COVID-19 auf Entbindungsstationen: Wie sich Nähe und Distanz trotz unzureichender Datenlage ausbalancieren lassen

Katherine Gammon

Interessenkonflikte

5. August 2020

Im April arbeitete Dr. Maura Quinlan nachts in der Entbindungsabteilung des Northwestern Medicine Prentice Women's Hospital in Chicago. Zu der Zeit war die Strategie der Klinik, nur Patientinnen mit bekannten COVID-19-Symptomen auf das SARS-CoV-2-Virus zu testen. Frauen, die in den Wehen lagen, trugen N95-Masken, aber nur beim Pressen – und die Ärzte hatten nicht immer rechtzeitig angemessene Schutzkleidung angelegt.

Die Babys kamen auf die Welt und die Familien freuten sich. Doch Quinlan blickt mit einem gewissen Grauen auf diese Wochen zurück. „Wir hatten eine Menge von Patientinnen, die in den Wehen lagen und wahrscheinlich mit COVID-19 infiziert waren“, sagt sie, „und wir verrichteten unsere Arbeit ohne ausreichenden Schutz.“

Sie hat vermutlich Recht. Laut einer Studie im New England Journal of Medicine waren 13,7% der 211 Frauen, die zwischen dem 22. März und dem 2. April in die Entbindungsstation eines Krankenhauses in New York City kamen, asymptomatisch, aber infiziert, wodurch Personal und Ärzte möglicherweise gefährdet waren. 

Quinlan wusste bereits, dass sie und ihre Kollegen sich auf einem schmalen Grat bewegten, doch als sie diese Forschungsergebnisse sah, wurde ihr das Herz schwer. Mitten in der Pandemie hatten sie alles getan, um der veränderten Realität bei der Geburt von Babys gerecht zu werden. Doch trotz ihrer Bemühungen, sowohl Ärzte als auch Patienten zu schützen, fiel manches durchs Raster. Heute wird jede Patientin mit Wehen, die im Northwestern aufgenommen wird, auf das neue Coronavirus getestet.

Ein Flickenteppich von Richtlinien

Im ganzen Land bemühen sich die Entbindungsstationen der Kliniken, mehrere konkurrierende Interessen unter einen Hut zu bekommen: die Sicherheit ihrer Mitarbeiter, die Gesundheit der kleinen und verletzlichen neuen Menschen und die Sicherheit der gebärenden Mutter.

Auf Grundlage der verfügbaren Daten hat jedes Krankenhaus die bestmöglichen Entscheidungen getroffen. Das Ergebnis ist zwar ein Flickenteppich von Richtlinien, doch alle zielen auf schnelle Tests und angemessenen Schutz.

Eine Fallstudie über Frauen in einer New Yorker Klinik während des Höhepunktes der Corona-Welle in der Stadt ergab, dass von 7 Patientinnen mit bestätigter COVID-19-Infektion 2 bei der Aufnahme in die Geburtshilfe asymptomatisch waren. Doch diese beiden Patientinnen mussten schließlich auf die Intensivstation eingeliefert werden.

Aufgrund der Betreuung der Frauen vor ihrer COVID-19-Diagnose waren mehrere Ärzte und Pflegekräfte dem Virus ausgesetzt, eine angemessene persönliche Schutzausrüstung fehlte, schreiben die Studienautoren. „Darüber hinaus waren 5 von 7 Frauen mit bestätigter COVID-19-Infektion bei der Erstuntersuchung afebril und 4 von ihnen klagten zunächst nicht über Husten“, stellen sie fest. „An Orten, an denen nur begrenzt Tests vorhanden sind, reichten die minimalen Symptome, die in einigen dieser Fälle gemeldet wurden, möglicherweise nicht aus, um einen Test auf COVID-19 zu veranlassen.“

Empfehlungen verändern sich

Als sich Studien wie diese häuften, aktualisierten die Gesellschaften ihre Empfehlungen entsprechend. Die jüngste Empfehlung des American College of Obstetricians and Gynecologists (ACOG) kam am 1. Juli heraus. Die ACOG schlägt vor, alle Patientinnen mit Wehen zu testen, insbesondere in Gebieten mit hoher SARS-CoV-2-Prävalenz. Wenn Tests knapp sind, empfiehlt sie, Schwangere mit Verdacht auf COVID-19 und Schwangere, die während der Aufnahme Symptome entwickeln, vorrangig zu testen.

Im Northwestern Hospital in Chicago bittet die Klinik inzwischen darum, dass die Patientinnen in den Wochen vor der Entbindung zu Hause bleiben und sich in Quarantäne begeben. Danach wird jede Patientin, die zur Entbindung kommt, einem Schnelltest unterzogen, dessen Ergebnisse innerhalb weniger Stunden vorliegen sollen.

 
Wir respektieren und verstehen, dass die Geburt ein freudiges Ereignis ist, und wir versuchen, die Familien so weit wie möglich zusammenzuhalten. Dr. Rashmi Rao
 

Die Entbindungsstation des Krankenhauses mit 30 Zimmern ist weiterhin für Patientinnen reserviert, deren Testergebnis negativ ist. Diejenigen mit positivem Testergebnis werden auf eine spezielle COVID-19-Entbindungseinheit geschickt, die 6 Betten umfasst und sich an einem anderen Ort der Klinik befindet. „Wir hatten Glück, dass wir den Platz dafür hatten, denn kleinere, kommunale Krankenhäuser hätten keine separate, ungenutzte Einheit, in die sie diese Frauen legen könnten“, sagt Quinlan.

Auf dieser COVID-19-Station entbinden die Frauen ohne eine unterstützende Person – kein Partner, keine nicht-medizinische Schwangerschaftsbegleiterin oder ein anderes Familienmitglied hat Zutritt, Ärzte und Krankenschwestern tragen eine komplette Schutzausrüstung und arbeiten nur auf dieser Station.

Da einige Forschungsergebnisse zeigen, dass asymptomatische oder präsymptomatische Schwangere nach Beginn der Wehen ohne messbare Krankheitszeichen rasch Symptome entwickeln können, muss Quinlan von Fall zu Fall entscheiden, was zu tun ist.

Eine verzögerte Einleitung der Geburt könnte die Infektion abklingen lassen oder aber dazu führen, dass die Patientin von einer präsymptomatischen Erkrankung in eine ausgewachsene Lungenentzündung übergeht. Eine beschleunigte Wehentätigkeit könnte Symptome hervorrufen oder aber es der Mutter ermöglichen, sicher zu entbinden und die Klinik so schnell wie möglich zu verlassen.

Das Krankenhaus testet auch die Partner von Frauen, die COVID-19-positiv sind. Diejenigen mit negativem Ergebnis können das Neugeborene mit nach Hause nehmen und versuchen, Abstand zu halten, bis die Mutter keine Symptome mehr zeigt.

In verschiedenen Teilen des Landes haben die Krankenhäuser unterschiedliche Ansätze entwickelt. Südkalifornien erlebt gerade eine Corona-Welle, im Ronald Reagan UCLA Medical Center in Los Angeles dagegen gibt es nicht genügend COVID-19-Patienten, die eine separate Entbindungseinheit rechtfertigen würden.

Am UCLA entnehmen die Mitarbeiter Abstriche von Patientinnen, wenn diese die Entbindungsstation betreten – diejenigen, die positiv getestet werden, erhalten spezielle Raumkennzeichnungen. Sowohl für COVID-positive Patientinnen, als auch für Frauen, deren Geburt schneller voranschreitet als die Testergebnisse vorliegen, sind die Ziele die gleichen, sagt Dr. Rashmi Rao, Gynäkologe am UCLA: Auf die sicherste Art und Weise entbinden, die für Mutter und Kind möglich ist.

Alle Frauen, ob positiv oder negativ, müssen während der Wehen Masken tragen – zumindest so weit, wie sie damit zurechtkommen. Bei Patientinnen, die nur leicht krank oder asymptomatisch sind, besteht der einzige Unterschied darin, dass alle Schutzkleidung tragen. Wenn jedoch der Sauerstoffgehalt einer Patientin sinkt oder ihr Baby in Not ist, geht das Team schneller zu einem Kaiserschnitt über als bei einer gesunden Patientin.

In dem Maße, wie sich die Strategie der Kliniken weiterentwickelt hat, haben sich auch die Regeln für Besucher verändert. Ursprünglich erlaubte das UCLA die Anwesenheit einer Hilfsperson während der Entbindung, diese musste aber unmittelbar danach wieder gehen.

Jetzt darf jede werdende Mutter für die Dauer ihres Aufenthalts einen Besuch mitbringen. Und das Krankenhaus schlägt vor, dass Patientinnen, die COVID-19-positiv sind, sich in getrennten Räumen von ihren Babys erholen und ermutigt sie dazu, Abstand zu ihren Säuglingen zu halten, außer beim Stillen. „Wir respektieren und verstehen, dass die Geburt ein freudiges Ereignis ist, und wir versuchen, die Familien so weit wie möglich zusammenzuhalten“, sagt Rao.

Das Problem der mutmaßlich besten Pflege

Auch die Art und Weise, wie Krankenhäuser die Kleinsten schützen, ändert sich ständig. Es kursieren Berichte über Neugeborene, die COVID-19-positiven Müttern weggenommen werden, vor allem bei Angehörigen der Ureinwohner. Solche Geschichten haben viele in Sorge versetzt, dass sie von ihren Babys getrennt werden könnten. Die meisten Krankenhäuser überlassen es jedoch der Frau und ihren Ärzten zu entscheiden, wie weit eine Trennung notwendig ist. „Nach der Entbindung hängt es davon ab, wie es jemandem geht“, sagt Rao.

 
Wenn eine Mutter eine Trennung ablehnt, bitten wir das pädiatrische Team, mit ihr über die theoretischen Risiken … zu sprechen. Dr. Maura Quinlan
 

Die American Academy of Pediatrics empfiehlt Müttern, die COVID-19-positiv sind, Muttermilch abzupumpen und es einer gesunden Betreuungsperson zu überlassen, das Baby mit der Flasche zu füttern. Die Mutter sollte dabei 2 Meter Abstand vom Kind halten. Wenn das nicht möglich ist, sollte sie während des Stillens Handschuhe und eine Maske tragen, bis sie 72 Stunden lang fieberfrei ist und seit dem ersten Auftreten ihrer Symptome mindestens eine Woche vergangen ist.

„Es ist wirklich tragisch“, so Quinlan vom Northwestern Hospital, eine COVID-19-positive Mutter auch nur einen Meter von ihrem Neugeborenen entfernt zu halten. „Wenn eine Mutter eine Trennung ablehnt, bitten wir das pädiatrische Team, mit ihr über die theoretischen Risiken und den Mangel an Daten dazu zu sprechen.“

Infektion über Plazenta oder Muttermilch?

Bis vor kurzem deutete die Forschung darauf hin, dass das SARS-CoV-2-Virus nicht über die Plazenta von Müttern auf ihre Babys übertragen wird. Und trotz einer kürzlich in Frankreich durchgeführten Fallstudie, in der von einer transplazentaren Übertragung zwischen einer Mutter und ihrem Fetus berichtet wurde, gehen die Forscher immer noch davon aus, dass das Risiko einer Übertragung gering ist.

Um sicherzustellen, dass das Risiko für Neugeborene so gering wie möglich bleibt, ist es die Politik des UCLA, Abstriche vom Baby zu machen, wenn es 24 Stunden alt ist, und auf Anzeichen einer Infektion zu achten wie erhöhte Lethargie, Schwierigkeiten beim Aufwachen oder Erbrechen.

 
Mit den Informationen, die wir haben, tun wir, was wir können, um unsere Patienten zu schützen. Dr. Rashmi Rao
 

Auch eine Übertragung über die Muttermilch hat sich bisher als relativ unwahrscheinlich erwiesen. In einer Studie im Lancet sei zwar das Virus in Muttermilch nachgewiesen worden, doch sei nicht klar, ob es so auch übertragen werden könne, sagt Dr. Christina Chambers, Professorin für Kinderheilkunde an der UC San Diego School of Medicine.

Chambers untersuchte Muttermilch, um zu prüfen, ob das Virus oder Antikörper gegen das Virus vorhanden sind. Sie untersuchte auch, wie sich eine Infektion mit SARS-CoV-2 auf Frauen zu verschiedenen Zeitpunkten in der Schwangerschaft auswirkt – eine Frage, die noch offen ist.

„Bei schwangeren Frauen mit einer sich verschlechternden Infektion sind die Entscheidungen dieselben, die sie bei jeder Entbindung treffen würden: Rette die Mutter – und rette das Baby“, sagt Chambers. „Darüber hinaus ist es ermutigend zu sehen, dass schwangere Frauen vorrangig getestet werden“, sagt sie.

Dies werde den Forschern dabei helfen, die Prävalenz der Krankheit zu verstehen, damit sie besser nachvollziehen können, ob einige Symptome gefährlicher sind als andere.

Die Lage entwickelt sich so schnell, dass Krankenhäuser einfach versuchen, mit der Flut neuer Forschung Schritt zu halten. In Ermangelung endgültiger Antworten nutzen sie die verfügbaren Informationen und passen sich an. „Wir sind vorsichtig und warten auf weitere Daten“, sagt Rao. „Mit den Informationen, die wir haben, tun wir, was wir können, um unsere Patienten zu schützen. Und wir werden einfach damit weitermachen.“

Dieser Artikel wurde von Ute Eppinger aus www.medscape.com übersetzt und adaptiert.
 

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