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„Wir wurden von Anfragen überrollt“: Corona-Ängste und Risiken von Krebspatienten – was der Krebsinformationsdienst (KID) rät

Claudia Gottschling

Interessenkonflikte

29. Juli 2020

Krebskranke müssen sich häufig einer langwierigen Therapie unterziehen. In Corona-Zeiten sind die Ängste groß, dass zusätzlich zur Erkrankung eine Infektion mit SARS-CoV-2 zu Komplikationen führen könnte. Aber Krebsüberlebende sind auch Jahre nach einer Therapie noch verunsichert, weil sie nicht wissen, wie gut sich ihr Immunsystem erholt hat und wie hoch ihre Risiken für einen schweren COVID-19-Verlauf sind.

Dr. Susanne Weg-Remers

In diesem Interview erklärt Dr. Susanne Weg-Remers, die Chefin des Krebsinformationsdienstes (KID) am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg, welche Sorgen und Ängste die Patienten plagen, welche Antworten sie beim KID bekommen und wie man als Arzt diese vulnerable Patientengruppe für die verschiedenen Risikokonstellationen beraten kann.  

Medscape: Sind Krebspatienten in Corona-Zeiten vielleicht sogar besser vor Infektionen geschützt als sonst, weil die meisten Menschen um sie herum darauf achten, keine Keime zu versprühen?

Dr. Weg-Remers: Nein, das kann man nicht so sagen. Es gab ja auch Corona-Ausbrüche auf Krebsstationen in Kliniken. Dort und auch in den Ambulanzen mussten die Betreiber natürlich Hygiene-Konzepte aufstellen, bei denen sie beispielsweise Wege so trennen, dass die Patienten mit akuten Infektionen oder gar Corona-Patienten nicht mit den Krebspatienten in einem Wartezimmer sitzen oder sich auf dem Flur begegnen.

Alles in allem würde ich aber sagen, dass von dem Gang in die Praxis oder ins Krankenhaus sicherlich eine geringere Gefahr ausgeht, als wenn man zu Hause bleibt und den Krebs nicht behandeln lässt.

Medscape: Wie sehr sind Krebskranke durch Corona verunsichert und was wollen sie vom Krebsinformationsdienst wissen?

Dr. Weg-Remers: Corona war ein Riesenthema im März und im April. Damals sind wir von Anfragen überrollt worden. Wir hatten im März 4.200 individuelle Anfragen. In einem durchschnittlichen Monat haben wir nur 2.800, um mal die Größenordnung zu illustrieren. An einzelnen Tagen waren bis zu 80 Prozent der Anfragen zum Thema Corona. Mittlerweile ist es abgeebbt.

Medscape: Wovor haben sich Krebspatienten in der Hochphase von Corona vor allem gefürchtet und was sind im Moment die Themen?

Dr. Weg-Remers: Das wichtigste Thema war letzten Endes die Frage, ob ein Patient in seiner individuellen Erkrankungssituation ein erhöhtes Risiko hat, an der schweren Verlaufsform von COVID-19 zu erkranken. Viele wollten wissen: Soll ich jetzt wirklich meine Chemotherapie, Strahlentherapie oder zielgerichtete Therapie anfangen, wo ich doch weiß, dass ich damit mein Immunsystem schwäche?

Da war unsere Antwort und auch die Stellungnahme der Fachgesellschaften wie der DGHO ganz klar: Die Krebstherapie hat Vorrang. Andere diskutierten mit uns, ob sie eine Reha, Diagnostik oder Früherkennung besser verschieben sollten.

Mit der zunehmenden Öffnung der Schulen kommen nun eher Anfragen, wie man sich schützen kann. Zum Beispiel von Lehrern, aber auch von Familien mit schulpflichtigen Kindern, die Krebspatienten in der Familie haben.

Was viele Krebspatienten und auch Angehörige im Moment sehr bedrückt, gerade wenn sie stationär bleiben müssen, sind die nach wie vor bestehenden Besuchseinschränkungen an den Krankenhäusern. Man darf oft nur von einer Person pro Tag besucht werden. Und dies auch nicht so lange, wie man sich das in einer solch belastenden Situation wünschen würde.

Medscape: Gibt es denn schon Studien, die eindeutig belegen, dass Krebspatienten ein erhöhtes Risiko haben, an einem schweren COVID-19-Verlauf zu erkranken?

Dr. Weg-Remers: Die Datenlage ist noch nicht sehr üppig, das muss man sagen. Aber es gibt erste Studien, die darauf hinweisen, dass Krebspatienten schon ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf haben, wenn sie sich mit SARS-CoV-2 infizieren, insbesondere, wenn eine Immunschwäche vorliegt.

Medscape: Wie können Ärzte auf die Corona-Ängste von Patienten eingehen? 

Dr. Weg-Remers: Wir haben auf unserer Internetseite in den FAQ die wichtigsten Fragen relativ differenziert aufgearbeitet. Man kann pauschal sagen, dass es keine einheitlichen Antworten gibt, sondern man muss wirklich die individuelle Erkrankungssituation des Patienten ansehen, um dessen Risiko abzuschätzen.

Wir hatten Anfragen von Krebspatienten, wo jetzt ein Freund oder ein Familienangehöriger positiv getestet wurde. Das ist natürlich eine ganz andere Situation, als wenn sich jemand ängstigt, weil irgendwo da draußen jemand herumlaufen könnte, der COVID-19 hat.

Es macht auch einen Unterschied, ob man jetzt eine Erkrankungssituation hat, in der eine akute Immunschwäche besteht. Oder ob man beispielsweise 5 Jahre nach der Krebsdiagnose, sozusagen ein Krebsüberlebender ist, und vielleicht, etwa bei Brustkrebs, nur noch eine Hormontherapie nehmen muss, die aber nicht das Immunsystem schwächen würde.

Medscape: Die Krebsüberlebenden machen ja einen großen Anteil in der Bevölkerung aus. Woher weiß ich, ob mein Immunsystem wieder fit ist und wie lange kann das dauern?

Dr. Weg-Remers: Auch da kann man keine pauschale Zahl nennen. Auch Krebsüberlebende sind in einer sehr unterschiedlichen Verfassung. Es gibt welche, die noch Begleiterkrankungen haben. Oder sie sind einfach älter und zählen auch deshalb zur Risikogruppe. Ich glaube, da sollte man keine falsche Sicherheit vermitteln, indem man eine Zahl nennt.

Ein wichtiger Faktor für die Zuordnung von Krebspatienten zur Risikogruppe ist, ob ihr Immunsystem aktuell geschwächt ist. Das wäre beispielsweise, wenn die Zahl der weißen Blutkörperchen oder die Immunglobulin-Werte erniedrigt sind. Oder die Betroffenen dauerhaft Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems erhalten.

Wiederum anders ist die Ausgangslage, wenn das Immunsystem selbst von einer Tumorerkrankung betroffen ist. Oder nach einer Stammzell-Transplantation, wenn man im Prinzip mit dem fremden Immunsystem im Körper lebt. Also, man kann keine zuverlässigen pauschalen Antworten auf die Frage nach dem Risiko geben.

Es gibt auch Studien, die darauf hinweisen, dass Menschen nach einer Chemotherapie Veränderungen der Immunzellen und der Antikörpertiter nach Impfungen haben können. Manchmal normalisiert sich zwar die Zahl der Blutzellen, aber trotzdem besteht noch eine erhöhte Anfälligkeit, weil möglicherweise Untergruppen von Abwehrzellen länger brauchen, bis sie sich erholt haben. Wie ausgeprägt die Immunabwehr verändert ist und wie lange dies anhält, ist unterschiedlich. Einerseits hängst dies vermutlich davon ab, welche Chemotherapeutika die Patienten erhalten haben. Vermutlich spielen aber auch weitere Faktoren eine Rolle, beispielsweise die Konzentration der Antikörper-Titer vor der Chemotherapie.

Medscape: Wie können Ärzte ihren Patienten trotzdem nach einer Krebstherapie helfen, ihr Risiko einzuschätzen?

Dr. Weg-Remers: Es gibt ein paar Leitfragen, an denen man sich orientieren kann, wenn man sein Corona-Risiko abschätzen möchte. Wir haben sie auf unserer Homepage veröffentlicht (siehe auch Kasten unten). Dazu zählt beispielsweise die Frage, wie lang die Erkrankung zurückliegt. Oder wie therapiert worden ist? Wie wird aktuell therapiert? Auf diese Weise können Ärzte das individuelle Risiko ihrer Krebspatienten abschätzen. Der beste Ansprechpartner dafür ist natürlich der Onkologe oder der Hausarzt, der dann auch weiß, welche Begleiterkrankungen mit hinein spielen.

Medscape: Wurden während der Corona-Hochphase Krebstherapien mit Infusionen auch zu Hause angeboten?

Dr. Weg-Remers: Mir ist nicht zu Ohren gekommen, dass Krebspatienten in Deutschland dies angeboten wurde. Das wäre auch schwer realisierbar. Meist dauert die Infusion ja mehrere Stunden und sicherheitshalber muss ein Arzt verfügbar sein, wenn es dem Patienten schlecht geht oder Unverträglichkeiten auftreten.

Medscape: In der Kardiologie hat man ja beobachtet, dass zu Beginn der Corona-Welle weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte registriert wurden, möglicherweise, weil Patienten im Notfall keinen Arzt aufgesucht haben. Hat man diesen vorrübergehenden Rückgang an Patienten auch in der Onkologie beobachtet?

Dr. Weg-Remers: Zahlen gibt es dazu leider noch keine. Ich kann nur anekdotisch berichten, dass meine Kollegen, die in den Kliniken und Praxen tätig sind, Ähnliches beobachtet haben. Etwa, dass es sehr ruhig war auf den Krebsstationen und in den Ambulanzen. Das ist sicher zum Teil der Tatsache geschuldet, dass die Patienten trotz Beschwerden zu Hause geblieben sind und sich gar nicht um eine Abklärung gekümmert haben.

Auch die Krebsfrüherkennung war in diesem Frühjahr weitgehend ausgesetzt. Das Mammografie-Screening wurde zum Beispiel für einige Wochen eingestellt und auch die üblichen Früherkennungsuntersuchungen für Hautkrebs und Darmkrebs und so weiter, in den niedergelassenen Praxen. Da wurde einige Zeit lang nicht oder nur bei Beschwerden untersucht.

Wir sind nun an einer Studie beteiligt, bei der wir Krebspatienten, die sich über den E-Mail-Service an uns wenden, einen Fragebogen schicken und sie bitten, dass sie mit uns ihre Erfahrungen während der Pandemie teilen. Insbesondere auch, ob Behandlungen verschoben worden sind. Ergänzt werden soll dies durch eine Krebsregister-Studie.

Medscape: Gibt es nun Aktionen und verstärkte Info-Kampagnen, die an alle appellieren, sich wieder um ihre Vorsorge zu kümmern, um diese Versäumnisse aufzuholen?

Dr. Weg-Remers: Ja, es gab dazu schon einige Aufrufe. Das DKFZ hat zusammen mit der Deutschen Krebshilfe eine Taskforce gegründet Sie hat zum einen an den Comprehensive Cancer Centers regelmäßige Abfragen gemacht und erforscht, wie die Auslastung ist, und ob die Behandlung von Krebspatienten eingeschränkt ist.

Die Taskforce hat sich auch etliche Male mit Pressemeldungen an die Öffentlichkeit gewandt, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Versorgung der Krebspatienten, aber auch die Krebsfrüherkennung nicht durch die Corona-Pandemie leiden dürfen.

Medscape: Hat sich durch Corona in Ihrer Beratung von Krebspatienten etwas verändert?

Dr. Weg-Remers: Wir arbeiten im Moment ganz überwiegend noch im Home-Office. Ich glaube nicht, dass wir uns schon zurücklehnen können, sondern das Risiko, dass eine 2. Welle an Erkrankungsfällen kommt, ist ja durchaus gegeben. Dafür müssen wir uns rüsten.

Mit diesen Fragen können Sie abschätzen, ob Patienten zur Risikogruppe gehören

  • Sind Sie aktuell an Krebs erkrankt?

  • Erhalten Sie gerade eine Krebsbehandlung, etwa ChemotherapieStrahlentherapiezielgerichtete TherapieAntikörpertherapie. Wenn ja: Ist das eine Therapie, die das Immunsystem schwächt?

  • Ist Ihr Immunsystem aktuell durch eine Blutstammzelltransplantation mit fremden (allogenen) Stammzellen geschwächt oder erhalten Sie gerade eine andere zelluläre Therapie, etwa eine CAR-T-Zelltherapie?

  • Nehmen Sie Medikamente ein, die das Immunsystem schwächen, beispielsweise hochdosiertes Kortison oder Methotrexat?

  • Weisen Ihre aktuellen Blutwerte darauf hin, dass Ihr Immunsystem geschwächt ist?

  • Haben Ihre Ärzte Sie darauf hingewiesen, dass Ihr Immunsystem eingeschränkt ist?

  • Wie lang liegt Ihre Krebserkrankung und deren Behandlung zurück?

  • Haben Sie zusätzliche Erkrankungen? Als Risiko gelten laut Angaben des Robert Koch-Instituts Vorerkrankungen wie bestimmte Lungen- und Herzerkrankungen, Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), chronische Lebererkrankungen und Erkrankungen, die das Immunsystem schwächen.

  • Wie alt sind Sie? Ab 50 – 60 Jahren steigt das Risiko stetig.

  • Rauchen Sie? Raucher haben ein erhöhtes Risiko.

Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) orientiert sich bei der Frage, ob man als Krebspatient ein erhöhtes Risiko hat, an den Erfahrungen mit anderen Virus-Infektionen der oberen Luftwege: Hier werden vor allem Krebspatienten mit einem geschwächten Immunsystem und Personen, bei denen zeitgleich weitere Infektionen der oberen Luftwege auftreten, der Risikogruppe zugeordnet.

Gleichzeitig betont die DGHO: Kein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf bei Ansteckung mit SARS-CoV-2 haben Krebspatientinnen und -patienten mit einer gut beherrschten Erkrankung oder nach erfolgreich abgeschlossener Erstbehandlung (vorausgesetzt, sie zählen nicht aus anderen Gründen zur Risikogruppe, siehe oben).

Quelle: Krebsinformationsdienst

 

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