Nach dem Bluttest auf das an Position 181 phosphorylierte tau-Protein gibt es jetzt einen noch geeigneteren Kandidaten zur Differenzialdiagnose und Früherkennung einer Alzheimer-Demenz: An Position 217 phosphoryliertes tau-Protein ist ebenfalls im Blut spezifisch nachweisbar – und das möglicherweise Jahre vor dem Einsetzen erster kognitiver Beeinträchtigungen.
„Innerhalb von nur knapp 2 Jahren sind hierzu bahnbrechende Forschungsergebnisse publiziert worden“, freut sich Prof. Dr. Mathias Jucker, Professor am Hertie Institut für Klinische Hirnforschung der Universität Tübingen. „Damit ist die Wissenschaft einem aussagekräftigen Bluttest für Alzheimer-Demenz nochmals einen großen Schritt nähergekommen.“
Die fehlerhafte Phosphorylierung des tau-Proteins in Gehirnzellen wird für die Entstehung von tau-Fibrillen verantwortlich gemacht und gilt damit als eine der Ursachen der Alzheimer-Demenz. Dieses ist bereits lange vor dem Einsetzen kognitiver Beeinträchtigungen im Hirngewebe von Betroffenen nachweisbar. Relativ neu ist die Erkenntnis, dass es auch im Blutplasma nachweisbar ist. Mit innovativen Methoden gelingt der Nachweis nun bei verschiedenen fehlerhaft phosphorylierten tau-Proteinen, die aus dem Hirngewebe ins Plasma wandern.
Hohe Spezifizität in 3 sehr verschiedenen Kohorten
In ihrer Studie fanden Dr. Sebastian Palmquist, Clinical Memory Research Unit der Universität Malmö in Schweden, und seine Koautoren das an Position 217 phosphorylierte tau-Protein im Plasma von Alzheimer-Patienten hochspezifisch vermehrt gegenüber den Kontrollgruppen [1].
Die Studie wurde im Juli 2020 online bei der Alzheimer`s Association International Conference vorgestellt und gleichzeitig im Journal of American Medical Association (JAMA) veröffentlicht. Sie zeigt die Aussagekraft des Bluttests an 3 sehr unterschiedlichen Kohorten mit insgesamt 1.402 Probanden.
In der ersten Kohorte, einer Bank von Blut- und Gewebeproben ante mortem und post mortem neuropathologisch klassifizierter US-Amerikaner (Arizona) mit einem Durchschnittsalter von 83 Jahren, unterschied der p-217 tau-Bluttest Alzheimer- von Nicht-Alzheimer-Patienten mit einer Spezifität von 0,89.
In der zweiten Kohorte aus der schwedischen BioFinder-2 Studie fanden die Autoren mit diesem Bluttest Patienten mit Alzheimer mit einer Spezifität von 0,96 unter solchen ohne oder nur mit milden kognitiven Beeinträchtigungen sowie verschiedenen anderen neuropathologischen Erkrankungen. Hier lag das Durchschnittsalter bei 69 Jahren.
Die dritte Kohorte bestand aus kolumbianischen Trägern der autosomal-dominanten Mutation PSEN1 E280A und entsprechenden Familienmitgliedern ohne diese Mutation im Alter von mindestens 25 Jahren. Im Durchschnitt waren die Probanden hier etwa 20 Jahre jünger als das Eintreten von kognitiven Beeinträchtigungen bei den Mutationsträgern erwartet wird. Auch hier erkannte der p-217 tau-Bluttest mit hoher Spezifität die Träger dieser Mutation, die zu Alzheimer-Demenz führt.
„Das Vorgehen der Autoren ist durchaus üblich“, bestätigt Jucker. „Um die Qualität einer neuen Testmethode zu zeigen, ist es sehr sinnvoll, diese in verschiedenen, in Fachkreisen bereits bekannten Kohorten anzuwenden und die mit ihr erzielten Ergebnisse mit anderen, bereits bekannten Methoden der Alzheimer-Diagnostik zu vergleichen.“
Signifikanz besser als bei anderen diagnostischen Methoden
Auch im Vergleich zu anderen Tests auf Alzheimer-Demenz schnitt der p-217 tau-Bluttest sehr gut ab: In Kohorte 1 erkannte er an Alzheimer Erkrankte signifikant besser als der erst vor einigen Monaten vorgestellte p-181 tau-Bluttest und der Neurofilament-light chain (NfL)-Bluttest (p<0,05), der allgemein auf Neurodegeneration anspricht.
In der schwedischen Kohorte 2 erkannte der neue Test an Alzheimer Erkrankte signifikant besser als der p-181 tau- und der NfL-Bluttest sowie Magnetresonanz (MRI)-Diagnostik (p<0,001). Im Vergleich mit den Tests auf p-181 tau- und der NfL im Liquor sowie Tau-PET-Diagnostik zeigte sich der neue Bluttest als etwa gleichwertig (p>0,15).
Auch in Kohorte 3, bei den relativ jungen Probanden aus den kolumbianischen Familien mit und ohne PSEN1-Mutation, korrelierte ein höherer p-217 tau-Wert im Plasma signifikant mit dem Gehalt an tau-Fibrillen und ß-Amyloid-Plaques im Gehirn (p<0,001).
„Damit stellt sich der p-217 tau-Bluttest als noch aussagekräftiger als der p-181 tau-Bluttest dar“, beurteilt Jucker diese Ergebnisse. „Es ist beeindruckend, welche Fortschritte in letzter Zeit auf diesem Gebiet gemacht werden. Und ich weiß noch von anderen Arbeitsgruppen, von denen binnen kurzem weitere Publikationen zu diesem Bluttest zu erwarten sind.“
Wieso der p-217 Bluttest dem p-181 Test überlegen ist, wird zurzeit intensiv erforscht und könnte wichtige mechanistische Erkenntnisse zur Pathophysiologie bringen. Die Autoren schreiben, dass der p-217 tau-Bluttest genauer zwischen Patienten mit Alzheimer oder anderen neurodegenerativ bedingten Erkrankungen unterscheide als der p181 tau-Bluttest. Außerdem sage er den tau- und ß-Amyloid-Status besser voraus als dieser.
p-217 tau-Bluttest auch prognostisch aussagekräftig
Weiterhin interpretieren die Forscher um Palmquist die Ergebnisse aus der 3. Kohorte so, dass der p-217 tau-Bluttest das Alzheimerrisiko bereits weit vor dem Auftreten kognitiver Symptome erkennen kann. Dazu passt auch das Ergebnis einer anderen aktuellen Studie, dass p-217 tau-Proteine auch im Liquor früher nachweisbar sind als p-181 tau-Proteine.
Als Schwächen der Studie diskutieren die Autoren die geringe Anzahl von wirklich von Alzheimer betroffenen Patienten (233 von 1.402) gegenüber der Anzahl an Kontrollprobanden und das Fehlen longitudinaler Ergebnisse. Sie kündigen zugleich weitere klinische Untersuchungen an, um den p-217 tau-Bluttest weiter in Richtung einer praktischen Anwendung zu entwickeln.
Dem schließt sich auch Jucker an: „Aus wissenschaftlicher Sicht ist dieser Bluttest sehr interessant und könnte uns schon in kurzer Zeit wertvolle Ergebnisse liefern. Bevor er allerdings für den individuellen Patienten angewendet werden kann, wird noch einige Zeit vergehen, in der – wie die Autoren selbst sagen – weitere Entwicklungen für die breite klinische Praxis vorangetrieben werden müssen.“
Auch Prof. Dr. Eric Reiman, Neurowissenschaftler an der University of Arizona, Director des Arizona Alzheimer’s Consortiums und Senior-Koautor der Studie, zieht ein sehr positives Resümee: „Bluttests wie diese haben das Potenzial, die Erforschung, Diagnose und Behandlung der Alzheimer-Krankheit schon bald zu revolutionieren.“
Medscape Nachrichten © 2020
Diesen Artikel so zitieren: Alzheimer-Früherkennung: „Wir sind einem aussagekräftigen Bluttest einen großen Schritt nähergekommen“ - Medscape - 7. Aug 2020.
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