in Bezug auf ältere Erwachsene ist das Risiko von Wechselwirkungen mit Medikamenten, darunter Antikoagulantien, Antidepressiva, Antipsychotika, Antiarrhythmika und Statinen.
Bei Menschen mit kardiovaskulären Erkrankungen, hier handelt es sich oft um Senioren, sollte laut AHA dementsprechend Cannabis mit äußerster Vorsicht verwendet werden. Durch den Konsum erhöht sich der Sauerstoffbedarf des Herzens. Gleichzeitig sinkt die Sauerstoffversorgung, was zu Angina pectoris führen kann. Darüber hinaus löste Cannabis in einigen Studien bei Menschen mit bekannten kardiovaskulären Risiken einen Herzinfarkt aus. Andere Studien haben den Cannabiskonsum mit einem höheren Risiko für Schlaganfälle und Herzinsuffizienzen in Verbindung gebracht.
Cannabis als Freizeitdroge: Experten warnen vor Psychosen
In JAMA Psychiatry beleuchten Dr. Robin M. Murray vom King’s College, London, und ein Kollege psychosomatische Effekte des Cannabiskonsums [2]. Dazu zählen Depressionen und eine erhöhte Suizidalität. Besonders große Sorgen bereiten den Kommentatoren aber Schizophrenie-ähnliche Psychosen. Von 13 Längsschnittstudien zeigten 10, dass Cannabis mit einem signifikant erhöhten Risiko für Psychosen assoziiert war.
Hinzu kommt, dass in Ländern mit Cannabis-Legalisierung als Freizeitdroge die Zahl an Psychosen steil angestiegen ist – gemessen an Diagnosen, aber auch an Hospitalisierungsraten.
Kritiker hatten bemängelt, dass Patienten vielleicht schon früher Anzeichen einer Psychose hätten und deshalb erst Cannabis einnähmen – aber diese Hypothese ist laut Murray und Kollegen widerlegt. Ob bei der Suszeptibilität genetische Effekte zum Tragen kommen, lasse sich derzeit nicht abschließend klären, heißt es in der Stellungnahme.
Jenseits wissenschaftlicher Aspekte sehen die Kommentatoren noch eine ganz andere Gefahr. Hinter Cannabis steckt eine riesige Industrie. Produzenten werden vermutlich alles unternehmen, um gesundheitliche Folgen zu verharmlosen – wie einst bei Tabak. Er galt als pflanzlich und damit als harmlos, bis eine Welle an Bronchialkarzinomen das Gegenteil belegte.
Medscape Nachrichten © 2020 WebMD, LLC
Diesen Artikel so zitieren: Freizeitdroge Cannabis: Warum die American Heart Association speziell Herzpatienten vor der „Tüte“ warnt - Medscape - 10. Aug 2020.
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