Cochrane-Review: Tests auf Immunglobuline gegen SARS-CoV-2 sind unzuverlässig, Studien dazu haben gravierende Mängel

Dr. Angela Speth

Interessenkonflikte

30. Juli 2020

Antikörpertests eignen sich nur bedingt zur Diagnostik während oder nach COVID-19, zu dieser Einschätzung kommt ein Cochrane-Review. Zum Beispiel hängt die Zuverlässigkeit stark davon ab, in welchem Abstand zum Symptombeginn sie gemacht werden. Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Die wenigsten Studien zur Testgenauigkeit erfüllen die Qualitätskriterien.

Auf Antikörpertests richtet sich großes Interesse, wie Prof. Dr. Jonathan J. Deeks von der Universität Birmingham und sein Cochrane-Team erläutern [1]. Denn vorausgesetzt, sie wären gut evaluiert, könnten sie wichtige praktische und theoretische Erkenntnisse zur Corona-Pandemie liefern.

So ließe sich im Nachhinein feststellen, ob jemand die Infektion bereits durchgemacht hat oder nicht. Diese Ungewissheit besteht vor allem bei Menschen, die keine, schwache oder unspezifische Symptome hatten, so dass kaum Bedarf zur Abklärung per PCR bestand. Nachträglich hat eine PCR ja keinen Sinn mehr, sondern nur in der Phase der Virusvermehrung.

Zuverlässigkeit der PCR variiert je nach Infektionsbeginn

Umgekehrt könnten Antikörpertests bei akuter Erkrankung zur Korrektur oder Bestätigung einer Diagnose wertvoll sein: wenn zwar die typischen Symptome vorliegen, aber mit PCR in Abstrichproben keine Erreger zu finden waren. Denn obwohl der molekulare Test den Goldstandard darstellt, ist er für seine Unzuverlässigkeit und Zeitabhängigkeit bekannt. Selbst am Tag 3 nach Auftreten der Symptome – dem günstigsten Fall – beträgt die falsch-negative Quote noch 20%, ergab eine Metaanalyse.

Eine besser gestützte Abklärung würde dann die Entscheidung erleichtern, ob eine Therapie oder Quarantäne angebracht ist. Fällt jedoch auch die zweite Methode falsch negativ aus, wird das versäumt. Spricht sie bei Gesunden auf COVID-19 an (falsch positiv), führt das zu unnötigen weiteren Tests, zu Therapie und Isolierung.

Falls sich herausstellen sollte, dass Antikörper Immunität bedeuten, ließe sich zudem checken, wer gegen die Infektion geschützt ist und folglich auch andere nicht mehr ansteckt.

Antikörpertests könnten die Immunreaktionen widerspiegeln

Auch könnten Antikörpertests Einblick geben in das immunologische Geschehen bei schwerer Erkrankung und während der Rekonvaleszenz.

Und sie könnten helfen, die Seroprävalenz in der Bevölkerung zu beurteilen. Dadurch eröffnet sich die Chance, abzuschätzen, wie weit die Infektion bereits verbreitet ist und welche Vorsorgemaßnahmen des Gesundheitswesens notwendig und welche verzichtbar sind.

Wegen all dieser potenziellen Vorteile ist es nicht verwunderlich, dass nach dem Ausbruch von COVID-19 eine rege Entwicklung von Antikörpertests einsetzte. Insgesamt 279 kommerzielle und interne Tests listet die Foundation for Innovative Diagnostics (FIND) auf – doch wie die Forscher feststellten, liegen nur für 25 einigermaßen aussagekräftige Daten vor.

Die meisten zeigen sowohl IgG als auch IgM an, einige zusätzlich IgA, die übrigen nur einen Immunglobulin-Typ. Nach der Infektion steigen und fallen die Spiegel mit unterschiedlichen Mustern: IgM bildet sich schnell, nimmt aber bald wieder ab, IgG vermehrt sich zuletzt, hält aber am längsten an.

Nur 54 unter Tausenden von Studien waren geeignet

Besitzen die Methoden also eine ausreichende Genauigkeit, so dass sie die Diagnostik bei COVID-19 ergänzen? Mit dieser Frage durchsuchte Deeks, ein Experte für Biostatistik und Testauswertung, zusammen mit seinen Kollegen 2 Datenbanken: das Cochrane COVID-19-Studienregister und die COVID-19 Living Evidence Database der Uni Bern.

Unter tausenden thematisch passenden Publikationen, die darin bis zum Stichtag Ende April gesammelt waren, bewerteten sie 54 als tauglich. 39 kamen aus Asien, 15 aus Europa, die übrigen aus den USA. Die insgesamt fast 16.000 untersuchten Blutproben stammten hauptsächlich von Krankenhauspatienten. Als Referenz dienten die PCR und die klinische Diagnose.

In mehr als der Hälfte der Studien wurden selbst hergestellte, meist nicht käufliche Tests geprüft. Noch fehlen im Review die neuen Studien zu den viel diskutierten Tests der Unternehmen Roche und Abbott, sie sollen aber in ein Update eingehen, an dem die Autoren bereits arbeiten.

25 von knapp 300 Labor- und Schnelltests wurden seriös geprüft

Vertreten waren einerseits Labortests für Venenblut: Enzyme-Linked ImmunoSorbent Assays (ELISA) und ChemiLuminescence ImmunoAssays (CLIA). Und andererseits patientennahe Diagnostik, die Schnelltests, auch Point-of-Care- oder Lateral-Flow-Assays genannt.

Ähnlich wie etwa bei Diabetestests wird Blut aus der Fingerkuppe auf einen Teststreifen aufgetragen und die Verfärbung im Reaktionsfeld beobachtet. Dazu gehören colloidal Gold ImmunoAssays (GIA), bei denen das Antigen an Goldnanopartikel gebunden ist, und Fluorescence-labelled Immunochromatographic Assays (FIA), für die zur Detektion der Fluoreszenz ein Lesegerät nötig ist.

Die Sensitivität hängt stark vom Symptombeginn ab

Im Abschnitt „Ergebnisse“ erörtern die Forscher zunächst das entscheidende Kriterium für die Testqualität: die Sensitivität, definiert als die Fähigkeit, COVID-19 korrekt zu erkennen. Sie hängt stark davon ab, wie lange der Symptombeginn zurückliegt.

„Wir haben klare Muster entdeckt, wonach das Timing entscheidend ist. Wählt man den falschen Zeitpunkt, funktionieren die Tests nicht“, erklärt Deeks in einer Cochrane-Mitteilung. Stets fanden die Forscher dasselbe Schema: geringe Sensitivität in der 1. Woche, Anstieg in der 2. Woche, höhere Werte erst ab der 3. Woche.

  • So betrug die Sensitivität von Tag 1 bis Tag 8 weniger als 30%. Offenbar sind die Titer dann noch zu niedrig.

  • Ab dem 8. bis zum 15. Tag stieg die Sensitivität auf 70%, war also immer noch mäßig.

  • Für die Phase vom 15. bis 21. Tag wurde die Sensitivität auf 90% geschätzt.

  • Zwischen dem 22. bis 35. Tag erkannten die Tests sogar 96% der Infizierten.

Liegt das erste Auftreten der Symptome allerdings länger als 35 Tage zurück, wird die Sensitivität fraglich, weil die Daten diesen Zeitraum nicht abdecken.

 
Wir haben klare Muster entdeckt, wonach das Timing entscheidend ist. Wählt man den falschen Zeitpunkt, funktionieren die Tests nicht. Prof. Dr. Jonathan J. Deeks
 

Dabei unterscheiden sich die Methoden: CLIA waren mit 98% für IgG/IgM empfindlicher als ELISA oder CGIA-basierte Schnelltests mit 91%.

Falsch negative Tests schaffen trügerische Sicherheit

Dass selbst eine Sensitivität von 90% für das Management einer Infektionskrankheit nicht optimal ist, veranschaulichen die Autoren am Beispiel einer Hochrisikosituation, wie sie an Kliniken, die COVID-19-Patienten behandeln, wahrscheinlich ist: Angenommen, 200 von 1.000 Mitarbeitern wären infiziert (20%),

  • dann fiele bei 807 das Resultat negativ aus, aber 17 (2%) von ihnen hätten doch COVID-19 (falsch negativ).

  • dann bekämen 193 ein positives Ergebnis, aber 10 (5%) von ihnen wären gar nicht erkrankt (falsch positiv).

Bei einer Prävalenz von 5% – wie sie in nationalen Erhebungen vorkommen mag – wären 4 pro 1.000 falsch negativ und 12 falsch positiv.

Günstige Werte fanden sich für die Spezifität: Für IgG/IgM lag sie bei durchschnittlich 99%. Das heißt, nur zu 1% bis 2% fielen die Tests falsch positiv aus, zeigten also eine Erkrankung an, obwohl sie gar nicht vorlag.

Am Ende ihres Reviews ziehen die Forscher keine sehr günstige Bilanz: Die in Antikörpertests gesetzten Erwartungen haben sich weitgehend nicht erfüllt.

So eignen sie sich bei akutem Verdacht auf COVID-19 nicht zur Diagnose, da ihre Sensitivität in der 1. und 2. Woche zu gering ist. Das entspricht auch den COVID-19-Falldefinitionen der WHO und der chinesischen National Health Commission.

Geringe Studienqualität erlaubt kaum verlässliche Aussagen

Auch lasse sich nicht sagen, welchen Wert die Tests haben, wenn die Symptome nur mild waren oder ganz fehlten. Denn bei den Studienteilnehmern zur Prüfung der Tests handelte es sich fast ausschließlich um Klinikpatienten und bei diesen sei von einem schweren Verlauf und ausgeprägten Immunreaktionen auszugehen.

Deeks und seine Kollegen warnen daher vor Rückschlüssen auf Hausarztpatienten oder die Bevölkerung allgemein, weil bei ihnen die Antikörperspiegel möglicherweise für einen sicheren Nachweis zu niedrig liegen.

 
Eine nachweisbare Immunantwort ist kein sicheres Indiz dafür, dass ein Patient immun und nicht mehr infektiös ist. Prof. Dr. Jonathan J. Deeks
 

Weiterhin sei ungewiss, inwieweit sich die Tests für Seroprävalenz-Erhebungen und damit als Grundlage fürs gesundheitspolitische Management eignen. Und vor allem stellen die Forscher klar: „Bitte beachten Sie: Eine nachweisbare Immunantwort ist kein sicheres Indiz dafür, dass ein Patient immun und nicht mehr infektiös ist.“

Lediglich in 2 Bereichen könnten Antikörpertests für mehr diagnostische Sicherheit sorgen:

  • wenn Patienten seit mehr als 2 Wochen COVID-19-Symptome haben, aber zu Anfang ein PCR-Test versäumt wurde,

  • wenn die PCR trotz COVID-19-ähnlicher Symptome nicht auf Viren ansprach.

Der bevorzugte Einsatz als Schnelltest wurde vernachlässigt

Und selbst diese Schlussfolgerungen sind mit Vorsicht zu betrachten, weil die Studien jeweils nur kleine Stichproben untersuchten und viele Mängel aufwiesen. „Unser Vertrauen in die Evidenz ist aus mehreren Gründen begrenzt“, schreiben die Forscher und zählen auf:

  • Nur wenige auf dem Markt erhältliche Antikörpertests sind in glaubwürdigen Publikationen oder Vorabdrucken evaluiert, am ehesten noch jene 25 im Review vertretenen Tests, also nur ein Bruchteil des verfügbaren Angebots. Mehr als die Hälfte der 54 berücksichtigten Studien wurde ohne vorherige Begutachtung (Peer-Review) als Preprint veröffentlicht, keine war multizentrisch.

  • Das Design der Studien war unzulänglich: Zum Beispiel wurden fast immer COVID-19-Patienten und Nicht-Erkrankte getrennt untersucht, aber Kriterien zur Auswahl fehlen. Nur 4 Studien arbeiteten mit Verblindung. Und da auch auf die Referenzmethoden wenig Verlass ist, könnten Teilnehmer fehlklassifiziert worden sein.

  • Zudem wurde eine bestimmte Sorte von Tests in vielen Studien nur im Labor mit Plasma oder Serum geprüft, obwohl sie zusätzlich als Schnellverfahren mit Vollblut zugelassen sind. Daher lässt sich der Vor-Ort-Einsatz, der vermutlich vielfach – vor allem in ressourcenarmen Ländern – bevorzugt wird, nicht beurteilen.

  • Zu einzelnen Tests gibt es wenig Daten, weshalb ein Vergleich ihrer Leistungsfähigkeit nicht möglich ist.

  • Viele Arbeitsgruppen hatten sich nicht an die STARD-Richtlinie für Studien zur Testgenauigkeit gehalten, keine zeichnete den Durchsatz der Teilnehmer in einem Flussdiagramm nach, so dass fehlende Ergebnisse nicht zu identifizieren sind.

Dementsprechend plädieren die Autoren dafür, die Studien zu Antikörpertests erheblich zu verbessern. Die Vorschläge ergeben sich als Umkehrung der Mängelliste:

  • Aufschlüsselung der Daten nach dem Zeitpunkt der Blutentnahme,

  • Einbeziehung von PCR-bestätigten und nicht-bestätigten COVID-19-Patienten,

  • Zugänglichkeit aller Evaluierungen,

  • eine größere Zahl von Teilnehmern, und zwar aus mehreren Zentren,

  • praxisgerechte Verwendung der Tests, also hauptsächlich Point-of-Care,

  • Messungen über einen längeren Zeitraum und bei Menschen mit leichten Symptomen,

  • Vergleich einzelner Tests,

  • Verblindung von Indextest und Referenz.

 

Kommentar

3090D553-9492-4563-8681-AD288FA52ACE
Wir bitten darum, Diskussionen höflich und sachlich zu halten. Beiträge werden vor der Veröffentlichung nicht überprüft, jedoch werden Kommentare, die unsere Community-Regeln verletzen, gelöscht.

wird bearbeitet....